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5xhab ich gern gelesen
geschrieben von rubber sole.
Veröffentlicht: 27.05.2024. Rubrik: Unsortiert


Geräusche

Derartiges wurde mir in meiner langjährigen Tätigkeit als 'Noise Buster' noch nie so beschrieben: das störende Geräusch kommt durch das Mauerwerk und fließt die Wand runter. Der Kunde, der dies so beschrieb, war von mir vorher als seriös eingestuft worden. Ich hatte ihm in den vorangegangenen Jahren in etlichen Fällen von Lärmbelästigung helfen können. Klärungen bei Beeinträchtigungen durch von Nachbarn verursachter Geräusche kamen am häufigsten vor. Selbst die nervenaufreibenden nächtlichen Störungen durch eine Mardersippe hatte ich beseitigen können. Als Höhepunkt konnte ich nun auch den Lärm aus seiner Wand diagnostizieren und letztlich eliminieren. Es handelte sich um Gesprächsfetzen einer in der Nähe patrouillierenden Einheit der Zollfahndung, deren Funkverkehr Interferenzen zur internen Verkabelung mehrerer Bluetooth Hi-Techgeräten des Kunden aufbauten. Der war natürlich hochzufrieden mit dieser Leistung; meiner Reputation als 'Geräuschsommelier' tat dieses sehr gut.

Dann aber änderte sich das Verhältnis dieses Kunden zu Geräuschen im Allgemeinen. Er reagierte hypersensibel auf Schall und Laute in seiner Umgebung, die er nicht sofort einordnen konnte. Er stand unter einem starken Leidensdruck und tat mir an dieser Stelle leid. Ich beschloss, ihm zu helfen, als 'Personal Noise Coach' zu einem äußerst attraktiven Honorar. Fortan nahm ich keine anderen Aufträge mehr an, dafür wäre auch nicht mehr genügend Zeit gewesen.

Und die sensorische Entwicklung dieses geräuschsensiblen Menschen nahm an Fahrt auf. Sein Anliegen an mich war es nun, Geräusche schon aufzuspüren, bevor sie ihn belasten, zu analysieren, zu speichern und bei Bedarf zu beseitigen. Zunächst eine höchst interessante Aufgabe für mich als lärmaffinen Zeitgenossen. So zogen wir, mit diversen Mikrofonen und anderen Geräten ausgestattet, durch Stadt und über Land, immer weitere Kreise ziehend, monatelang. Irgendwann glaubten wir, sie alle zu haben, die Töne und Klänge, die als störend empfunden werden könnten. Weit gefehlt, es gab einfach zu viel Lärm um uns herum. Dann der Bruch, wir kamen uns vor wie Sisyphus vor einem nicht zu bewältigenden Berg von Geräuschen, wir gaben auf.

Mein bisheriger Auftraggeber stieg aus und wurde als Quereinsteiger Fachreferent für Lärmschutz in einer Umweltpartei und zog für diese ins EU-Parlament. Ich blieb in meinem angestammten Metier bei meinen Geräuschen, vorzugsweise mit Schwerpunkt Beratung bei Lärmschutz sowie Lieferant von Tonkonserven bei Filmarbeiten. Ein Traumjob, sich mit einer derart hochsensiblen Veranlagung beruflich verwirklichen zu können. Auf einem Kongress für hypersensitive Menschen lernte ich dann meine heutige Ehefrau kennen. Sie war von gleichem sensorischen Strickmuster wie ich, allerdings auf dem Gebiet Geruchssinn – eine anerkannte Expertin für Dufterkennung und Aroma-Analysen. Man mag es nicht glauben, aber auch Menschen mit Eigenschaften wie den unseren sind irgendwann urlaubsreif und sehnen sich nach größtmöglichem Abstand zur beruflichen Tätigkeit.

Und hier haben wir einen absoluten Traumort gefunden, weitestgehend frei von Geräuschen und Gerüchen. Es ist ein dem Wind abgewandtes Plateau im Tal der Stille, 'Valle del Silencio', auf über viertausend Höhenmetern in den chilenischen Anden gelegen. Hier verbringen wir jedes Jahr unvergleichliche Tage der Entspannung, in extrem reiner Hochgebirgsluft, absolut geruchs- und geräuschneutral, eine Luft so rein und klar wie destilliertes Wasser. Und jede Nacht als Zugabe, den vollkommen ungetrübten Blick auf den nächtlichen Sternenhimmel des Südens, ohne jegliche Spur einer Lichtverschmutzung.

counter5xhab ich gern gelesen

Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von Stephan Heider am 27.05.2024:
Kommentar gern gelesen.
Exzellent r.s., wie immer.
Das Ding riecht nach vielen Likes. Ich höre sie schon kommen 👍.
LG Stephan




geschrieben von RudiRatlos am 27.05.2024:
Kommentar gern gelesen.
Ja hervorragend ..!
Könnt ich mich da nicht einbringen: bin nämlich hochsensibel für Geschmäcker ... ich kann tatsächlich blind Bier von Wein unterscheiden, ehrlich ..!




geschrieben von rubber sole am 27.05.2024:

>Stephan Heider:
(…)Da spricht der Sensoriker. Danke für deine Einschätzung, Stephan.
l.g.r.s.




geschrieben von rubber sole am 27.05.2024:

>RudiRatlos:
Danke Rudi, aber hier irrst Du. In die Truppe der Super-Nasen passt Du allemal rein: Um in einer Blindverkostung Bier von Wein zu unterscheiden, muss man mehr als die Grundarten schmecken können, dabei werden im oberen Rachen-Nasenbereich geruchsaktive Zellen stimuliert – hochsensible Zecher besitzen sehr viele davon...
l.g.r.s.




geschrieben von Ernst Paul am 28.05.2024:
Kommentar gern gelesen.
Wenn Du genügend Zwiebeln und Knoblauch isst, kann es auch im Tal der Stille zu Geruchs- und Lärmbelästigungen kommen.
Ich finde Deine Geschichten wie immer super. Sehr gern gelesen.👍





geschrieben von rubber sole am 28.05.2024:

>Ernst Paul:
Danke für deine Zustimmung, Ernst. Freut mich, dass dir meine Geschichten gefallen. Ja, wer in solch einer Situation Geräusche und Gerüche vermissen sollte, könnte hier über körpereigene Funktionen Abhilfe schaffen...
l.g.r.s.




geschrieben von Bad Letters am 30.05.2024:
Kommentar gern gelesen.
Ich bin ja auch immer auf der Suche nach Störgeräuschen rubber, meistens verursache ich sie selbst.

MfG
Bad Letters


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