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geschrieben 2023 von Jens Richter (Jens Richter).
Veröffentlicht: 30.10.2023. Rubrik: Kinder und Jugend


Das Seifenkistenrennen

Als rasender Reporter unserer Schulzeitung, erinnere ich mich gerne an jene Episode zurück, als der Stern eines der begabtesten Schüler, die unsere Schule je hervorgebracht hatte, aufgegangen war.
Wie jedes Jahr fand am Anfang der Sommerferien ein traditionelles Seifenkistenrennen der Oberprimaner in Wolkenkuckucksheim statt.
Das war nicht etwa nur ein Leistungsvergleich pubertierender Jungs, nein, zwischenzeitlich hat dieses Rennen Ausmaße angenommen, die an ein Volksfest erinnern.
Es gab da für jeden etwas, Eisstände, Bratwurstbuden, Schausteller, Schießbuden und Tombolas - eben das Event des Sommers.
Die Rennstrecke war streng festgelegt und führte auf der Hauptstraße bergab vom Ober- zum Unterdorf.
Bisher gewann jeden Sommer ein Junge aus dem Oberdorf das Rennen.
Das lag aber nicht daran, dass die Oberdörfler die besseren Seifenkisten bauten, nein, die Unterdörfler hatten einfach keinen männlichen Nachwuchs und Mädchen durften am Rennen nicht teilnehmen.
So landete der Pokal jedes Jahr im Vereinszimmer des Gasthofes im Oberdorf.
Dieses Jahr jedoch sollte alles auf den Kopf gestellt werden.
Frieder war seit langer Zeit der erste Junge aus dem Unterdorf, der das passende Alter hatte und die Starterlaubnis erhielt.
Die Jungen aus dem Oberdorf waren natürlich auch neugierig, mit welchem Gefährt Frieder am Startpunkt antreten wollte.
Sie lunschten in Zeitabständen immer einmal durch das Schlüsselloch seiner Werkstatt-Tür und sahen über Wochen hinweg nur das Grundgestell seines Vehikels, mit den gummibereiften Speichenrädern, der Lenkung sowie dem gepolsterten Sitz.
Die Gummibereifung war schon einmal ein Novum, denn die anderen Teilnehmer benutzten mit Stahlband überzogene Holzräder und so war für diese die ca. 5 minütige Fahrt der blanke Höllenritt.
Frieder übte selbst bei seinen Trainingsläufen mit seinem "unfertigen" Fahrgestell.
Im Oberdorf nahm man daraufhin an, dass Frieder mit diesem Vehikel am Rennen teilnehmen würde und man war sich des Sieges schon allzu gewiss.
Frieder hingegen war guter Dinge, denn im Training erreichte er locker die Fahrtzeiten der Jungen aus dem Vorjahr und er hatte da auch noch einen Joker in der Hinterhand.
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Der Tag des großen Rennens rückten heran und die Teilnehmer staunten nicht schlecht, als Frieder mit seiner Seifenkiste am Startpunkt ankam.
Seine Seifenkiste war voll verkleidet und mit hellblauem Lack angepinselt.
Es glich eher einer Pfeilspitze, als einer Seifenkiste.
Vom ehemaligen Gestell war nichts mehr zu erkennen.
An den beiden Längsseiten leuchtete eine große weiße Eins.
Frieder schmunzelte und sprach dabei, "Das ist ist mein Anspruch! Ich möchte in diesem Jahr Sieger werden."
Den Oberdörflern schwante es bereits, dass es heute für sie eng werden könnte.
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Die Regeln bestanden so schon über viele Jahre fest.
Jeder Teilnehmer fuhr einzeln auf der reichlich 2 Kilometer langen Strecke.
Im Unterdorf am Ziel stand ein Zeitnehmer, der nach dem Ertönen des Startschusses, mittels einer Stoppuhr die Zeit nahm und in einer Liste eintrug.
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Dann begann der Wettbewerb.
Die Jungen starteten in der Reihenfolge wie sie im letzten Jahr die Ziellinie überfahren hatten.
Folgerichtig war Frieder derjenige, der zum Schluss startete.
Dann war er auch schon an der Reihe und was soll ich schreiben, alle Augen ruhten auf ihm, der die Ruhe selbst war.
Die Fahrt verlief anfangs relativ reibungslos.
Jedoch kurz vor dem Unterdorf passierte es.
Der Dackel von Frau Dietrich sah eine Katze auf der anderen Straßenseite, riss sich plötzlich los und hetzte über die Straße.
Die Zuschauer am Straßenrand hielten sich erschrocken die Augen zu, sahen sie doch im Geiste schon den Zusammenprall kommen.
Frieder musste so scharf bremsen, dass er mit seiner Seifenkiste den Dackel umfahren konnte, ohne dass es zur befürchteten Karambolage kam.
Die Zuschauer klatschten Beifall.
Dieses Ausweichmanöver hatte natürlich einen großen Zeitverlust zur Folge.
Hoffentlich schaffte er es dennoch die Zeiten der anderen Fahrer zu unterbieten.
Er blieb ungewöhnlich ruhig.
Mit Hektik konnte er gerade auch nichts mehr ändern.
Schnell kam sein Vehikel, dank der Gummibereifung wieder auf ein sportliches Tempo.
Frieder rauschte trotz des Zwischenfalls mit ein paar Hundertstelsekunden Vorsprung vor den anderen Teilnehmern ins Ziel.
Die Sensation in Wolkenkuckucksheim war perfekt.
Unter dem Jubel der Unterdörfler wurde Frieder immer wieder in die Höhe gehoben.
Sie trugen ihren Sieger voller Stolz durch das gesamte Dorf.
Endlich hatten sie den Pokal gewonnen.
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Und wer's nicht glaubt, der möge bitte unsere Schule in Wolkenkuckucksheim besuchen, wo die hellblaue Seifenkiste heute im Foyer besichtigt werden kann.
Dazu jede Menge anderer Medaillen und Urkunden, die Frieder in späterer Zeit als genialer Konstrukteur verliehen bekommen hatte.
Übrigens dort, wo es im Unterdorf am Lautesten hämmert, dort lebt, liebt und lacht unser Frieder.

Ende

Jens Richter (C), 2023

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von marjah am 05.11.2023:
Kommentar gern gelesen.
Ergäbe mit entsprechenden Zeichnungen sicher ein nettes Kinderbuch :-)))
Vielleicht auch im Radio (Bayerischer Rundfunk) ein Betthupferl?
LG marjah




geschrieben von Jens Richter am 05.11.2023:

Hallo marjah,
diese kleine Geschichte habe ich ursprünglich für meinen Enkel geschrieben, nachdem ich zufällig in der Dorfzeitung unseres Nachbardorfes gelesen hatte, dass der Feuerwehrverein ein Seifenkistenrennen als Höhepunkt des Dorffestes plant.
Später hatte ich die Geschichte auch noch den Veranstaltern zur Verfügung gestellt, die sie meines Wissens den Teilnehmern an die Urkunden geheftet hatten.
Leider konnte ich bei dem Rennen selbst nicht teilnehmen, da unser Dorf just an diesem Wochenende ebenfalls ein großes Dorffest am Laufen hatte.
Hier noch der Link dazu:
https://fw-heimatverein-mobschatz.de/nachrichten.html?anker=R%C3%BCckblick%20auf%20das%20gro%C3%9Fe%20Dorffest#R%C3%BCckblick%20auf%20das%20gro%C3%9Fe%20Dorffest
😎
Danke für Deinen Kommentar und die Bewertung.
Liebe Grüße aus dem Sächsischen, Jens

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