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4xhab ich gern gelesen
geschrieben von Weißehex.
Veröffentlicht: 21.02.2024. Rubrik: Satirisches


In 100 Jahren

Ich war reichlich nervös, als ich - mit zwei Mitbewerberinnen, eine blond wie ich, eine rothaarig - im Vorzimmer meines (hoffentlich) nächsten Chefs saß, und knetete meine Finger. In Gedanken ging ich noch einmal das Gespräch mit Mike gestern Abend durch.
„Du weißt, was du sagen musst?", fragte er mich.
„Sicher."
„Gut, nichts Falsches sagen, das ist wichtig, im Hinblick darauf, falls du den Job nicht bekommst, für das nächste Bewerbungsgespräch."
„Wieso? Das wird nicht weitergegeben, selbst wenn ich Mist baue."
Mike sah mich mitleidig an. „Du hast immer noch nicht verstanden, dass alles verwanzt ist?"
„Da doch nicht. Ist doch kein Geheimtreffen, Mike." Manchmal erinnerte Mike mich an einen Verschwörungstheoretiker. „Ich werde schon nichts politisch Unkorrektes sagen."
„Hoffentlich, Nancy, du trägst mit deinem Namen ja auch eine Verantwortung."
Ich nickte, meine Eltern hatten sich gewiss etwas dabei gedacht, als sie mich nach jener - schon damals nicht mehr ganz taufrischen - Blondine nannten, deren Konterfei an der Wand im Esszimmer hing und mir jeden Tag den Appetit verdorben hatte.
Mikes Blick wechselte von mitleidig zu streng.
„Gut, und du weißt, was du ankreuzen musst?"
„Jaaaa ...", und weil ich keine Lust mehr hatte, lenkte ich ihn ab. Mit Sex, das klappt bei Männern immer. Jedenfalls bei Mike. Jetzt, im Vorzimmer meines (hoffentlich nächsten) Chefs bedauerte ich das ein wenig. Zu wissen, was ich ankreuzen musste, wäre vielleicht hilfreich gewesen.

SatirepatzerSatirepatzerDie Tür öffnete sich, und eine Braunhaarige schaute heraus. Wahrscheinlich die Chefsekretärin. Oder Vorzimmerdame, wie das früher hieß. „Guten Morgen, meine Damen", sagte sie freundlich. „Treten Sie ein."
„Alle zusammen?", fragte die Rothaarige, während wir drei uns erhoben, und die Chefsekretärin nickte. Obwohl wir im Vorzimmer kein Wort miteinander gewechselt hatten, stellte sich jetzt etwas wie ein kameradschaftliches Gefühl mit den anderen bei mir ein. Hier mussten wir jetzt alle durch.
Im angrenzenden Zimmer standen drei Stehtische. Die Chefsekretärin wies jeder von uns einen zu und verteilte Fragebögen. Ich fluchte innerlich. Ich hatte keine Ahnung, was ich ankreuzen musste. Die Braunhaarige verteilte Stifte, die ein hübsches Logo aufwiesen. Ich starrte darauf, es war eines einer NGO-Organisation. War das jetzt politisch oder unpolitisch? Hätte ich nur Mike ausreden lassen.
„Das ist für die Vorauswahl", erklärte die Vorzimmertante, die mir immer unsympathischer wurde. „Wer alles richtig ausgefüllt hat, wird zum nächsten Vorstellungsgespräch eingeladen."
„Und wenn wir alle alles richtig machen?", fragte die Blonde.
„Werden alle wieder eingeladen." Die Braunhaarige zeigte ein Lächeln und schaute auf ihre Armbanduhr. „Wenn ich ‚los' sage, läuft die Zeit. Achtung, es geht ‚los.'
Wir griffen alle drei wie wild nach den Stiften und kritzelten los. Das heißt, die anderen kritzelten. Ich hielt den Stift in der Luft, starrte auf die Fragen und überlegte, was ich ankreuzen sollte.

„Wo stehen Sie politisch?"
Links natürlich. Rechts war seit 60 Jahren verpönt. Das war ja noch einfach.

„Wann haben sie das letzte Mal an einer Demonstration gegen rechts teilgenommen?"
Verdammt, noch nie. Obwohl regelmäßig Parteien, Kirchen und Organisationen dazu aufriefen. Es war falsch, nicht hinzugehen, das hatte ich jetzt von meiner Demonstrationsverweigerung. Aber egal, wer könnte das nachprüfen. Also kreuzte ich „Vor einer Woche" an.

„Beschreiben Sie die neue Fassung des Demokratiefördergesetzes!" In Klammern stand: 22. Fassung. Ich warf das Handtuch und den Stift hin. Mit diesem Gesetz hatte ich mich nicht wirklich beschäftigt. Es reichte schließlich, nichts zu sagen, wenn man alles richtig machen wollte.
Nicht beim Bewerbungsgespräch.
„Sie haben nicht alle Fragen beantwortet", sagte die Braunhaarige, die mich inzwischen an Lucy von den Peanuts erinnerte, warum auch immer.
„Ja ... Entschuldigen Sie, mir ist nicht gut. Ich habe gestern wohl zu viele Erdnüsse gegessen. Ich muss an die frische Luft."
Ich wollte an ihr vorbei, aber sie versperrte mir den Weg und runzelte die Stirn. „Erdnüsse? Doch hoffentlich vegan?"
„Selbstverständlich", lächelte ich. „Aber ich muss jetzt wirklich an die frische Luft." Ich drängte mich an ihr vorbei und sah aus den Augenwinkeln, wie sie einen Vermerk auf meinen Fragebogen machte. Wahrscheinlich „nicht geeignet."

„Wie ist es gelaufen?", fragte Mike zu Hause.
Ich gab ihm einen Kuss. „Reden wir jetzt nicht drüber. Ich habe eine bessere Idee."

Wenigstens das klappt immer.

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