Veröffentlicht: 25.06.2025. Rubrik: Unsortiert
Mein Apfelbaum
Mein Apfelbaum
Ich war schon lange vor dir da und habe dich gesehen als Kind.
Meine Seele hat dich über Jahrzehnte begleitet.
Ich stand in voller Blüte, als deine Eltern und deine zwei jüngeren Schwestern meinen Garten durchquerten. Sie lachten und hüpften unbeschwert durch das hohe Gras.
Hinter meinem Stamm erkannte ich ein weiteres Mädchen, es war etwa sieben Jahre alt.
Mit verträumten Blick schaute sie zu mir. Das warst du.
Damals konnte ich spüren, dass dich etwas beunruhigte. Was war geschehen?
Deine Eltern haben euch liebevoll umarmt und erzählt: ,, Das ist jetzt unser neues Zuhause.“
Fragend schaust du sie an und verschränkst die Arme vor deiner Brust.,, Papa, Mama wir haben doch schon ein Zuhause, nicht weit von hier. Da wo meine Schule ist und wo meine Freunde wohnen, wo unser Garten hinter dem Haus ist und die Wiese mit den Butterblumen, die ich so mag. Mit offenem Mund standst du da, hast laut ,,Nein“ gerufen und Tränen kullerten über dein Gesicht. ,,Mama, warum habt ihr mir nichts erzählt? Das ist nicht fair.“
Trostsuchend schaust du in meine Krone.
Der Wind bläst durch meine Äste, ab jetzt nehme ich dich mit auf die Reise durch eine glückliche Kindheit.
Die Traurigkeit verschwand.
Dein Papa hatte viele Pläne, um aus meinem Garten einen Familiengarten zu machen.
Deine Mama genoss es, euch glücklich zu sehen.
Sie sang viele Lieder.
Das Leben floss dahin.
Viele Geburtstage und Sommerfeste mit Freunden und Familie
habt ihr unter meiner Krone gefeiert.
Da gab es die Großeltern, welche gerne zu Ostern Schokoladenhasen, Hühnereier,
und kleine Plüschtiere in meinen Ästen versteckten. Manchmal wurden sie erst einige Tage später gefunden.
Gerne hast du im Schatten meiner Krone gesessen, ein Buch über die Entstehung der Welt gelesen, mit Puppen Theater gespielt und getanzt.
Manchmal auch im Sandkasten eine Burg mit deinen Schwestern gebaut.
Aus dem Garten wurde ein Paradies.
Im Herbst genoss ich es, euch meine roten, süßen und saftigen Äpfel zu schenken.
Deine Mama machte aus meinen herunterfallenen Äpfeln,- Marmelade für euch und die Freunde der Familie.
Auch ich konnte wachsen und gedeihen und erkennen wie gut es mir mit euch geht.
Die Jahre sind im Wechsel der Jahreszeiten vergangen.
Aus dir ist eine selbstbewusste, kreative Frau geworden.
Geblieben ist das Summen der Bienen im Frühjahr.
Ansonsten ist es sehr still unter meiner Krone geworden.
Deinen Papa gibt es nicht mehr, viele Jahre habe ich miterlebt, mit welcher Freude er diesen magischen Ort kultiviert hat.
Ich weiß, dein Papa hat einen besonderen Platz in deinem Herz.
Heute stehst du zufrieden unter meiner Krone.
Da sehe ich ein Lächeln über dein Gesicht huschen, ein paar Tränen wischt du mit dem Handrücken weg.
Nun möchte ich dir noch ein paar wohlwollende Worte auf deinem weiteren Lebensweg geben.
Vor vielen Jahren konnten deine damals sehr jungen Eltern keine andere Entscheidung treffen.
Deine Großeltern haben dieses Haus gekauft und es deinen Eltern geschenkt.
Eins weiß ich ganz bestimmt, das Leben an diesem Ort hat dich zu dem gemacht, was du heute bist.
Du liebst das Leben. Auch Rückschläge halten dich nicht auf.
Ich kann etwas hören, sind das Kinderstimmen?
,,Oma Oma“ Die Kinder deiner Kinder rufen dich.
,,Dürfen wir einen Apfel essen?
Können wir auch in den Ästen klettern?“
Es ist fast so wie vor fünf Jahrzehnten, als ich dich und deine Familie das erste Mal sah.
Jetzt sehe ich unter meiner grünen Krone, einen Tisch mit einer 3 stöckigen Etagere, bestückt mit Torten und Eis. Meine Äpfel liegen in Holzschalen.
Deine Familie hat sich erneut zum Feiern getroffen.
Ich bedanke mich für die schöne Zeit mit dir.

