Veröffentlicht: 23.06.2025. Rubrik: Unsortiert
Da sage noch einer, Salat sei gesund! Ein Kurzkrimi
Wäre Frau Marion Senff-Schabeisen, geb. Senff, keine so große Baumliebhaberin gewesen, hätte sie ihren Mann nicht umgebracht, und hätte sie sich in der Pflanzenwelt nicht so gut ausgekannt, dann bestimmt nicht auf diese Weise. Doch nun ist es geschehen, zwei Jahre schon ruht der Verblichene im Schoß von Mutter Erde. Im Totenschein steht: Todesursache Herz-Lungenversagen unbekannter Ursache, die Kriminalpolizei hat den Fall abgeschlossen und zu den Akten gelegt.
Und doch war es Mord, hinterhältiger, perfider Mord.
Eines Tages wurden in der Stadt mehrere alte Linden gefällt, um Platzt für einen Brückenneubau zu schaffen. Diese Rohheit regte sie dermaßen auf, dass sie sich krank meldete; alte Bäume waren für sie der Inbegriff von wahrer Größe und Dauerhaftigkeit, der edelste Beweis für die Schöpferkraft der Natur.
Dann las sie in der Zeitung, ein reicher Bürger habe der Stadt seine umfangreiche Kunstsammlung vermacht; ein Museumsneubau sei geplant, und zwar im Kurpark, dazu müssten einige alte Bäume entnommen werden –
„Entnommen!“, rief sie aufgebracht und warf die Zeitung wütend auf den Boden, „O welche Verlogenheit!“
Auf einmal verspürte sie Hass; Hass auf diese Stadtobrigkeit, die lauthals die „Grüne Stadt“ propagierte und in Wirklichkeit genau das Gegenteil tat; Hass auf diese blindwütigen Ökonarren, die sich um das Weltklima sorgten aber die Baummorde zwei Querstraßen weiter mit keinem Wort erwähnten; Hass auch auf diese Zivilisation, die sich wie ein Krebsgeschwür immer weiter in die Natur fraß und ihr den Atem nahm.
Allmählich beruhigte sie sich wieder. Einen Moment noch überlegte sie, ob sie ihren Frust in Form eines geharnischten Leserbriefs Ausdruck geben sollte; doch dann ließ sie es. Sie erinnerte sich an die vielen Protestschreiben, die in ähnlicher Sache verfasst und brav veröffentlicht worden waren, aber nichts genutzt, im Gegenteil alles nur noch schlimmer gemacht hatten: Daraufhin waren mehrere Bäume einer alten Kastanienallee ohne Vorankündigung über Nacht verschwunden, angeblich, weil ihre Standfestigkeit nicht mehr gegeben war. Ein von lokalen Umweltschützern beauftragter und bezahlter Baumexperte stellte anhand der Stümpfe jedoch fest, dass zumindest zwei der Bäume noch zu retten gewesen waren.
Doch dann, an einem sonnigen Tag im Mai, schlug sie der Liebesgott in seinen Bann. Die Pflanze hieß Sebastian Schabeisen und war ein junger Mann, den sie schon ein paarmal gesehen aber keine Beachtung geschenkt hatte, weil er ihr zu „dröge“ vorgekommen war. Doch jetzt, auf der Geburtstagsparty ihrer Schwester, erwies er sich alles andere als trocken. Schon der Name Senff mit Doppeleff veranlasste ihn zu heiterem Gelächter. Am Tisch setze er sich neben sie und bot ihr immer wieder Senf an, wobei er sich zum Gaudi der Anwesenden in immer gewagtere Wortspiele mit „süßer Senf aus Bautzen“ verstieg, von denen „möchtest du Süße noch süßen Senf?“ oder „meine senf-süße Butzi-Batzi-Bautzi“ noch die vernünftigsten waren. Aber auch der Name Schabeisen gab Anlass zu den vielfältigsten Blödeleien; so kam man sich langsam näher.
Das absehbare Ende vom Lied: Nach einem halben Jahr waren sie verlobt, und übers Jahr ein Paar. –
Es hätte alles gut gehen können, denn beide liebten die Natur: Sie die Pflanzen, er die Tiere. Nicht die schlechteste Basis für eine Beziehung. Sie wünschte sich einen großen Garten mit einem Wald alter Bäume, er mindestens vier große, starke Hunde. Die Finanzlage ließ jedoch nur einen mageren Kompromiss zu: Einen kleinen Garten mit nur einem Baum im schmalen Vorgarten, einem Spitzahorn mit runder Krone, sowie einen mittelgroßen Hund, allerdings mit vier Beinen.
Ja, es hätte alles gut gehen können ...
Eines Morgens überraschte er sie mit der Bemerkung, er würde gerne einen Careport bauen, dafür müsste allerdings der Ahorn weichen.
Frau Senff-Schabeisen, wie sie sich jetzt nannte, ließ Messer und Gabel fallen. „Das ist doch nicht dein Ernst“, würgte sie mühsam hervor.
Doch, es war sein Ernst. Als sie acht Tage später von einer Klassenfahrt – sie war inzwischen zur Biologielehrerin avanciert – nach Hause zurückkam, erblickte sie anstelle des Ahorns ein Careportgerüst. Daneben stand der Hund und bellte sie erbittert an – sein Hund, der in ihr immer noch einen Eindringling sah, nach zwei Jahren häuslicher Gemeinschaft.
Sie merkte, wie sich ihr Bauch mit Wut füllte. Sebastian ist also auch nicht besser als diese grob-knochigen Gesellen, knirschte sie, die den herrlichen Linden an der Brücke das Leben genommen haben, nur damit jetzt statt zehntausend Autos pro Tag zwanzigtausend hindurchfahren können. Der nächste Gedanke: War ihr Mann ein schlechter Mensch? Nein, er war genauso wenig ein schlechter Mensch wie die anderen Baummörder und ihre Hintermänner. Alle liebten ihre Frauen, Kinder und Hunde – zumindest die meisten. Keiner dieser Naturvernichter war ein schlechter Mensch, doch alle zusammen bildeten eine unselige Bruderschaft, anscheinend darauf aus, den Blauen Planeten gründlich zu ruinieren.
In diesem Moment ging ganz in der Nähe eine Motorsäge an. Das furchtbare Geknatter verwandelte ihre Wut in kalten Hass. Ihr Blick fiel auf eine der Blumenrabatten, und da wusste sie, was sie zu tun hatte.
Sie ging ins Haus, legte ab, und begann mit der Zubereitung des Abendessens. Bevor sie sich an den Salat machte, nahm sie Schüssel und Schere und ging nach draußen. Als sie zurückkam, war die Schüssel mit grünem, lauchähnlichem Blattwerk gefüllt.
Die Haustür ging, Schabeisen kam von der Arbeit zurück. Er betrat die Küche und blickte seine Frau, bevor er ihr einen Kuss gab, ausforschend an. Dann atmete er, offenbar erleichtert, auf. Die befürchtete Auseinandersetzung von der Art, dass Gegenstände an die Tür flogen, blieb wohl aus. Seine Frau erwähnte den fehlenden Baum mit keinem Wort, und er hütete sich, davon anzufangen. Allerdings verlief das Essen schweigsamer als sonst; auch sein aufmunterndes Gerede konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Stimmung gedrückt war.
Als er den Salat gabelte, sagte seine Frau: „Wildkräuter, vorhin frisch geschnitten. Nimm ordentlich, Salat ist gesund!“
Die ersten Beschwerden stellten sich vier Stunden später ein. Schabeisen wurde übel; er musste sich übergeben. Dann kamen Schweißausbrüche und Herzrhythmusstörungen hinzu. Noch in der Nacht wurde er auf der Intensivstation des städtischen Klinikums an den Tropf gelegt. Der Arzt stellte schwere Vergiftungserscheinungen fest; doch weder er noch Frau Senff-Schabeisen hatten eine Ahnung, woher das Gift stammen könnte.
Sechsunddreißig Stunden später war Sebastian Schabeisen tot.
Die restlichen Blätter der Herbstzeitlosen, kleingehackt in Leberwurstbällchen versteckt, verfütterte seine Frau an den Hund. Einen Tag später war sie auch den los.
Da sage noch einer, Salat sei gesund!
Anm.: Die Anregung zu dieser Geschichte entnahm ich einer Zeitungsmeldung, wonach sich jemand durch einen selbst gesammelten Wildkräutersalat vergiftete, weil er die Blätter der Herbstzeitlosen, Colchicum autumnale, mit den ähnlichen Blättern des Bärlauchs, Allium, verwechselte. Gegen das Gift Colchicin gibt es noch kein Gegenmittel.

