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4xhab ich gern gelesen
geschrieben 2025 von Federteufel.
Veröffentlicht: 08.07.2025. Rubrik: Unsortiert


Ein verwirrendes Erlebnis

Mein Name ist Sixta G., ich bin freischaffende Journalistin und viel unterwegs.
Heute Nacht ist mir etwas Eigenartiges passiert, und noch jetzt, während ich es aufschreibe, empfinde ich so etwas wie einen metaphysischen Schauer . . .
Der Tag war lang und anstrengend gewesen. Musste ständig irgendwelchen Leuten hinterherrennen, und wenn ich sie dann endlich erwischt hatte, kam nichts als Blabla. Scheiße. Und dann war da noch diese langweilige Veranstaltung, puhh . . .
Als ich endlich wenige Minuten vor Mitternacht in den Sitz des Spätzuges sank, fühlte ich mich wie gerädert. Endlich setzte sich der Zug in Bewegung und schaukelte gemächlich aus dem Bahnhof der großen quirligen Stadt hinaus.
Ein Schild schob sich heran, auf dem groß und deutlich „B . . .“ stand, der Name eines Haltepunkts.
Verblüfft blickte ich zweimal hin, doch da stand immer noch derselbe Name. Zum Teufel, dachte ich, der Zug ist doch gerade erste abgefahren, wieso sind wir schon in B . . .? Wo sind denn die vier Stationen dazwischen geblieben?
Eine optische Täuschung?
Ich blickte mich um. Die Fahrgäste saßen wie immer da und tippten auf ihren Handys herum, einige dösten vor sich hin. Mein nächster Gedanke: Da hat sich jemand einen Scherz erlaubt und das Schild überklebt. Unsinn. Warum sollte jemand ein Schild überkleben, wo mindestens noch ein halbes Dutzend andere mit dem richtigen Namen auf dem Bahnsteig standen? Und wo wäre da der Scherz? Gerade verkündete der Lautsprecher zu meiner größten Verblüffung: „Der nächste Halt ist L . . .“ Mein Zielbahnhof.
Ich blickte meinen Nebenmann freundlich an. „Kann es sein“, fragte ich ihn, „dass ich gerade ein wenig geschlafen habe?“
„Woher soll ich das wissen?“, antwortete der mürrisch, „geschnarcht haben Sie auf jeden Fall nicht.“
Ich stand vor einem Rätsel. Als ich in den Zug gestiegen war, war ich zwar erschöpft, aber keineswegs besonders müde gewesen, eher aufgekratzt. Ich hatte aus dem Fenster geschaut und die vorbei huschenden Lichter der nächtlichen Stadt betrachtet. Kurz darauf hatte der Zug auf dem Bahnsteig von B . . . gehalten, was normalerweise einer Fahrtzeit von mindestens einer halben Stunde entspricht.
Es gab nur eine Erklärung: Ich war eingeschlafen, ohne es zu merken, und wieder aufgewacht, ohne es zu merken. Ein Sekundenschlaf? Eine geschlagene halbe Stunde? Wohl kaum.
Normalerweise merkt man doch, wenn man müde und kurz vor dem Einschlafen ist. Die Realität schmilzt dahin wie Butter in der heißen Pfanne, und das Aufwachen hinterlässt Erinnerungen, zum Beispiel an ein Traumgebilde oder an ein fernes Geräusch. Doch ich konnte mich nicht erinnern, geschlafen zu haben. Ich konnte mich an nichts, an rein gar nichts erinnern, was in der letzten halben Stunde geschehen war. Diese Zeit war mir anscheinend völlig abhanden gekommen. Ich muss geschlafen haben wie eine Tote.
Und das nun macht mich sehr nachdenklich. War möglicherweise meine Lebensuhr tatsächlich für eine halbe Stunde stehen geblieben? Meine Freunde behaupten nämlich, ich sähe für mein Alter noch verdammt gut aus, geradezu fantastisch, wie machst du das bloß, und wenn ich in den Spiegel schaue, muss ich ihnen Recht geben.
Vielleicht liegt´s ja daran, dass mir das, was ich gestern Nacht im Zug erlebt habe, schon öfter passiert ist, tage-, möglicherweise ja wochenlang, und ich hab´s nicht bemerkt? Ich bin alleinstehend und, wie schon gesagt, freischaffend, klar, da ist es niemandem aufgefallen, dass ich für einige Zeit weg war, und im Home Office sowieso nicht. Hab mich schon gewundert, warum ich immer noch nicht in den Wechseljahren bin. Die Erklärung ist bizarr, aber eine bessere hab ich nicht. Weil ich durch diese abhanden gekommene Zeit nicht so schnell gealtert bin wie meine Freunde und Bekannten, deren Lebensuhr ununterbrochen weiter tickte.

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von Babuschka am 08.07.2025:

Solange während dieser Abwesenheiten, in denen die Zeit für Sixta G. stillsteht, nichts Wichtiges passiert, das sie verpassen würde, hat dieser Jungbrunnen ohne Zweifel große Vorteile für sie.

Eine herrliche Idee, interessant, wie du sie nach und nach entwickelst, Federteufel.
LG Babuschka



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