Veröffentlicht: 16.05.2025. Rubrik: Unsortiert
Winzige Giganten
Fasziniert stehe ich vor einem Ameisenhaufen. Wie Soldaten marschieren sie im Gleichschritt. Wer nicht marschiert, hält Wache. Eine Kolonne Bauarbeiter transportiert kleine Ästchen und Tannennadeln, die teilweise schwerer sind als sie selbst, in ihre imposante Burg. Wahrscheinlich arbeiten sie an einem Anbau, für ihren Nachwuchs. Ein anderer Trupp sorgt für Verpflegung. In perfekter Teamarbeit bewegen sie einen dicken Käfer vorwärts und zerlegen ihn in kleine Teile, damit er die Gänge des Baus passt. Grausam? Keineswegs – so ist die Natur. Hier siegt nicht der Größere, sondern die Disziplin und der Zusammenhalt.
Lautlos und unermüdlich verrichten die winzigen Tierchen ihren Dienst. Ob sie so etwas wie eine Gewerkschaft oder Betriebsrat kennen? Ich bezweifle es. Sicher ist nur, dass ihre Rollen und Hierarchien klar definiert sind. Sie funktionieren. Einer für alle, alle für einen.
Keine Volksbegehren, kein Neid halten sie auf. Kein Straßenschild und keine Ampel zeigen ihnen den Weg. Trotzdem kommt es nicht zu Kollusionen. Die Vorstellung, dass die winzigen Krabbler sich mit einem Navi orientieren müssten, wie wir Menschen, lässt mich schmunzeln. Anstelle eines Schilderwalds markieren Ameisen ihre Wege mit Duftmarken. Ok, solche Duftmarken kennt man auch von Menschen, allerdings laden sie nur äußerst selten dazu ein, ihnen zu folgen. Bei Knoblauch, Leberkäse, Schweiß und überdosierten Parfums geht Mensch eher auf Distanz, als dem Geruchsträger zu folgen.
Offensichtlich haben wir das Prinzip nicht richtig verstanden – wie so Vieles. Wir könnten viel von diesen Winzlingen lernen. Leider verbietet es Mensch seine Überheblichkeit. Er schaut lieber auf die Ameisen hinab.

