Kurzgeschichten-Stories
Autor
Schreib, wie du willst!
Startseite - Registrieren - Login - Kontakt - Impressum
Menu anzeigenMenu anzeigen
3xhab ich gern gelesen
geschrieben 2025 von Evelinya Lyriel (lys).
Veröffentlicht: 19.09.2025. Rubrik: Historisches


Das geflüsterte Versprechen Teil3

Dies ist der 3. Teil der Geschichte. Wer die ersten Teile noch nicht kennt, findet sie unter: Historisches - "Das geflüsterte Versprechen TeilX"

Kapitel 9
Alexander spürte, wie die kühle Luft seine Haut berührte. Sein Herz hämmerte noch immer, und Gedanken wirbelten unaufhörlich in seinem Kopf. Wie hatte Clara die Begegnung empfunden? Hatte sie wirklich verstanden, was er ihr sagen wollte – oder war die neue Frisur, der Strauß, nur oberflächlicher Ausdruck allein? Doch gerade der Strauß lag schwer in seiner Hand, und die sorgfältig ausgewählten Blumen zeugten von einer Bedeutung, die weit über bloße Dekoration hinausging. So wie die Frisur mit den zarten Strähnchen ein sichtbares Zeichen für etwas Tieferes war, schienen auch die Blumen eine Botschaft der Gefühle zu tragen, die Worte nicht ausdrücken konnten. Die Symbolik der Blumen war ihm ein Rätsel, das es zu lösen galt. Doch wo anfangen?
Er ging langsam die Straße entlang, jeder Schritt schien ihm gleichzeitig schwer und leicht zu fallen. Die Worte, die sie gewechselt hatten, hallten in ihm nach, und ein Wechselbad aus Hoffnung, Zweifel und Unsicherheit durchfuhr ihn.
Sein Weg führte ihn zur Kutschstation. Das schwarze Pferdefuhrwerk mit glänzenden Messingbeschlägen wartete bereits, gezogen von kräftigen Rössern. Der Kutscher, in dunkler Livree gekleidet, nickte ihm zu, als Alexander einstieg und die Anweisung gab, nach Hause zu fahren.
Als Alexander in die Kutsche stieg und sie sich sanft in Bewegung setzte, ließ er seinen Blick auf dem Strauß ruhen. Die Erinnerung an Clara war lebendig in seinem Geist: wie schön sie mit den zarten Strähnchen in ihrem Haar aussah, fast wie ein Engel. Besonders dachte er an den Blick, den sie zu jener Stelle im Laden warf, an der sie sich das erste Mal berührt hatten – dieser Moment schien tiefer zu wirken, als er je erwartet hatte. Und dann erinnerte er sich an ihr sanftes, leicht neckisches Lächeln, mit dem sie ihm geantwortet hatte. Es war ein Ausdruck, der mehr sagte, als Worte hätten ausdrücken können.
Die Kutsche rollte leise durch die Straßen der Stadt, während Alexander tief in seinen Gedanken versunken war. Er wusste, dass er bald zu Johanna gehen musste, um das Geheimnis der Blumen zu ergründen und Antworten zu finden — Antworten, die möglicherweise mehr offenbaren würden, als er zunächst gewagt hatte zu hoffen.
Als die Kutsche vor dem großen Stadthaus hielt, stieg Alexander aus und wurde von einem Diener in tadelloser Livree begrüßt. Den Strauß hielt er fest, er wollte nicht riskieren, dass jemand die Botschaft daraus lesen konnte. „Guten Tag, Jakob“, sagte er freundlich. „Bitte teilen Sie gnädiger Frau Johanna mit, dass ihr Bruder eingetroffen ist und gern mit ihr sprechen möchte.“
Der Diener verbeugte sich leicht. „Gleich, gnädiger Herr. Ich werde es ihr sofort melden.“
Alexander trat in das großzügige Foyer, wo die Ruhe und Ordnung des Hauses herrschte. Nicht lange musste er warten, bis Johanna ihm entgegenkam – die Verbindung zwischen Geschwistern war trotz aller Förmlichkeit herzlich und vertraut. Obwohl Johanna Clara noch nicht kannte, hatte sie bereits gespürt, dass etwas sich in Alexander verändert hatte. Seine Art, sein Blick und das feine Leuchten in seinen Augen ließen sie vermuten, dass er verliebt war. Diese Vermutung zeigte sich in der Wärme und Nähe, mit der die Geschwister miteinander umgingen. Zwischen ihnen herrschte ein tiefes Vertrauensverhältnis, das Alexander leicht machte, sich zu öffnen und von seinen Gefühlen zu sprechen.
Sie traten gemeinsam in den großen Salon, wo die Nachmittagssonne durch die hohen Fenster fiel und die Schatten der prachtvollen Blumenarrangements tanzten. Alexander stellte behutsam den Strauß auf den Tisch, während Johanna neugierig nähertrat und den Strauß eingehend betrachtete.
„Was mag dieser Blumenstrauß wohl bedeuten?“, fragte sie leise und streckte die Hand aus, um eine Blüte zu berühren. Doch ehe sie eine Antwort geben konnte, wusste sie, dass sie mehr über Claras Gefühle erfahren musste – über die Momentaufnahme ihrer Übergabe, ihre Worte, ihr Verhalten, ihr Lächeln und die versteckte Botschaft.
Alexander begann, ihr alles zu erzählen: Die kleinen Gesten, die Blicke, die heimlichen Treffen, die Unsicherheiten und die Hoffnungen, die Clara gezeigt hatte. Johanna hörte aufmerksam zu, sammelte alle Details in ihrem Geist, um das Rätsel der Blumen zu entschlüsseln.
Endlich, nachdem Johanna alle Informationen über die Gefühle und das Verhalten der jungen Frau gehört hatte, sah sie Alexander lange und ernst an. Ihre Hand verharrte über dem Strauß, doch ihr Gesicht verlor langsam die Farbe. Ein Schatten legte sich über ihre Züge. „Alexander,“ begann sie mit leiser, doch fester Stimme, „dieser Strauß… er ist kein Zeichen zarter Hoffnung. Er ist… ein Abschied.“
Alexander runzelte die Stirn, überrascht und besorgt. „Ein Abschied? Wie meinst du das?“
Johanna holte tief Luft. „Die Chrysanthemen hier symbolisieren Trauer und Abschied, oft benutzt bei Begräbnissen. Die Rosenknospen stehen zwar für junge Liebe, doch in Kombination mit dem blauen Vergissmeinnicht, das ‚Vergiss mich nicht‘ bedeutet, spricht dieser Strauß von einer Liebe, die nicht sein darf, von einem Versprechen, das nicht eingehalten werden kann.“
Sie wich einen Schritt zurück, ihre Stimme drohte nun zu brechen, aber sie zwang sich zur Klarheit. „Du liebst diese junge Frau, davon bin ich überzeugt. Aber dieser Strauß sagt mir, dass es ein Abschied sein wird. Dass ihr euch niemals offen begegnen könnt. Und doch, so scheint es, hält sie trotz allem an der Hoffnung fest.“
Alexander fühlte, wie sich ein bitterer Kloß in seinem Hals bildete. Die Worte seiner Schwester trafen ihn tief, trafen mehr, als er befürchtet hatte. Das war kein Rätsel mehr, das es zu lösen galt. Es war eine Vorahnung, ein düsteres Versprechen.
Alexander sank in einen tiefen Gedanken. Nichts schien zusammenzupassen: die zarten Strähnchen in Claras Haar, ihr Blick, der immer wieder zu der besagten Stelle glitt, das sanfte Lächeln, das zwischen Necken und Nähe schwankte – und dann plötzlich die bitter-schwere Nachricht des Abschieds, die der Strauß verkündete.
Wenn sie so weitermachten, dämmerte es ihm, würde er Clara nur in eine kompromittierende Lage bringen – eine Lage, die ihr nicht nur das Herz brechen, sondern in dieser Gesellschaft ihres Standes auch alles ruinieren könnte. Denn gesellschaftlicher Ausschluss bedeutete damals mehr als Isolation: Er war gleichbedeutend mit dem Verlust von Ansehen, Lebensunterhalt und Zukunft.
Doch Alexander erkannte auch die Großherzigkeit in Clara: Sie verzichtete auf ihre Liebe zu ihm, nicht aus Mangel an Gefühl, sondern um ihn zu schützen. Ihre Selbstlosigkeit beeindruckte ihn tief.
Mit dieser Erkenntnis wandte er sich an Johanna, seine vertraute Schwester, und bat sie um einen großen Gefallen. „Johanna,“ sagte er zögernd, „kannst du dir vorstellen, Anstandsdame für Clara zu werden? Damit könnten wir uns weiterhin treffen, ohne dass ihr Ruf oder ihre Ehre gefährdet sind.“
Johanna nickte nachdenklich, ein kleines Lächeln spielte um ihre Lippen. „Es ist eine ernste Aufgabe, die viel Aufmerksamkeit und Vorsicht erfordert. Aber es freut mich, dass ich nun auch den Namen der jungen Frau kenne, um die sich dein Herz sorgt. Wenn es Clara und dir hilft, will ich es versuchen.“
So könnte Johanna an Claras Seite stehen und die gesellschaftlichen Zwänge abmildern, indem sie darauf achtete, dass alle Begegnungen den Regeln der Zeit entsprachen.
Johanna betrachtete den Strauß einen Augenblick lang. Er war so wunderschön, dass sie ihn nicht einfach wegwerfen konnte und wollte. Nach kurzem Überlegen entschied sie sich, die rosa Rosen behutsam aus dem Strauß zu entfernen. „Der Rest des Straußes soll wie eine stille Erinnerung an unsere verstorbene Mutter wirken,“ sagte sie mit sanfter Stimme.
Die Rosen aber gab sie Alexander. „Diese Rosen sind mehr als nur Blumen,“ flüsterte sie, „sie stehen für die Liebe zwischen dir und Clara. Hüte sie wie deinen größten Schatz.“
Alexander nahm die Rosen mit großer Sorgfalt entgegen und spürte die tiefe Bedeutung, die in ihnen lag. Heimlich bewahrte er die Rosen in seinem Tagebuch auf – als ewiges Symbol ihrer Liebe und Verbindung, ein stilles Andenken an Abschied, Hoffnung und das Band, das Vergangenheit und Zukunft miteinander verbindet.

Kapitel 10
Johanna stand am Fenster und blickte nachdenklich hinaus. Sie wusste, dass der Weg, den Alexander und Clara gemeinsam beschreiten wollten, noch am Anfang stand – voller Unsicherheiten und Gefahren. Ihre Rolle als Claras Anstandsdame war nicht nur eine Pflicht, sondern ein mutiger Schritt, um für die junge Liebe einen Weg zu ebnen, der nicht länger im Verborgenen verlaufen musste.
Sie wusste um die Tragweite dieser Rolle. Das bedeutete nicht nur, Clara bei öffentlichen Auftritten zu begleiten, sondern auch dafür zu sorgen, dass jeder Blick, jede Bewegung ihrer Persönlichkeit und der Situation angemessen war. Johanna dachte darüber nach, wie sie Clara helfen konnte, sicher und selbstbewusst aufzutreten, ohne dabei die gesellschaftlichen Schranken zu durchbrechen, die ihnen allen drohten.
Die Zeit drängte. Jeder Moment der Unsicherheit, jeder Fehler konnte die zarte Hoffnung zerstören, die Alexander und Clara verband. Johanna fühlte sich gleichzeitig stark und verletzlich, getragen von der Verantwortung, diese Liebe zu schützen und ihr eine Zukunft zu ermöglichen – sichtbar, aber respektiert.
Johanna setzte sich an ihren Schreibtisch und ließ ihre Gedanken schweifen. Wie konnte sie Claras Weg erleichtern und gleichzeitig ihre Rolle als Anstandsdame gerecht werden? Es musste ein Gleichgewicht geben – zwischen Sichtbarkeit und Zurückhaltung, zwischen Schutz und Offenheit. Sie spürte das Gewicht dieser Aufgabe, doch zugleich auch eine gewisse Zuversicht, dass es einen Weg geben musste.
Nach einer Weile, während sie über all das nachdachte, kam ihr plötzlich ein Gedanke: Was, wenn sie selbst öfter einfache, unauffällige Kleidung tragen würde? Nicht aus Nachlässigkeit, sondern bewusst – um Clara ein Gefühl von Sicherheit zu geben, sich unter gleichen Bedingungen zu bewegen. Ein Kleid, das nicht protzig war, aber trotzdem würdevoll. So könnte sie Claras natürliches Leuchten unterstützen, ohne dass der Unterschied zwischen ihnen allzu auffällig wurde.
Sie begann, erste Pläne zu schmieden: Welche Stoffe würden passen? Wo könnte sie das Kleid fertigen lassen? Schnell wurde ihr klar, dass so ein Kleid mindestens zwei Wochen dauerten würde, bis es fertig sei. Ein realistischer, aber langer Weg.
Als die Müdigkeit sie langsam überkam, legte sie die Feder nieder, atmete tief durch und ließ sich erschöpft auf den Sessel fallen. Morgen würde ein neuer Tag beginnen – und mit ihm die Herausforderung, die vor ihr lag.
Der erste Lichtschein fiel sanft durch die Vorhänge, als Johanna erwachte. Die Gedanken an das schlichte Kleid und die Verantwortung, die vor ihr lag, waren sofort wieder präsent. Doch heute fühlte sich alles anders an. Eine Wärme breitete sich in ihr aus – eine Freude, die sie lange nicht mehr gespürt hatte.
Endlich hatte sie etwas, das sie tun konnte. Einen klaren Plan, eine Aufgabe, die sie mit ganzem Herzen erfüllen wollte. Dieses Gefühl gab ihr neue Kraft und Entschlossenheit. Mit einem leisen Lächeln stand sie auf und bereitete sich darauf vor, die nächsten Schritte zu gehen – für Clara, für Alexander und für sich selbst.
Nach dem Entschluss, das schlichte Kleid anfertigen zu lassen, begann Johanna, die nächsten Schritte sorgfältig zu planen. Der Blumenladen schien ihr als der ideale erste Treffpunkt – ein sicherer und neutraler Ort, der vertraut und unauffällig genug war, damit Clara und Alexander sich dort begegnen konnten, ohne sofort die Aufmerksamkeit aller auf sich zu ziehen.
Johanna stellte sich vor, wie regelmäßige Besuche im Blumenladen allen Zeit geben würden, sich langsam an die neue Situation zu gewöhnen. Dort wären die Gespräche privat und die Atmosphäre entspannt, sodass Clara sich sicher fühlen könnte. Außerdem würde die Gesellschaft sich so behutsam an die Anwesenheit von Alexander und ihr selbst als Anstandsdame gewöhnen.
Sie dachte darüber nach, wie sie die Treffen so gestalten konnte, dass sie zur Tageszeit lagen, wenn der Laden belebt, aber nicht überfüllt war – genug Publikum, um Normalität zu suggerieren, aber nicht zu viel Neugier. Vielleicht könnten kleine Arrangements von Claras Lieblingsblumen die Atmosphäre noch positiver stimmen und als Zeichen ihrer Präsenz dienen.
Erst wenn diese Treffen gut etabliert und von der Gesellschaft mit weniger Argwohn betrachtet würden, plante Johanna, vorsichtig Spaziergänge und kleine öffentliche Ausflüge zu arrangieren. Dabei wollte sie diskrete Begleitung sicherstellen und Clara dabei helfen, selbstbewusst aufzutreten und die gesellschaftlichen Konventionen zu meistern.
Sie überlegte, welche Orte sich am besten für diese ersten Ausflüge eignen würden: ruhige Parks, wenig frequentierte Gärten oder ausgewählte Gesellschaften, bei denen sie bereits ein wenig Vertrauen gewonnen hatten. Jede Bewegung sollte bedacht und ohne Hast erfolgen.
So hoffte Johanna, dass langsam Vertrauen wachsen würde – in die Beziehung, aber auch in ihre eigene Rolle als Anstandsdame. Dennoch war ihr bewusst, dass Herausforderungen bleiben würden und sie weiterhin vorsichtig sein musste, denn neugierige Blicke und Gerüchte konnten jederzeit auftauchen.
Während sie darüber nachdachte, wurde ihr klar, dass es einen wichtigen Schritt gab, der noch vor den Treffen in Claras Laden erledigt sein musste: das Kleid. Johanna wollte sich selbst nicht zu auffällig kleiden, sondern schlicht und würdevoll erscheinen, um Clara nicht zu überstrahlen.
Sie überlegte, wo sie am besten eine Schneiderin finden konnte, die den Stil und die Mode der Gegend kannte, in der Claras Laden lag. „Es wäre sinnvoll, eine Schneiderin aus der Nachbarschaft schicken zu lassen“, dachte sie. „So ist sichergestellt, dass das Kleid zum Umfeld passt und nicht zu abgehoben wirkt.“
Mit festem Entschluss rief sie eine der Dienstbotinnen. „Sende eine Schneiderin aus dem Viertel von Claras Laden zu mir,“ befahl sie. „Ich möchte, dass sie so bald wie möglich mit der Anfertigung eines passenden Kleides beginnt.“
Die Dienstmagd verbeugte sich und verließ den Raum. Johanna spürte eine Mischung aus Anspannung und Zuversicht. Der erste konkrete Schritt war getan.
Ein schlichtes Kleid, das keine Schatten wirft, sondern leise neben Clara bestehen kann – dieser Gedanke ließ Johanna nicht mehr los. Es sollte ein Zeichen der Zurückhaltung sein, aber zugleich Würde und Stärke ausstrahlen. Nicht übertrieben, sondern bewusst gewählt, um die Balance zwischen ihrem eigenen Rang und Claras bescheidener Eleganz zu wahren. Sie wusste, dass so ein Kleid sorgfältige Arbeit erforderte, Zeit, Geduld – mindestens zwei Wochen würden vergehen, bevor es fertig sein konnte. Dennoch war ihr bewusst: Es war ein unerlässlicher erster Schritt, um die Harmonie zwischen ihnen sichtbar werden zu lassen.
Nicht lange danach kündigte sich die Ankunft der Schneiderin an. Eine ältere Dame mit ruhigen Bewegungen und einem freundlichen, aber erfahrenen Blick wurde vom Diener in den Salon geführt. Johanna musterte sie neugierig, ohne zu ahnen, welche vertraute Verbindung diese Frau noch haben würde.
„Sind Sie die Schneiderin?“ fragte Johanna höflich.
„Ja, gnädige Frau,“ antwortete die Dame mit einem warmen Lächeln.
Johanna nickte. „Sehr gut. Ich stelle mir ein Kleid vor, das schlicht und zurückhaltend ist. Nicht zu auffällig, aber dennoch würdevoll und von guter Verarbeitung. Es soll mir erlauben, angemessen aufzutreten, ohne allzu prunkvoll zu wirken.“
Die Schneiderin verbeugte sich leicht. „Ich verstehe, gnädige Frau. Ich werde mein Bestes geben, Ihren Wunsch umzusetzen.“
Johanna fühlte sich erleichtert. Sie wusste, es würde Zeit brauchen, doch dies war der erste Schritt zu dem Gleichgewicht, das sie suchte.
In den folgenden Tagen kam die Schneiderin immer wieder vorbei, um Maß zu nehmen und Details zu besprechen. Trotz der räumlichen Distanz zwischen Johannas Wohnsitz und dem Viertel, in dem die Schneiderin lebte und arbeitete, vermittelte jede Begegnung eine wachsende Vertrautheit und ein tieferes Verständnis für das Kleid und seine Bedeutung.
Bei einem der Treffen, während sie Stoffe und Schnitte diskutierten, wagte Johanna vorsichtig eine beiläufige Frage: „Sie scheinen sich hier gut auszukennen. Sind Sie lange im Viertel bei dem Blumenladen ansässig?“
Die Schneiderin lächelte leicht und antwortete zurückhaltend: „Ja, ich kenne die Nachbarschaft gut und viele der Menschen dort. Es ist ein lebendiges Viertel, voller eigener Geschichten und keiner möchte dort fehl am Platz wirken.“
Johanna sah sie nachdenklich an. „Der Blumenladen ist oft Gesprächsort, ich höre, es ist ein angenehmer Ort.“
Die Schneiderin lächelte leise, dann legte sie das Maßband beiseite und sah Johanna mit einem offenen Blick an. „Ich ahne, was Sie wirklich wissen wollen,“ sagte sie. „Sie möchten herausfinden, ob ich den Blumenladen kenne, ob ich vertrauenswürdig bin und ob ich Clara kenne. Clara ist für mich wie eine Enkelin – ich denke, das sagt wohl alles.“
Johanna fühlte sich berührt von dieser ehrlichen Offenbarung, die mehr sagte als viele Worte über Nähe oder Entfernung.
Die Schneiderin fuhr fort: „Ich kenne das Viertel gut und auch den Laden, in dem sie oft ist. Vertrauen entsteht nicht durch Worte, sondern durch Taten. Wenn Sie eine Bitte haben, dann sagen Sie sie mir.“
Johanna errötete leicht, weil sie spürte, dass die Schneiderin ihre Absicht durchschaut hatte. Zögernd sagte sie: „Würden Sie vielleicht Clara eine Blume überbringen? Eine einzelne rosa Rose, die schon etwas aufgeblüht ist.“
Die Schneiderin schenkte ihr ein warmes Lächeln. „Das ist eine schöne Geste. Die Rose ist ein Symbol für Liebe, Bewunderung und Wertschätzung. Eine blühende Rose sagt oft mehr als viele Worte.“

Kapitel 11
Es war schon spät am Abend, die Sonne warf ihre letzten warmen Strahlen sanft in den Salon, der in ein mildes, goldenes Licht getaucht war. Die Atmosphäre war erfüllt von der Ruhe, die nur nach einem langen Tag und vor der bevorstehenden Nacht entstehen kann. Johanna saß Alexander gegenüber und sprach mit leiser Stimme: „Die alte Schneiderin hat Clara eine aufblühende rosa Rose überbracht.“ Ihre Worte trugen die Sanftheit, die das Geschenk und die Botschaft darin widerspiegelten. Alexander nickte, seine Bewunderung für die Weisheit und Umsicht, mit der diese stille Geste gewählt wurde, war spürbar. „Es ist eine zarte Art, Clara zu zeigen, dass wir an sie denken,“ sagte er mit einem nachdenklichen Lächeln.
Die Stille, die sich danach im Salon ausbreitete, war warm und zugleich getragen von einer stillen Vertrautheit, die beide spürten, ohne sie in Worte fassen zu müssen. In Gedanken hielten sie an diesem Moment inne, jeder tief versunken in sein eigenes Nachsinnen über die Bedeutung der stillen Nachricht und die Hoffnung, die darin lag.
In den folgenden Tagen suchte Johanna immer wieder das Gespräch mit der alten Schneiderin. Zwischen ihnen wuchs langsam eine Vertrautheit, die sich von der Förmlichkeit des Alltags abhob. Johanna empfand die direkte und zugleich ungezwungene Art der alten Schneiderin als wohltuende Abwechslung von der sonst so streng geregelten und formalen Welt, in der sie lebte. Diese Offenheit und Herzlichkeit öffneten ihr einen Raum, eine kleine Insel der Freiheit, in der sie sich erlauben konnte, ganz sie selbst zu sein – fernab aller starren Konventionen und Zwänge, die sie sonst begleiteten. Dabei wurde ihr immer deutlicher, warum Clara der alten Schneiderin ihr Herz geschenkt hatte – auch Johanna spürte diese besondere Wärme und das tiefe Vertrauen, das zwischen ihnen wuchs, und erkannte in dieser Beziehung eine stille Kraftquelle, die beide Frauen verband.
Bei einem dieser Treffen erzählte die Schneiderin von Clara. „Sie war einst ein Kind, das oft in meinem Laden spielte, verzaubert von den schönen Stoffen und Farben. Doch dann – vor einigen Jahren – gingen ihre Eltern kurz nacheinander von uns. Seitdem führt sie ganz allein den Blumenladen.“ Die Geschichte ließ Johanna spüren, wie viel Last Clara auf ihren Schultern trug, und wie sehr sie diesen starken Momenten voller Einsamkeit und Mut ausgesetzt war.
Sie redeten lange über Alexander und Clara und die tiefgreifenden Veränderungen, die die Liebe in ihr Leben gebracht hatte. Johanna bemerkte, wie Alexander sich langsam öffnete, wie die Liebe zu Clara seine sonst so kontrollierte und nüchterne Art mit einer neuen Wärme und Nachsicht durchdrang. Gleichzeitig spürte sie, dass auch die alte Schneiderin diesen Wandel bei Clara wahrnahm: wie Clara durch die Liebe stärker, aber auch vorsichtiger geworden war, eine Veränderung, die sie in ihrer Haltung und Ausstrahlung widerspiegelte. Beide Frauen erkannten diese feinen, zarten Wandlungen – Zeichen einer Liebe, die vorsichtig, aber kraftvoll wirkte und ihre Wesen gleichermaßen formte. Es war, als hätten sich hinter der Oberfläche neue Welten aufgetan, die ihre Blicke und Herzen weit öffneten.
Die Schneiderin sah Johanna eindringlich an. „Und wie sieht es bei dir aus, mein Kind? Bist du auch verliebt?“ Johanna errötete, ein scheuer, doch tief trauriger Ausdruck legte sich über ihre Augen. „Ja,“ flüsterte sie, und ihre Stimme zitterte leise. Es war nicht nur das Geständnis einer zarten, verborgenen Liebe, sondern auch ein Eingeständnis des Schmerzes, der damit verbunden war. Sie dachte an ihren heimlichen Schatz, den sie zu Hause zurückgelassen hatte – an die stille Sehnsucht, die sie Tag für Tag begleitete, während sie hier bei Alexander war. Alexander, der seit dem Tod ihrer gemeinsamen Mutter in einem tiefen seelischen Loch feststeckte, für den diese Reise wie ein letzter Rettungsanker, wie eine Flucht aus der Dunkelheit war. Johanna wollte ihn nicht allein lassen, stellte ihre eigenen Wünsche zurück, auch wenn es sie innerlich zerbrach.
Die alte Schneiderin sah sie mit einem Blick voller Verständnis an, der mehr sagte, als Worte ausdrücken konnten. „Mein Täubchen, komm her,“ flüsterte sie und legte sanft ihre Hände auf Johannas Schultern. Es war mehr als ein Angebot von Trost – es war eine Einladung, sich ihrer eigenen Verletzlichkeit zu stellen und zugleich Kraft darin zu finden. Johanna ließ sich in diese Umarmung fallen, spürte, wie sich die Anspannung in ihr löste und wie Tränen ihre stummen Zeugen einer Liebe wurden, die schwer, aber gleichzeitig unbezwingbar war.
Alexander fühlte eine leichte Beruhigung, seit ihm bewusst war, dass die kleine Botschaft – die zarte, aufblühende rosa Rose – ihren Weg zu Clara gefunden hatte. Doch die Ruhe in seinem Inneren war nur oberflächlich. Die Unruhe schlug sich in einem ziellosen Wandern durch das weite Haus nieder, dessen vertraute Räume ihm plötzlich fremd und leer erschienen. Er suchte nach einem Anker, nach einem Sinn, doch fand nur den stetigen Widerhall seiner Gedanken und die stumme Sehnsucht nach Clara.
Während er langsam durch die Flure und Zimmer streifte, fiel ihm auf, wie sehr er bisher nur in den Tag hinein gelebt hatte. Ohne Plan, ohne richtige Ziele. Die Tage waren ihm oft gleichgültig erschienen, ein bloßes Dahinleben ohne Tatkraft oder Beständigkeit. Sein Blick fiel auf die Arbeitsstücke in unterschiedlichen Ecken, auf Bücher und Papiere, die halb vollendet zurückgeblieben waren. Im Gedanken verglich er sich mit Clara, die unermüdlich und zielstrebig ihren Blumenladen führte, jeden Tag mit Fleiß und Hingabe. Diese Leidenschaft, diese Stärke, beeindruckten ihn. Gleichzeitig schämte es ihn, wie viel Kraft seinen eigenen Bestrebungen fehlte.
Johanna bemerkte die Spannung in Alexanders Haltung und spürte sein inneres Ringen. Sie wollte ihn sanft aus diesem gedanklichen Labyrinth herausholen. „Komm doch mit mir raus,“ schlug sie vor, ihre Stimme leicht und freundlich. Er nickte dankbar, froh über das Angebot.
Gemeinsam verließen sie das Haus und traten hinaus in die kühle Herbstluft. Die Straßen waren ruhig, das Licht der untergehenden Sonne tauchte die Welt in ein warmes, goldenes Leuchten. Wortlos gingen sie nebeneinander her, spürten die frische Brise im Gesicht und die stille Kraft des Moments. Die Stille zwischen ihnen war nicht leer, sondern erfüllt von einer neuen Ebene der Nähe. Sie war sanft und zurückhaltend, zugleich aber deutlich spürbar – eine Verbindung, wie sie nur zwischen Geschwistern existiert. Diese Vertrautheit beruhte auf gemeinsamen Erinnerungen, stillem Verständnis und einer tiefen, lebenslangen Bindung, die durch nichts zu ersetzen war.
Sie fanden ein kleines Café an einer Ecke und setzten sich an einen Tisch am Fenster, von wo aus sie das Treiben auf der Straße beobachten konnten. Die Welt draußen zog ruhig und unaufgeregt vorbei, während zwischen ihnen diese besondere Nähe weiter wuchs – eine Nähe, die ganz eigen war für Geschwister und ebenso tief wie unverwechselbar.
Ein paar Tage waren vergangen, und an einem dieser frischen, klaren Herbstmorgen, als die Luft erstmals gut zu spüren gab, dass der Sommer endgültig vorbei war, wandte sich Johanna mit einem kleinen Lächeln an Alexander. „Ich habe eine Überraschung für dich heute,“ sagte sie, ihre Augen blitzten vor Vorfreude.
Alexander schaute sie nur müde an, sein Gesicht verzog sich kurz ablehnend. „Überraschungen kann ich gerade nicht gebrauchen,“ murmelte er. „Es ist so schon turbulent genug.“ Doch er war zu gut erzogen, um unhöflich zu sein, und so hielt er sich mit weiteren Worten zurück.
Johanna aber sah genau, wie sich sein Mienenspiel kurz verändert hatte, und diese kleine Erinnerung an ihre Kindheitstage ließ sie unvermittelt laut auflachen. „Du erinnerst mich an damals, wie du immer so skeptisch bei meinen Ideen warst,“ sagte sie und schüttelte den Kopf amüsiert. „Aber keine Sorge, es wird gut.“ Sie machte eine kurze Pause, dann fügte sie hinzu: „Wir fahren heute zu Clara.“

counter3xhab ich gern gelesen

Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

Einen Kommentar schreiben

Mehr von Evelinya Lyriel (lys):

Das geflüsterte Versprechen Teil2
Das geflüsterte Versprechen Teil1