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geschrieben 2023 von Sprüngli (Sprüngli).
Veröffentlicht: 22.12.2023. Rubrik: Menschliches


Rafael

“Du siehst nach einem Whiskey on the Rocks aus.”
Rafael ist überrascht. Whisky mochte er noch nie. Der Barkeeper hat etwas sehr Exotisches. Einen riesigen Pferdeschwanz aus Dreadlocks, dazu ein fein geschnittenes, fast androgynes Gesicht und ein Septum Piercing. Das haben jetzt viele. Rafael muss da immer an die Worte seines Großvaters denken, dass man mit diesem Ring die Bullen zurück in den Stall führt. Sein Großvater war so ein richtiger Bauer aus einem bayerischen Dorf, hochgradig katholisch und konservativ.
“Klar, wenn ich schon so aussehe.” Mehr fällt Rafael eh grad nicht ein. Sonst ist er so gut darin, mit Wörtern umzugehen und das Richtige zu sagen, deswegen hat er seinen Job bekommen, aber seit den letzten Worten, die er gesprochen hat, fühlt er sich gar nicht mehr gut. Er hatte es sich so schön ausgemalt bis ins kleinste Detail. Es sollte eine entscheidende Wendung bringen in seinem Leben und es lief auch alles super. Aber…
“Das Getränk für den werten Herren.” Diesen altbackenen Humor kann sich der Barkeeper auch nur leisten, weil er so aussieht. Vermutlich hat er den Job auch nur bekommen wegen seines Aussehens. Whisky und Eis in ein Glas zu füllen, ist nun wirklich nicht die hohe Kunst des Cocktail mixen. Eigentlich hätte Rafael auch lieber einen Long Island Ice Tea gehabt, nach der Raffi Spezialmischung schön süß mit richtig Wumms. Er nippt an dem Whisky, denn er wollte den bitteren Geschmack auf der Zunge endlich loswerden. Wie erwartet mag er auch den Whisky nicht und das Bittere brennt sich nun die Kehle runter.
“Jameson Whisky aus Dublin dreifach destilliert. Mein Chef schwört drauf, dass es keinen Besseren gibt.” Rafael nickt schwächlich. Alles, nur bitte keine Fachgespräche zu Spirituosen. Dabei fing alles eigentlich an mit Spirituosen. Er hatte mit seinem besten Freund Mark einen Cocktailkurs gemacht in dieser hippen Bar. Es war Marks Idee, da sie meistens die gleichen Getränke zum Vorglühen tranken Cuba Libre oder Gin Tonic. Und beim Cocktailkurs war auch diese nette Mädels Gruppe rund um Babette. Nachdem sie sich durch “Pina Coladas” und “Sex on the Beaches” geschlürft haben, war die Stimmung so gut, dass sie in die nächste Karaokebar weitergezogen sind und er hat dann “Every Breath You Take” von Police gesungen und damit hat er sie bekommen, Babette. Das zieht bei Frauen immer, Songs! Schon in der Schule hat er in der großen Pause immer Bon Jovi Songs gespielt. Mark hatte die Gitarre dabei und er hat gesungen. Was haben Sie dabei immer gelacht und dann die schönsten Mädels beeindruckt.
Tja, und nun sind Babette und er ein Paar und das schon seit 7 Jahren. Seine Mutter fing vor kurzem an, immer von den Enkeln ihrer Freundinnen zu reden. Auch traf sich Babette so häufig mit seiner Mutter und irgendwie heckten sie ständig etwas aus. Aktuell ist die Idee in ein größeres Haus zu ziehen, damit mehr Raum ist für… Ja für was eigentlich?
Rafael nimmt jetzt einen ordentlichen Schluck Whisky. Jetzt ist er nicht mehr so bitter. Das Eis ist auch schon halb geschmolzen. Und dann ließ Babette auch immer wie zufällig diese blöden Zeitschriften liegen “New Bride”, “Brigitte Wedding” er hätte nie gedacht, dass es da so viele Magazine gab. Und irgendwie gehört es ja dazu und auch Mark meint, ja nach 7 Jahren, was erwartest du?
Und so hat er es gewagt. Er weiß ja, dass Babette gerne wandern geht. Sie hat etwas zähes, sehniges an sich. Das mochte er auch schon immer an ihr. Wenn sie mal in der Wildnis ausgesetzt wären, dann wird es Babette sein, die sie beide rettet. Und so hatte er auf der Hütte angerufen, den Champagner und einen Strauß Rosen bereitstellen lassen, einen wunderschönen Ring in Goldgelb mit Gravur und Steinchen anfertigen lassen. Er hatte auch in den besagten Zeitschriften geblättert und fand seine Idee originell und passend. Es hatte etwas Wildromantisches. Das ist nun 3 Stunden her. Der Ring passte perfekt, der Champagner war kalt, Babette hatte Tränen in den Augen, sich an ihn geschmiegt “ja” gesagt und das Wörtchen endlich hinterhergeschoben.
Direkt nach dem Abstieg vom Berg wollte sie zu ihren Freundinnen und die frohe Botschaft verkünden. Und seitdem sitzt er in dieser Bar. Sein Whiskyglas ist leer. Der Barkeeper gibt Rafael ein Zeichen, was immer das heißen mag. Rafael stellt ihm sein Glas hin und sagt einen Doppelten. Jetzt fließt das dreifach destillierte Gesöff nicht mehr ganz so bitter den Rachen hinab.
Warum fühlt er sich so elend jetzt? Babette war wirklich die perfekte Frau für ihn, sie lachten viel zusammen, unternahmen viel. Sie mochte sein Essen und er war da durchaus experimentell unterwegs. Sie verstand sich sehr gut mit seiner Familie und auch mit Mark. Vielleicht sollte er Mark noch eine Nachricht schicken, dass alles gut geklappt hat. “Hey MarkyMark, du bekommst die erste Nachricht von einem verlobten Mann, es hat alles gut geklappt, Babette war völlig überwältigt, du kannst es in ihrem Status sehen.” Danach noch ein Smiley mit explodierenden Kopf. Marks Antwort lässt nicht lange auf sich warten. “Ich werde dich dann in der Vorhölle besuchen, freue mich für Babette.” Er endet mit einem Zwinkersmiley.
Der doppelte Whisky ist schon wieder leer, diesmal gibt Rafael dem Barkeeper ein Zeichen, ein Winken mit zwei Fingern, er versteht. Nachdem er Rafael dieses Glas hingestellt hat, meint er “Ich wusste es, du bist ein “Whiskey on The Rocks”-Typ” Rafael gibt ein kurzes Kieksen von sich, er war so überrascht von dieser Falschaussage, dass sein Ironie Filter Ausgabe nicht mal funktionierte. “Ja, du hast eine gute Menschenkenntnis. Was siehst du denn noch?” - “Ich denke, du bist ziemlich unglücklich.” Ja, einsam in einer Bar zu sitzen bei noch fast helllichten Tag und schon den dritten Drink intus zu haben, lässt auf einiges an Unglück schließen.
“Echt und was kann ich machen, damit ich nicht mehr so unglücklich bin?” Wenn der Barkeeper schon so schlau daher redet, dann kann er auch gleich mit Lösungen ums Eck kommen. “Warte kurz.” Der Barkeeper verschwindet in das Lager hinter der Bar. Rafael sieht sich in der Bar um. Irgendwie ist hier gar nichts los. Was macht er hier? Der Barkeeper kam zurück mit einem Flyer. “Therapeutisches Malen und Körper malen” steht darauf. “Das macht ein Freund von mir, der ist auch eine Schwester und hat sich lange verstellt.´” - “Du meinst Bruder, in welchem Orden ist er denn?” Rafael hatte tatsächlich auch länger überlegt, Theologie zu studieren und vielleicht ins Priesterseminar zu gehen. Seine Mutter hatte während seiner ganzen Kindheit immer von dem Pfarrer in seiner Gemeinde geschwärmt, auch Rafael mochte ihn sehr den Pfarrer Müller. Seine weltlichen Gelüste, der Alkohol, die Partys haben ihn immer abgehalten, den Weg einzuschlagen.
“Nein, Schwester, er ist schwul, homosexuell, gay, vom anderen Ufer, eine Tucke, und der hat sich erst mit 42 Jahren geoutet, und jetzt macht er dieses wunderbare therapeutische Malen. Da kann man wirklich ins Spüren kommen. Das hat mir damals auch sehr geholfen bei meinem Outing.” In Rafaels Ohren rauschte es. Was hat dieser Bullen-Nasenring-Typ gesagt, dieser Weibische. Was?
“Ich schwul… Ich habe mich grad verlobt MIT EINER FRAU, wohl bemerkt, wie kommst du darauf? Ich bin nicht schwul.” Der Barkeeper fasst sich erschrocken an seine Brust. “O ich gratuliere dir.” Der Barkeeper nimmt eine Serviette in die Hand und wischt sich über die Augen. “Verzeihung, ich dachte nur… weil alle Zeichen… wie du mich angesehen hast… auch, dass du nochmal Whisky bestellt hast, obwohl er dir offensichtlich nicht schmeckt.” Jetzt rauschen nicht nur Rafaels Ohren auf seiner Brust ist ein tonnenschweres Gewicht. Er kann nicht anders, fängt bitterlich zu weinen an. Lauter Bilder kommen in seinen Kopf. Pfarrer Müller, wie er zärtlich Rafaels Kopf streichelt und sagt, dass er ein ganz besonderer Junge sei, seine Mutter, wie sie die Pride Parade im Fernsehen sieht und sagt, das sei wider der Natur und immer wieder Mark beim Singen, beim Trinken, beim Wandern und laut Lachen. Er schluchzt laut, der Barkeeper umarmt ihn und als er sich einigermaßen beruhigt hat, schreibt Rafael zwei Nachrichten.
Eine an Babett: “Ich löse die Verlobung auf. Du bist eine wundervolle Person, aber ich bin nicht dein Mann. Und ich kann dich nicht heiraten”
Und eine an Mark. “Ich liebe dich. Schon immer.”

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