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geschrieben 2022 von Ernst Paul.
Veröffentlicht: 09.11.2022. Rubrik: Persönliches


Vom Schwimmen in der Elbe

Große schwarze Raddampfer zogen während meiner Kindheit schwere Lastkähne auf der Elbe. Oft zwei oder drei Lastkähne mit Zillen im Schlepp, beladen mit Schüttgütern oder anderen voluminösen Waren. Auch in Schubverbände wurden verschiedene Güter in großen Mengen verschifft. Die weißen Raddampfer der ‚Weißen Flotte‘ befuhren den Fluss zwischen Riesa und der ‚Sächsischen Schweiz‘ fahrplanmäßig. Ausflügler, Touristen, Schulklassen oder auch Wandergruppen nutzen diese Angebote sehr gern.
*
Als Kinder spielten wir oft an der Elbe und winkten diesen Schiffen zu. Auch angelten wir hier. Fische, die wir damals in der Elbe fingen, waren für den Menschen schon nicht mehr essbar; Hühner und Katzen freuten sich jedoch noch auf unseren Fang. Obwohl die Elbe stark verschmutzt war, badeten wir in ihr. Ich selbst habe in ihr meine ersten Schwimmversuche unternommen. Die Schädlichkeit des verschmutzten Elbwassers war uns nicht bewusst. Warnungen unserer Eltern, in diesem Fluss zu baden, wurden von uns ignoriert. Es überwog der Wunsch, sich in den Wellen der Raddampfer schwimmend zu bewegen oder sich in eine Zille zu schwingen und stromaufwärts mitzufahren. Der Drang, zu den Kindern zu gehören, die sich diesen Wagnissen aussetzten, war mir Ansporn im Schwimmbad zu trainieren. Die Gefahr, dass bei diesen Unternehmungen etwa passieren könnte, war groß; sicheres Schwimmen eine unbedingte Voraussetzung.

1963 führte die Elbe im Sommer Niedrigwasser. Ich war 10 Jahre alt und meinen Wunsch, die Elbe einmal schwimmend zu überqueren, konnte ich mir erfüllen. Die Schwimmprüfung der Stufe III hatte ich erfolgreich bestanden. Stufe III im Schwimmen bedeutete damals, dass ich den Nachweis erbracht hatte, sicher schwimmen zu können. Zur Prüfung absolvierte ich 400 m Brustschwimmen in einem bestimmten Zeitlimit; nach kurzer Ruhepause 100 m Kraul und einen Sprung vom 3 m Turm. Für das Bestehen dieser Prüfung gab es ein ‚sehr gut‘ im Sportunterricht und ich fühlte mich gut vorbereitet für das Abenteuer ‚Elbe durchschwimmen‘.
Mein Nachbar, Hans-Werner, er war fünf Jahre älter als ich, hatte die Elbe schon mehrfach schwimmend überquert und wusste, um die Gefahren; auch wie den Gefahren vorgebeugt werden konnte. Auf meinen Wunsch bereitete er diese erste Überquerung akribisch vor. Er pumpte in einen Motorradschlauch Luft und gab ihn mir. Dieser Schlauch sollte als Rettungsring dienen und mir die Angst beim Schwimmen nehmen. Danach sprach er auf mich ein. Immer wieder sagte er, dass ich ein guter Schwimmer sei und sprach mir Mut zu. Und er sagte mir, wie ich mich verhalten muss, wenn ich einen Krampf bekomme oder Wasser schlucke. Er sprach zu mir wie eine Person, die sich seiner Verantwortung im vollen Umfang bewusst war. Die Eindringlichkeit seiner Worte nahm ich kommentarlos hin. Ich war von meinen Schwimmfähigkeiten überzeugt.

Gemeinsam gingen Hans-Werner und ich zum Fluss. Wir entkleideten uns und zogen unsere Badehosen an. Hans-Werner legte Wert darauf, dass wir, bevor wir in das Wasser gingen, unsere Muskeln lockerten und uns durch leichte Gymnastikübungen erwärmten. Danach kühlten wir uns im Wasser ab und begannen zu schwimmen. Den Reifen schob Hans-Werner immer vor uns her oder er hielt sich daran fest, beobachtete mich und sprach mir Mut zu. Ich konzentrierte mich ganz auf das Schwimmen und nickte nur, wenn er fragte, ob ich noch genügend Kraft habe. Der Motorradreifen nahm mir die Angst, ebenso die beruhigenden Worte von Hans-Werner. Als wir das Ufer erreichten, freute er sich mit mir über diesen Erfolg. Nach dem Ausruhen gingen wir ein großes Stück Weg stromauf, setzten wir uns an das Ufer und besprachen erneut, wie wir beim Überqueren so vorgehen, dass nichts passieren kann. Hans-Werner hatte wohl Angst, ich könnte nach dem sicheren und problemlosen Schwimmen übermütig werden und die Gefahren unterschätzen. Wir schafften auch den Rückweg gemeinsam und ohne Probleme. Ich war stolz, das erste Mal die Elbe schwimmend überquert zu haben.
Bis zu meinem 12. Lebensjahr ging ich noch in die Elbe schwimmen. Jetzt gehörte ich zu den Kindern, die in der Elbe schwammen und gemeinsam etwas unternahm. Meist waren wir fünf bis sieben Mädchen und Jungen. Oft spielten wir am anderen Ufer im Auwald oder sonnten uns im Sand. Am späten Nachmittag schwammen wir dann zurück. Gelegentlich schwammen wir an die Zillen, die an den Lastkähnen hingen, schwangen uns in sie hinein und fuhren stromaufwärts mit. Dann sprangen wir kopfüber ins Wasser und ließen uns stromabwärts treiben. Gern schwammen wir auch in den Wellen, die von den Raddampfern oder den Fahrgastschiffen der ‚Weißen Flotte‘ hervorgerufen wurden. Gefährlich waren solche Unternehmungen immer. Wir waren uns den Gefahren nie richtig bewusst und glaubten, kühne Schwimmer zu sein. Zum Glück verlief unser Baden immer unfallfrei.
Ab meinem 13. Lebensjahr unterließ ich es in der Elbe zu schwimmen. Sie war zu dreckig und wurde immer mehr zur Kloake. Auch das Angeln machte keinen Spaß. Die Fische, die wir fingen, fraßen weder Katzen noch Hühner.
*
Umfangreiche Umweltschutzprogramme sorgen seit der Wende dafür, dass nur noch wenige Gift- und Schadstoffe in die Elbe gelangen. Die Elbe wird allmählich sauber. Die Fauna und Flora erholen sich. Mit 100 Fischarten zählt der Fluss jetzt zu den artenreichsten Flüssen in Europa. Selbst der Lachs ist nach einem Schutzprogramm in der Elbe wieder heimisch geworden und kehrt an seine Laichplätze in der ‚Sächsischen Schweiz‘ zurück. Kein Wunder, dass sich der Angeltourismus großer Beliebtheit erfreut. Hecht, Zander, Wels und Aal locken viele Angler an, die gern in der Abenddämmerung und nachts auf Fischfang gehen.
Die Auwälder sehen gesund aus und leuchten im satten Grün; Kühe und Schafe weiden auf den Elbwiesen.
In der Oberelbe fahren nur wenige Frachtschiffe. Zum Transport von Gütern werden nur Schubverbände eingesetzt. Die schwarzen Raddampfer gibt es nicht mehr. Die ‚Weiße Flotte‘ transportiert nach wie vor fahrplanmäßig Ausflügler, Touristen, Schulklassen oder auch Wandergruppen, jedoch ist das Fahrplanangebot stark eingeschränkt. Gelegentlich schiffen auch große Fahrgastschiffe nach Dresden und in die ‚Sächsische Schweiz‘. Häufig sind auch Segeljachten, Motor – und Paddelboote unterwegs. Ein ausgebauter Radweg führt direkt entlang der Elbe von Dresden nach Hamburg. In ihm sind noch Rudimente des alten Leinpfades, auf denen einst die Bomätscher gingen und mithilfe langer Seile Frachtkähne flussaufwärts zogen.
An einigen Uferzonen darf offiziell gebadet werden. Den Kindern rate ich jedoch zur Vorsicht beim Baden in der Elbe. Und ich rate ab von waghalsigen Abenteuern.

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von ehemaliges Mitglied am 09.11.2022:
Kommentar gern gelesen.
Schön erzählte Kindheitserinnerungen, Ernst. Ich kenne diesen Drang, Gewässer schwimmend überqueren zu wollen. Als Kind der Küste bin ich frühzeitig zum sicheren Schwimmer geworden. In unserer Gegend gab es keine Flüsse. Der erste nennenswerte, den ich erblickte, war der Rhein bei Karlsruhe, den ich natürlich sofort durchschwimmen wollte - Binnengewässer sind für Küstenschwimmer keine Herausforderung, meinte ich. Noch heute bin dankbar dafür, dass mich ein älterer Mann "massiv" vom Durchqueren des Rheins abgehalten hat. Dessen damals stark verschmutztes Wasser hätte ich wohl überlebt - seine mir unbekannten Strömungen wohl eher nicht.




geschrieben von Sandra Z. am 09.12.2022:
Kommentar gern gelesen.
Deine Geschichte erinnert mich an die Erzählungen meines Ehemanns. Der hat praktisch seine ganze Kindheit am Neckar verbracht. Bei einem Sprung ins Wasser hat er sich den Bauch aufgeschlitzt und wäre beinahe verblutet. Ich hatte immer großen Respekt vor fließenden Gewässern. Einmal haben wir einen Ausflug an die Weser gemacht und ich sagte zu meinem Vater: "Schwimm doch mal rüber!" Er antwortete, dass das lebensgefährlich sei, und ich weiß noch, wie enttäuscht ich war, dass mein Papa doch kein Superman war *lol*




geschrieben von Ernst Paul am 09.12.2022:

Danke Sandra. Damals galt es, als Mutprobe für uns Kinder, die Elbe schwimmend zu überqueren. Da zu unserer Zeit nie etwas passiert war, galt man als Feigling, es nicht zu wagen. Wir suchten unsere Anerkennung. Unsere Eltern konnten uns nicht daran hindern, sie waren nie dabei. Heute verbiete ich meinen Enkelkindern selbst die Gedanken an solche Mutproben. LG




geschrieben von Marlies am 21.01.2023:
Kommentar gern gelesen.
Auch ich liebe die Elbe sehr. Ich bin eine Hamburger Deern, Baujahr 1952 Natürlich haben wir Gören Auch in der Elbe gebadet. Überqueren und ging natürlich nicht weil die Elbe hier viel zu breit ist und viele riesengroße Dampfer unterwegs sind. Aber wirklich sehr schön von jemanden zu hören der die Elbe ebenso liebt wie ich.




geschrieben von Ernst Paul am 22.01.2023:

@Marlies Ich habe vergangenes Jahr Hamburg besucht. Es ist schon sehr beträchtlich, wie breit die untere Elbe ist. Die untere Elbe kann nur ein gut trainierter Langstreckenschwimmer mit Proviant im Gepäck durchqueren. Für Kinder einfach unmöglich.

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