Veröffentlicht: 16.06.2025. Rubrik: Nachdenkliches
Meine Herkunftsfamilie - Gemütlich daheim?
[Ein Schnapsdrabble mit 333 Wörtern.]
Vielleicht war ich vier Jahre alt, oder erst Drei? Nein, ich glaube, es war mit vier Jahren, dass ich noch gerne 'dietzelte'. 'Diezi' war das bei uns gebräuchliche Wort für Schnuller, beziehungsweise Nuckel, im Schwäbischen sagen sie Zapfen. Ich sehe mich noch heute, wie ich mich dabei genüsslich auf den Divan in der Wohnküche flackte, die Füße nach oben reckte und mit den großen Zehen die Konturen unseres Wandteppichs nachfuhr, auf den Wald, Berge und ein paar Hirsche gestickt waren. So dietzelte ich mit Hingabe, während meine Mutter vor mir in ihrer Küchenzeile das Geschirr spülte, Spinat hackte, oder kleine Wäsche im großen, verzinkten Topf in Waschlauge auskochte; vermutlich die Stoffwindeln für das Baby.
Schimpfen half nichts, dass ich zu groß sei für diese gemütliche Laune. Schließlich hatte der Nikolaus davon Wind bekommen. Er tadelte mich also am Abend des fünften Dezembers und nahm mir das Versprechen ab, meinen Diddi wegzuwerfen. Drei Tage durfte ich ihn noch behalten, dann war die Großtat fällig.
Das Feuer in unserem Küchenherd, der mit Holz und Kohle beheizt wurde, war etwas herunter gebrannt, und wie die meisten Abfälle sollte ich meinen Schnuller dort entsorgen. Selbstverständlich warf ich ihn so tapfer, wie bereitwillig rein in das Türchen, in die Glut, um wieder ein liebes Kind zu werden. Das Plastik verzog sich in der Hitze, begann zu schmelzen, die entweichende Luft pfiff ein wenig. Natürlich sahen meine Mama und ich ihm zu, um sicher zu gehen, dass er auch gänzlich verbrennt. Dabei kam meine Mutter auf die grandiose Idee, meinem leidenden Diezi eine Stimme zu geben: „Schau, wie er weint, das tut dem Diddi jetzt weh. Uih, er ist ganz traurig und fängt an zu heulen, weil er jetzt sterben muss. Hörst du, wie er jetzt jammert und jault? Hörst du ihn?“ Da fing ich auch an zu weinen, aus Mitgefühl, aus dem tiefen Schmerz heraus, was ich meinem armen Diezi habe antun müssen.
Ganz habe ich es nie begriffen, warum meine Mutter in Gefühlsdingen so grausam sein konnte.

