Kurzgeschichten-Stories
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geschrieben 1988 von Jens (Jens Richter).
Veröffentlicht: 24.11.2023. Rubrik: Abenteuerliches


Die Reise nach al Madina

Von Suez her kommend, erreichten zwei Männer bei herzlichstem Sonnenschein und ruhiger See Jiddah, die weiße Stadt am Roten Meer.
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Der Eine war von merkwürdiger Gestalt.
Sein rundliches Gesicht war im Laufe der Zeit von der Sonne rotbraun gebrannt.
Aus seinem Gesicht ragte eine Nase hervor, die jeder x-beliebigen Sonnenuhr als Schattenspender dienen konnte, so groß war sie geraten.
Die Augen des Mannes, zur linken und rechten Seite des unheimlichen Riechers blitzten fröhlich her drein.
Der Mund blieb leider verborgen, er war hinter einem dichten Urwald von grauen Barthaaren versteckt.
Nur die kleine Tabakspfeife, die zwischen den beiden angenommenen Mundwinkeln hin- und hertänzelte bestätigte, dass dieser Mann dennoch einen Mund besaß.
Als Kopfbedeckung diente ihm ein roter Fez, der mit Kordelband am Haupt festgebunden war.
Am Leib trug er eine Maatsuniform der deutschen Marine.
Seine breiten Hüften schmückte ein breiter, verzierter Ledergürtel, in dem ein großer Revolver, ein Säbel und ein vorsintflutliches Teleskopfernrohr steckten.
Außerdem baumelte ein Beutel am Gürtel, der einen Vorrat an Patronen und Tabak beherbergte.
Dieser Mann war Peter Wolf.
Sein Partner war das ausgesprochene Gegenteil des Seebären.
Sein Gesicht war ebenmäßig ausgeprägt und von edlem Antlitz.
Seine Kleidung schien maßgeschneidert zu sein, ein graugrüner Tropenanzug, dessen weite Hosen in enge, braune Reitstiefel verliefen.
Zum Schutz vor der Sonne trug er ein weißes Kopftuch, welches durch ein geflochtenes Stirnband auf dem Kopf hielt.
Als Bewaffnung diente ihm nur eine deutsche Offizierspistole, die in einem Waffengurt steckte, der um seine Hüfte geschnallt war.
Der hier Beschriebene war der Weltenbummler Georg Bauer, der gemeinsam mit Peter Wolf in Nordafrika und im Orient unterwegs war.
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Jiddah, deren Häuser, die aus dem grünen Wasser der Lagune bis zum Berghang emporgewachsen waren, lag zu dieser Tageszeit wie ausgestorben da.
Keine Seele ist in den schmalen, feuchten Gassen, in denen sich der Geruch von moderndem Holz mit den unzähligen Düften des Basars verbindet, zu sehen.
Die im Zenit stehende Sonne ließ alles Farbige verblassen, eine Hitze wie im Backofen.
Jeder Mensch hatte sich in den Schatten zurückgezogen und wartete auf den Abend, der eine frische kühle Brise vom Meer in die Stadt hereinträgt.
Begleitet von Mücken- und Fliegenschwärmen suchten die beiden Deutschen das Anwesen von Büchsenmacher Samuel Gunsmith.
Georg Bauer hatte dort vor einem Vierteljahr eine Bestellung zur Herstellung eines Trommelgewehres in Auftrag gegeben und nun war der Zeitpunkt für die Entgegennahme heran gerückt.
Sie erreichten einen Garten, der von einer mannhohen Mauer umgeben war und klopften mit dem schweren Eisenring gegen das hölzerne Tor.
Es wurde geöffnet und ein Bediensteter trat heraus.
Der Diener verrichtete für den alternden Büchsenmacher sämtliche Arbeiten im Anwesen.
"Was wünschen die Herren?", fragte er mechanisch.
"Wir möchten zu Mister Gunsmith.", erwiderte Georg Bauer.
"Einen Moment Geduld, bitte."
Der Diener schlurfte davon.
Ein geraumen Moment kam ein kleiner, aber durchaus kräftiger Mann herbei geeilt.
Er rundum mit ölverschmierten Gewändern bekleidet und wischte seine Finger an ihnen sauber, bevor er den beiden Deutschen seine Rechte zum Gruß reichte.
"Georg, ich ahnte bereits, dass du die Tage kommen würdest, um dein neues Gewehr abzuholen", empfing er die Deutschen freundlich, "und deshalb habe ich es noch einmal eingeölt."
"Ist ja gut, aber lass uns jetzt ein. Wir Beide sind ziemlich kaputt. Übrigens habe ich jetzt einen Landsmann als Reisegefährten, darum komme ich dieses Mal nicht alleine."
"Bring mit, wen du willst. Aufrechte Menschen sind jeder Zeit gern gesehene Gäste."
Sie gingen zusammen in den Garten.
Dieser Garten konnte jedem Vergleich mit einer idyllischen, kunstvoll bepflanzten Oase standhalten, so schön war er.
In der Mitte gab es einen nierenförmigen Goldfischteich, auf dessen Wasseroberfläche Seerosenblätter schaukelten und ringsherum standen Zierpalmen sowie Zypressen.
Hinter dem Grün lugte ein stattliches Blockhaus hervor, ganz und gar nach nordamerikanischen Vorstellungen erbaut, ein kleines Stück Erinnerung an die ehemalige Heimat des Büchsenmachers.
Jeden, der sich über den eigenwilligen Stil seines Heimes wunderte, klärte der freundliche Amerikaner auf, dass er im wilden Westen der USA in solch einem Haus glücklich gelebt hatte.
Er, so sagte er, hält es im Orient nur in einem Blockhaus aus.
Samuel Gunsmith war vor reichlich sechs Jahren hierher gekommen, auf Wunsch seiner geliebten Gattin.
Sie war eine in Amerika geborene Araberin und Gunsmith Sohn einer jüdischen Einwandererfamilie.
Trotz der Religionsunterschiede hatten sie sich lieben gelernt und zusammen ihre Tochter großgezogen.
Ann Mary hatte den Glauben des Vaters angenommen und das betrübte Ms. Gunsmith.
Sie lebte all die Jahre im fernen Amerika von dem Wunsch beseelt, einmal die heilige Stadt Mekka betreten zu dürfen.
Als die Zeit günstig war und die Familie genügend Geld zusammen gespart hatte, packten alle Drei die Koffer zusammen und reisten nach Arabien.
Doch auf der Überfahrt war Ms. Gunsmith erkrankt.
Nie wieder hatte sie sich von ihrer Krankheit erholt und ist hier in Jiddah verstorben.
Samuel hatte sie hier in stiller Trauer begraben und war mit seiner Tochter beim letzten Ruheort seiner Frau verblieben.
Da er das Handwerk des Büchsenmachers exzellent beherrschte und seine Arbeit allerorts für seine Qualität bekannt war, fasste er nach kurzer Zeit in der Region Fuß und wurde trotz seines jüdischen Glaubens ein angesehener und wohlhabender Mann.
Die drei Männer verschwanden im Inneren des Blockhauses.
Drinnen gab es nur eine Wohnstube, einen Waschraum mit Latrine und zu guter Letzt Samuels Werkstatt.
Sie gingen in die Wohnstube, in der auch seine Tochter weilte.
Sie erhob sich erfreut, legte ihre Stickereien aus den Händen und reichte den eintretenden Gästen die Hand zum Gruß.
"Oh, wie ich mich freue, Mr. Bauer.", schnatterte sie aufgeregt los. "Es ist schön, dass sie uns wieder beehren."
"Ja, Ann Mary, ein Vierteljahr war schnell vorüber und nun wollte ich mein bestelltes Gewehr abholen."
"Mir scheint, dass ihnen die Waffe wichtiger ist, als wir."
"Oh nein. Ich besuche gern liebe Leute. Aber wenn nicht diese Bestellung wäre, das gebe ich wohl zu, dann würde ich jetzt in einem ganz anderen Winkel der Welt anzutreffen sein. Mal hier, mal da."
"Sie haben noch einen Landsmann mit, Mr. Bauer?"
"Ja, das ist mein Freund und Reisegefährte, Peter Wolf."
Peter Wolf verbeugte sich vor Ann Mary, deutete einen Handkuss an wie es ein englischer Lord nicht perfekter gebracht hätte.
"Liebe Freunde", sie lenkte verlegen wegen dieser Höflichkeit ab. "da werde ich mal einen Kaffee aufsetzen und uns eine kleine Stärkung vorbereiten."
"Gute Idee.", warf der alte Gunsmith ein. "Ich habe Hunger wie ein Grizzlybär."
"Sehen wir uns jetzt mal das Gewehr an.", quengelte Georg.
"Warte ab, Freund." sprach der Alte und rempelte Peter Wolf flachsend in die Seite. "So ist Georg immer. Er ist neugierig wie ein Junge im Entdeckeralter. Aber er soll sich gedulden. Am Nachmittag führe ich euch die Waffe vor."
"Ja, soll er soll sich gedulden.", meinte auch Peter.
Georg wollte zwar etwas einwenden, aber der Büchsenmacher gab nicht nach.
Sie setzten sich zu Tisch und plauderte noch einige Zeit, bis Ann Mary das Essen angerichtet hatte.
Nach einem vorzüglichen Mahl von Pasteten und gebackenem Seefisch, gönnte man sich einen vorzüglichen tiefschwarzen Kaffee.
Im Anschluss hielt man Mittagsruhe.
Nur Ann Mary war fleißig.
Sie spülte das benutzte Geschirr ab.
Im Anschluss verschwand sie mit ihrer Stickerei im Garten.
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Aufgrund lautstarken Gezeters wurde die Mittagsruhe jäh gestört.
Die drei Männer stürmten in den Garten und fanden den Diener bewusstlos vor, der niedergeschlagen am Gartentor lag.
Gunsmith richtete ihn auf und verpasste ihm nach Cowboymanier links und rechts eine schallende Ohrfeige, so dass er zu sich kam.
"Was ist geschehen?, fragte der Büchsenmacher aufgebracht. "Wo ist Ann Mary?"
"Der junge Abdul hat sie entführt."
"Ich ahnte es bereits, dass es einmal so kommen würde. Dieser räudige Hund hat es doch tatsächlich gewagt meine Tochter zu entführen."
"Wer ist dieser Abdul?", wollte Georg Bauer wissen.
"Er verehrt meine Tochter schon seit längeren und ein wenig mein Geld. Er ist der König der Straßendiebe. Bislang hatte ich ihn stets wegjagen können, doch heute hatte ich das Nachsehen."
"Kommt, wir suchen ihn. Er kann noch nicht weit gekommen sein."
"Das ist zwecklos! In den engen Gassen findest du Abdul niemals."
"Und was soll jetzt deiner Meinung nach werden, Samuel?"
"Er kann Ann Mary nicht so ohne weiteres zur Frau haben. Er ist Moslem und sie ist Jüdin. Er müsste sie zu seinem Glauben bekehren, so ist es hierzulande üblich. Selbst wenn Ann Mary aus freiem Willen eine Muslima werden möchte, müssten beide in eine der heiligen Städte pilgern, nach Mekka oder Medina. Mekka käme schon mal nicht in Frage, weil Abdul, dieser zerlumpte Gauner dort niemals zum Heiligtum vorgelassen werden würde. Darum tippe ich darauf, dass er mit ihr nach Medina unterwegs ist. Das gilt es zu verhindern."
"Und wenn er sie an Menschenhändler verkauft?"
"Nein, Georg. Wir haben es hier ernsthaft mit einem Verliebten zu tun, der Ann Mary zur Frau haben möchte."
"Deine Worte beruhigen mich fürs erste. So lass uns keine Zeit verlieren und nach Medina aufbrechen, um deine Tochter aus Abduls Fittichen zu befreien. Bei dieser Gelegenheit werde ich mein neues Gewehr auf Herz und Nieren testen können."
"Ja und ich erlebe ein richtiges Abenteuer.", murmelte der bisher schweigsame Peter Wolf.
"Ein Abenteuer, welches du nicht gleich wieder vergisst.", ergänzte der alte Gunsmith.
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Am späten Nachmittag verlässt die dreiköpfige Truppe Jiddah.
Ihr erstes Ziel ist die 250 Meilen nördlich gelegene Ortschaft Rabegh.
Sie hatte trotz aller Eile drei gute Reitpferde erstanden und sich orientalische Kleidung zugelegt.
Diese landestypische Kleidung sollte außerdem vor der sengenden Hitze am Tag sowie der klirrenden Kälte in den Nächten schützen.
Die Männer galten als Ungläubige und durften nur unter Berücksichtigung dieser Maßnahmen in das Innere Arabiens reiten.
Ein Besuch von Medina konnte da schon lebensgefährlich sein.
Sie mussten es um Ann Marys Heil dennoch wagen.
Nach einer Woche straffen Ritts erreichten sie Rabegh.
Hier ruhten sie bis zur Abenddämmerung und brachen bei Anbruch der Nacht wieder auf.
Nach durchrittener Nacht begannen die Ausläufer der Berge und die flachen Ebenen gingen allmählich in Dünen der Küstenwüste über.
Die Pferde verhaspelten sich auf dem Untergrund häufig.
Stürzt ein Tier, so gibt es einen schmerzhaften Fall für den Reiter und das mussten sie unbedingt vermeiden.
Außer Sand und Lavabrocken gab es hier keinerlei Anzeichen von Leben.
Mittags ist der Wadi Fura erreicht.
Doch was für ein böses Erwachen bei den Freunden, lockeres Gestrüpp, abgestorbene Dornenbäume und die Überreste eines eingefallenen Brunnens sind alles, was sie vorfinden.
Sie legten trotzdem eine Rastpause ein.
Die Freunde schliefen fest und zogen später deutlich erholt in Richtung Medina weiter.
Längst war die Wüste einer rauen Gebirgslandschaft gewichen.
Schmale Täler, tief eingeschnitten in gelbes Gestein.
Die Steine waren poliert vom ständig wehenden Wüstenwind und strahlten eine singende Hitze ab.
Zwar blies ein Wind, aber der war ebenso heiß und brachte daher auch nicht die gewünschte Abkühlung.
Im Laufe der Zeit waren die Lippen der Männer aufgesprungen und sie hatten Brandblasen im Gesicht.
Völlig abgeschlagen bereuten sie es schon, überhaupt die Reise angetreten zu haben.
Es gab für alle nur noch ein Gedanken, die Wüste schnell hinter sich zu lassen.
Wie ging es jetzt wohl Ann Mary?
Die junge Frau musste doch unter Strapazen ganz besonders leiden.
Der alte Gunsmith machte sich immer mehr Gedanken um seine geliebte Tochter, denn nirgendwo fanden sie ein Lebenszeichen von ihr.
Die drei Freunde ahnten zu jenem Zeitpunkt noch nicht, dass am nahen Wadi Safra eine böse Überraschung auf sie warten würde.
Wieder war ein Berghang vor ihnen, der wievielte eigentlich schon auf diese Reise.
Graue verwitterte Felsen, ein kahles Geröllfeld, kein Grün, keine Sträucher, nur stetig ansteigendes Terrain.
Die Reiter überließen es ihren Pferden, den richtigen Weg zu finden.
Plötzlich gab es den lange ersehnten Lichtblick.
Sie hatten einen Kamm überschritten und vor ihnen lag der Wadi Safra, unwirklich wie eine Fata Morgana.
Die unruhigen Pferde witterten das nahe Wasser.
Einen Flusslauf, der schon nach wenigen Metern wieder unter den Felsen verschwand.
Dazu saftig Wiesen und und hohe Palmen, die sich im Winde wiegten.
An diesem herrlichen Ort fühlten sich unsere Freunde wie neu geboren.
Hier im blühenden Grün rasteten sie und gönnten sich eine ausgiebige, wohltuende Körperpflege.
Sie waren von der bisherigen Reise erschöpft und mussten ihren Schlafbedarf ausgleichen.
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Sie wurden von bewaffneten Männer wachgerüttelt.
"Da wird sich unser Omar Pascha sehr freuen", frohlockte einer von ihnen, "wenn wir ihm ein paar Sklaven bringen, die er in Stambul verkaufen kann."
"Ja", grinste ein Zweiter, "seitdem ich mich euch angeschlossen habe und gutes Geld verdiene, hat sich mein Leben zum Guten gewendet."
Georg Bauer, Old Gunsmith und Peter Wolf waren schockiert.
Nach all den überstandenen Naturgewalten mussten sie zu allem Übel ausgerechnet in die Hände von Menschenhändlern fallen.
Gunsmith war jetzt völlig am Boden.
Er befürchtete in diesem Augenblick, Ann Mary niemals wieder zu sehen und auch Georg Bauer erging es nicht viel besser.
Der Einzige von den Freunden, der einen kühlen Kopf bewahrte, war Peter Wolf.
Er überlegte einen kurzen Moment und fand, dass die Dinge für sie gar nicht allzu schlecht standen.
Aufgebracht rappelte er sich hoch und fauchte die Menschenhändler zornig an.
"Euer Omar Pascha wird euch die Hölle heiß machen, wenn er meint, er könnte zwei Männer aus Alemannia festhalten."
"Schweig!", schrie ein Dritter und stieß Peter Wolf den Gewehrkolben in den Magen.
Trotz der dumpfen Schmerzen in der Magengegend ließ Peter Wolf nicht locker.
"Ihr solltet mir Glauben schenken. Der ehrwürdige Sultan und der Kaiser der Alemannen sind gut befreundet. Er sieht es bestimmt nicht gern, wenn den Alemannen ein Leid geschieht."
Die Menschenhändler steckten die Köpfe zusammen und debattierten wild gestikulierend.
Nach einer Weile sprach einer von ihnen gebieterisch.
"Vorerst seid ihr unsere Gefangenen. Omar Pascha wird über eure Freiheit entscheiden. Aber der Jude wird verkauft."
Peter Wolf war für den Anfang zufrieden und erahnte schon die Entscheidung ihres Herrn.
Er gab daher vorerst Ruhe.
Die Schurken nahmen ihren Gefangenen die Waffen sowie die Pferde ab, banden ihre Hände auf den Rücken und trieben die Freunde einem unbestimmten Ort entgegen
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In der Nähe der Oase gab es eine verlassene Siedlung, das Ziel der Menschenhändler.
Die Gefangenen wurden in eine Lehmhütte gepfercht, die außer einer hölzernen Brettertür zwar keine Fensteröffnungen hatte, bei der jedoch das Tageslicht durch das kaputte Schilfdach hineinschien.
So konnten sie zwei weitere Gefangene erkennen, die ebenfalls in der Hütte festgehalten wurden.
Gunsmith traute seinen Augen nicht, eine der beiden Gefangenen war seine Tochter Ann Mary.
Seine Freude war trotz der misslichen Lage groß.
Der andere Gefangene war natürlich Abdul, der König der Straßendiebe.
"Ann Mary", Gunsmith umarmte seine Tochter glücklich. "Gott sei Dank, dass wir uns wiederhaben. Ich habe unzählige Ängste ausgestanden."
"Vater", Ann Mary weinte vor Freude.
Ihre Tränen kullerten in Gunsmiths Nacken.
"Es ist mir mit Abdul nicht so schlecht ergangen, als du vielleicht denkst."
"Dann habe ich Abdul wohl völlig falsch eingeschätzt?"
"Er liebt mich von ganzem Herzen und hat sich auf dem strapaziösen Weg bisher rührend um mich gekümmert."
"Wenn Abdul doch wenigstens ein nützliches Handwerk erlernt hätte, dann könnte er dich ohne weiteres zur Frau bekommen, aber er streckt meinen Diener nieder und entführt dich obendrein in dies Gegend, wo sich die Füchse gute Nacht sagen. Das verzeihe ich ihm nie und nimmer."
"Aber Effendi Gunsmith", erwiderte Abdul säuerlich, "mein Handwerk ist ebenso ehrbar wie das ihrige! Sie stellen Waffen her, mit denen Menschen getötet werden können und verlangen für dieses Mordwerkzeug obendrein viel Geld. Ich dagegen stehle nur von denen, die genügend Reichtümer besitzen. Was also finden sie schlecht an mir? Keiner von uns sollte das Tun des anderen kritisieren, wenn doch beide Handwerke einen bitteren Nachgeschmack haben."
Der alte Gunsmith schaute verlegen bei Seite.
Abdul sah sich als ebenso ehrbarer Bürger in Jiddah wie Old Gunsmith, obwohl er nicht an seinen materiellen Verhältnissen gemessen werden wollte.
Natürlich durfte Old Gunsmith nach seinem Cowboyverständnis nicht gelten lassen und konterte gleich, "Und warum entführst du dann so klammheimlich meine Tochter, wenn du doch so ein ehrbarer Bürger bist? Dein Allah möge dich dafür hart bestrafen."
"Es war die einzige Chance, Ann Mary jemals zur Frau zu bekommen. Wenn diese Menschenhändler nicht gewesen wären, dann hätte Ann Mary bereits meinen Glauben angenommen und ich hätte alles für sie getan, um gut für sie zu sorgen."
"Lass gut sein! Ich möchte dich keinesfalls in meiner Familie haben."
Ann Mary war mit den Ausführungen ihres Vater ganz und gar nicht einverstanden.
Traurig sprach sie, "Vater, ich möchte, dass du weißt, dass ich für Abdul tiefe Sympathien empfinde und du ihm eine Chance gibst. Er muss mir aber vor Gott versichern, dass er ein solides Handwerk erlernt."
"Das ist doch nicht etwa dein ernst!", tobte Gunsmith. "Meine Tochter wird flügge. Aber wenn du so darauf drängst, dann könnte ich Abdul auch in meiner Werkstatt beschäftigen."
Abdul war überglücklich, dass Ann Mary zu ihm gestanden hatte, doch seine Freude war nur von kurzer Dauer.
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Ein dicker Türke mit gezwirbeltem Bart öffnete die Tür und wies die beiden Deutschen an, nach Außen zu kommen.
"Ihr seid die beiden Alemannen?", vergewisserte er sich.
"Ja, das erkennen sie ja wohl an unserer Sprache.", antwortete Georg Bauer dem Türken.
"Ihr seid frei, weil ihr Menschen von einem befreundeten Volk unseres verehrten Padischahs seid."
"Und unsere Freunde in der Hütte?"
"Das sind keine Alemannen und werden von uns als Sklaven verkauft. Seid nur froh, dass wir euch so gnädig sind. Wir hätten euch auch die Zunge herausschneiden können, dann hätte keiner mitbekommen, dass ihr aus Alemannia seid."
"Hab Dank großer Omar Pascha", verneigte sich Peter Wolf mit schelmischem Gesicht, "dass du großmütig zu uns bist. Wir werden dir das natürlich niemals vergessen."
Die drei Mitstreiter des Türken gaben den Deutschen auf Omar Paschas Geheiß die Pferde und die Waffen zurück.
Nur Georg Bauers neues Gewehr fehlte.
Er fragte deswegen.
"Darf ich mein Gewehr auch zurück haben?"
"Nein", triumphierte Omar Pascha. "Diese edle Waffe wird zukünftig meine Satteltasche schmücken."
Zähneknirschend wegen des Verlustes der Waffe, bestieg Georg Bauer sein Pferd und preschte davon.
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Peter Wolf hatte Mühe seinem Freund zu folgen.
Er hörte noch die Menschenhändler hämisch lachen, die in der verlassenen Siedlung zurück blieben.
Peter wusste nur zu gut, dass sein Freund Georg die Gefangenen befreien würde und sich obendrein das Gewehr zurückholt.
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Zwei Männer pirschten sich in dunkler Nacht zum verlassenen Dorf vor, dass nur durch die züngelnden Flammen eines kleinen Feuers ausgeleuchtet war, an dem wiederum vier andere Männer, eingehüllt in dicke Wolldecken, saßen.
"Schade", sprach Omar Pascha zu seinen Kumpanen, "uns sind dreihundert Piaster verloren gegangen, weil unser erhabener Großherr mit diesen bleichen Alemans gemeinsame Sache macht."
"Dafür bringt uns der Rest gute Vierhundert ein."
"Das ist ja ungemein beruhigend", spottete der Türke. "Es hätten aber Siebenhundert sein können."
"Dann müssen wir demnächst bei passender Gelegenheit erneut zuschlagen. Das Gebiet ist gut bereist und so werden wir schon bald neues Menschenmaterial einfangen. Aber denkt daran, immer alle Spuren zu beseitigen. Ich verspüre gar keine Lust in die Hände der Milizen von Medina zu fallen."
Omar Pascha zog mit der Handkante am Hals entlang, was bedeutete, dass es ihnen dann an den Kragen geht.
"Schlafen wir jetzt. Wir müssen morgen Früh zum Meer aufbrechen, wo uns ein Segelschiff erwartet."
Georg Bauer und Peter Wolf hatten lautlos das Lager erreicht und das Gespräch der Sklavenjäger mit angehört.
Beide hielten den Moment für günstig, den vier Schurken ihre Revolver unter die Nase zu halten.
Sie zielten mit den Waffen auf ihre Gegner.
Georg sprach zu ihnen höhnisch, "ich glaube mit Sicherheit, dass ihr die anderen vierhundert Piaster ebenfalls einbüßen werdet. Glaubt ihr ernsthaft, dass sich Freunde im Stich lassen?"
Erschrocken fuhren die Menschenhändler auf.
"Ist das der Dank", jammerte Omar Pascha, "dass ich euch laufen ließ?"
"Wir werden euch gar nichts antun", beruhigte ihn Peter Wolf, "seid also unbesorgt. Wir holen nur unsere drei Freunde zurück und stecken euch dafür in die Hütte, in die ihr die Gefangenen einpfercht habt. Was dann mit euch geschieht, entscheiden wir später. Euer Betragen wird dabei eine wesentliche Rolle spielen."
Georg nahm den Männern die Waffen ab und legte sie auf einen Haufen.
Nur sein neues Gewehr nahm er an sich.
Er wollte es um keinen Preis der Welt wieder aus der Hand geben.
Er strich über den blanken Lauf.
Danach führten die beiden Freunde die Banditen zur Hütte.
Omar Pascha öffnete die Tür und beorderte die drei Gefangenen heraus.
Natürlich war die Wiedersehensfreude groß und nachdem die Menschenhändler in der Hütte einsaßen, lag man sich in den Armen.
Old Gunsmith klopfte Peter Wolf väterlich auf die Schulter und lobte ihn.
Du Kerl bist besser als manch ein Prärieläufer, obwohl es dein erstes großes Abenteuer war. Von dir kann selbst Georg noch das Eine oder Andere lernen."
"Du hast recht", brummte Georg Bauer verlegen, "auf den Gedanken mit der Freundschaft der beiden Kaiser wäre ich im Leben nie gekommen. Das hat uns die Freiheit gerettet."
"Als Seemann kam ich auf der Welt herum und da habe von Dingen erfahren, die sich als nützlich erweisen können."
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Peter Wolfs erstes großes Abenteuer war hier zu Ende.
Georg Bauer erklärte sich bereit, mit Abdul und Ann Mary nach Medina zu reisen.
Er wollte ein echter Hadschi werden.
Er hatte hier unter Allahs Sonne eine neue Heimat gefunden und so wollte er selbst auf die traditionelle Hadsch.
Am nächsten Morgen brachen die Drei also nach Medina auf.
Derweil blieben Peter Wolf und Gunsmith im Dorf zurück.
Sie hielten hier Wache und erhalten sich von den bisherigen Strapazen der vergangenen Tage.
Die anderen erreichten am späten Nachmittag die Oasenstadt Al Madina, von den Europäern Medina genannt, mit ihren ausgedehnten Dattelhainen und den farbenfrohen Gemüsegärten.
Diese Stadt war neben Mekka seit Menschengedenken der zweitwichtigste Wallfahrtsort der Muslime.
Die gläubigen Pilger reisten hierher, um in der großen Moschee an den Gräbern von Mohammed, seiner Tochter Fatima, den Kalifen Abu Bakr und Omar ihre Gebete zu verrichten.
Diese Reisen nennen Muslime die kleine Hadsch und dürfen den Titel Hadschi vor ihrem eigentlichen Namen tragen.
Diese Zeremonie wurde vollendet, als die Drei sich vor den Gräbern der Genannten niederbeugten.
Georg Bauer und Abdul waren jetzt Hadschis, außerdem konnte Abdul endlich seine angebetete Ann Mary zur Frau nehmen.
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Nach ihrer aller Rückkehr fand in Jiddah eine Heirat in kleiner Runde statt.
Als eingeladene Gäste waren nur die zwei Deutschen dabei.
Während das junge Paar sich in die stillen Ecken des Gartens zurückzog, um sich mit Zärtlichkeiten zu verwöhnen, stritten die Freunde und Gunsmith, damit sie einen geeigneten Namen für Georg Bauer fänden.
Dabei erhitzten sich ihre Gemüter.
Old Gunsmith fand im Streit einen durchaus geeigneten Namen für Georg.
"Ich glaube, dass wir dich Hadschi el Aleman, Reisender vom Stamme der deutschen Väter nennen."
Dass dieser Name dann allen gut gefiel, war auch dem Umstand zu verdanken, dass Gunsmith in seiner Werkstatt einen guten Tropfen Whisky gelagert hatte, mit dem sie auf den Namen anstießen.
Im Großen und Ganzen waren alle mit dem Ausgang der Geschichte zufrieden.
Gunsmith hatte einen Gesellen, der seinen traditionellen Beruf über seine Tage weiterführen würde.
Ann Mary hatte einen Ehemann, der sie alles auf der Welt verehrt und aufrichtig liebt.
Ihnen allen bleibt die Erinnerung an die Reise nach Medina.

-Ende-

(C) Jens Richter
1988

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