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geschrieben von Maleficant.
Veröffentlicht: 03.10.2025. Rubrik: Menschliches


Eine Kugel Eis

Manchmal denken wir, das Leben sei ein langer, gerader Weg. Aber wenn man genauer hinsieht, ist es ein Kreis.
Zwei Menschen laufen darauf, jeder für sich, scheinbar getrennt. Doch irgendwann – wenn die Zeit reif ist – treffen sich diese Kreise.

So war es bei den beiden.

Ihr Weg

Sie war zweiundfünfzig, Mutter von drei erwachsenen Söhnen. Sie hatte vieles erlebt, was man niemandem wünscht. Ein Vater, der ihr die Kindheit genommen hatte. Beziehungen, die voller Gewalt oder voller Leere waren. Als ihr zweiter Mann eines Tages einfach verschwand, war sie gezwungen, ihr Leben neu zu ordnen.

Sie fand Halt in langen Spaziergängen. Einfach gehen, Schritt für Schritt, atmen, den Kopf frei bekommen. Einer dieser Wege führte sie in ein kleines Kaffeehaus. Sie bestellte eine Kugel Vanilleeis. Ein Ritual, so unscheinbar wie ein Kieselstein am Wegesrand. Und doch sollte es ihr Leben verändern.

Sein Weg

Er war neununddreißig. Sein Leben war nicht leichter verlaufen. Gewalt, Missbrauch, ein Vater, der in seiner Sucht gefangen war. Auch er hatte gelernt, dass man niemandem wirklich vertrauen konnte. In der Gastronomie arbeitete er sich durch – Küche, Service, Bar. Oft war er nur kurz irgendwo, dann zog er weiter.

Mit dreißig hatte er versucht, seinem Leben ein Ende zu setzen. Doch er überlebte. Und das Überleben veränderte ihn. Er begann Fragen zu stellen:
Wofür bin ich hier? Warum gibt es mich noch?

An diesem Nachmittag stand er im Kaffeehaus, schaufelte Eis in Becher. Routine. Bis sie hereinkam.

Der Blick

Es war kein Film-Moment. Keine Musik, keine Zeitlupe. Sie kam einfach herein, bestellte ihr Eis, sah ihn an. Für ihn war es nur ein weiterer Gast. Für sie war es ein Erkennen.

Sie kam wieder. Und wieder. Er bemerkte irgendwann, dass ihre Blicke auf ihm ruhten. Und er fragte sich:
Was sieht sie, was ich selbst nicht sehen kann?

Die Nacht

Schließlich schrieb sie ihm. Eine Nachricht, unscheinbar, aber entscheidend. Sie trafen sich. Und redeten die ganze Nacht.

Sie sprachen über Kindheiten voller Schmerz. Über Ehen und Brüche. Über die Einsamkeit, die bleibt, wenn man nicht mehr an die Liebe glaubt.

Und dann entdeckten sie etwas Erstaunliches: Sie hatten sich schon lange gekreuzt. Drei Betriebe. Immer dieselben Orte, dieselben Wände, nur zeitversetzt. Wie zwei Züge, die sich auf parallelen Gleisen bewegen, ohne einander zu berühren.

„Vielleicht sollten wir uns einfach noch nicht treffen“, sagte sie leise.
„Vielleicht mussten wir erst lernen, was wir jetzt zu geben haben“, antwortete er.

Der Anfang

Zwei Tage später waren sie unzertrennlich. Für Außenstehende ging alles zu schnell. Für sie fühlte es sich an, als hätten sie nur das nachgeholt, was längst fällig war.

Fünf Jahre später standen sie im selben Kaffeehaus. Sie sagten Ja. Nicht laut, nicht pompös, sondern in aller Ruhe.

Die Erkenntnis

Wenn man heute sieht, wie sie im Park nebeneinander sitzen, ein Eis in der Hand, dann spürt man es:
Das Leben bringt uns die Menschen nicht dann, wenn wir sie suchen.
Sondern dann, wenn wir bereit sind, sie wirklich zu sehen.

Und vielleicht ist genau das die Aufgabe unseres Weges:
Schritt für Schritt zu gehen, auch durch Dunkelheit und Schmerz – bis wir dort ankommen, wo jemand wartet, der sagt:
Ich war schon die ganze Zeit auf deiner Spur.

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von Butterblume am 03.10.2025:

Gut geschrieben, ja das nenne ich mal mutig😇

Beste Grüße
Butterblume 😇




geschrieben von Babuschka am 03.10.2025:

Hallo Maleficant,
eine interessante Geschichte mit einem schönen Happy-End. Ich freue mich mit den beiden, dass sie sich gefunden haben.
LG Babuschka




geschrieben von lüdel am 03.10.2025:


Was so eine Kugel Eis alles bewirken kann 💘




geschrieben von Hundsstern am 03.10.2025:

Hey
O h n e das Intro und die abschliessende "Erkenntnis" wäre das richtig gut erzählt [grossartig:
Was sieht sie, was ich selbst nicht sehen kann?]

M i t den zwei Passagen hat es imho was Erklär-Bär-Haftes, ist einen touch missionarisch, belehrend. Ich würde meine Rückschlüsse gern selber ziehen. Schade. Meine Wahrnehmung, kann aber natürlich auch komplett anders sein. H.

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