Veröffentlicht: 01.10.2024. Rubrik: Unsortiert
Der Otter hat aus dem Fenster gekotzt
Meine Frau und ich leben mit einem radikal-feministischen Otter zusammen in einer WG. Das kann im Alltag zu allerlei skurrilen Situationen führen, von denen ich gelegentlich welche schriftlich festhalte.
Vor einiger Zeit hatte der Otter einen anderen Otter gefunden und nach einigen Übernachtungsbesuchen hier und beim anderen Otter zu Hause hatten sich alle beteiligten Otter dazu entschieden, ab sofort eine Romp zu bilden. So nennt sich die Herde des Otters, wie wir von Instagram und dem auf Otter-Content trainierten Algorithmus inzwischen wussten. Basisdemokratisch und nach dem Auf- und Abwiegen sämtlicher rationalen und emotionalen Gründe für und gegen ein Label, hatten sich die Otter dazu entschieden sich ihr eigenes Label zu basteln.
Während der bei uns heimische Otter im Wohnzimmer im Schaukelstuhl saß und uns davon vorschwärmte, wie wunderschön und toll dieser Moment des Gesprächs, zwischen den beiden gewesen sei, war ich mal wieder völlig verliebt in die Generation des Otters. Wie schön war es doch, dass sich junge Menschen heute so offen und ehrlich über ihre Gefühle und Bedürfnisse austauschen konnten? Wie sehr hatte sich die Gesellschaft verändert, dachte ich an meine eigene Jugend und den heteronormativen Zwang zurück, nach dem es für mich nicht einmal im Bereich des eventuell Möglichen gelegen hatte, eine Frau sexuell attraktiv zu finden. Einfach, weil es keine Lesben in meinem Leben gab. Sie existierten schlicht nicht und was man nicht kennt, kann man auch nicht als Lebensmodell für sich selbst erkennen.
Der Otter holte mich mit einem Schlag aus meinen Tagträumen in die Realität zurück. “Ja, also das ist nicht alles, was ich euch erzählen wollte.”
Das Ottertier machte seine berühmte Kunstpause. Ich schielte zum Schaukelstuhl hinüber. “Irgendwas an deiner Stimme lässt mich vermuten, dass wir jetzt sehr aufmerksam zuhören sollten, Otterchen.”
Ein verschlagenes Grinsen war die Antwort. “Also, wir haben uns dann noch voll lange über Drogen unterhalten und was wir schon so ausprobiert haben…”
Meine Frau drehte sich in ihrem Schreibtischstuhl zum Otter herum. “Otterchen, was habt ihr genommen?”
Der Otter spielte die verlegene Lady und wurde doch tatsächlich sogar ein wenig rot. “Ich hab gesagt, dass ich schon lange kein Emma mehr hatte und das eigentlich ganz gern noch mal nehmen würde. Und dann hat der Otter gesagt, dass sie noch welches im WG-Kühlschrank haben und dann haben wir ein ganz bisschen genommen und es war so schön und dann haben wir auch noch bisschen was getrunken und ganz viel geredet und…”
Wieder die verhängnisvolle Kunstpause. Artig warteten wir auf den offensichtlich jetzt folgenden Höhepunkt der Geschichte und schauten den Otter erwartungsvoll an.
“Und dann hab ich aus dem Fenster gekotzt.” Der Otter kringelte sich vor Lachen auf dem Schaukelstuhl, während meine Frau und ich versuchten unsere angeekelten Gesichtsausdrücke wieder unter Kontrolle zu bekommen.
“Warte, Moment. Was?” brachte ich schließlich heraus und der Otter ließ sich dazu herab, uns auch den Teil der Geschichte zu verraten, den er vorhin ausgespart hatte.
“Also, manchmal wird mir bisschen übel von dem Zeug, aber normalerweise ist es immer nur Sodbrennen. Ich hab dem Otter auch davon erzählt und der hat dann zu mir gesagt, dass ich einfach aus dem Fenster kotzen soll, falls ich muss. Und na ja, das hab ich dann halt gemacht.”
Nachdem wir uns vergewissert hatten, dass die beiden Otter den Ottermageninhalt beseitigt hatten und zwar 10 Minuten, nachdem sich der Vorfall ereignet hatte und nicht erst am nächsten Mittag, wollte ich aber doch wissen, warum der Otter so begeistert von dieser Sache erzählt hatte. Mir erschloss sich nicht wirklich die Pointe der Geschichte, doch der Otter war so frei mich aufzuklären.
“Na ja, das ist doch ganz logisch, warum mich das so freut. Aus dem Fenster kotzen ist etwas, was ich noch nie vorher gemacht habe. Jetzt kann ich das von meiner Bucket List streichen, ohne dass es vorher überhaupt draufgestanden hätte. Wie cool ist das denn bitte?”
Ich erkannte in dem Moment, dass es durchaus Dinge gab, die meiner Generation für immer unverständlich erscheinen würden, egal wie sehr man sich bemühte, am Zahn der Zeit zu bleiben. Eine durchaus wertvolle Erkenntnis, wie ich finde. Oder anders ausgedrückt: Ich fühlte mich alt. Aber auf eine gute Weise.