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geschrieben 2016 von Fritzi von Frankfurt (Fritzi von Frankfurt).
Veröffentlicht: 28.09.2016. Rubrik: Unsortiert


Hühnersuppe

Ich sitze allein in meiner Wohnung. Über mangelnde Arbeit kann ich mich nicht beklagen, genauso wenig wie über Verabredungen mit guten Freunden. Trotzdem überrollt mich eine immens große Flutwelle von Einsamkeit. Mir fehlt ein Mensch an meiner Seite, eine exklusive Beziehung. Ich sehne mich nach der Vertrautheit, die nur zwei Menschen miteinander teilen können. Ich habe mich zuvor noch nie in einem Online Dating Portal angemeldet und halte eigentlich auch nichts davon. Jedoch will ich auch nicht ständig in Clubs und Bars herumlungern auf der Suche nach einem neuen Partner. Also tauche ich nun in eine neue Welt ein, eine Welt von Oberflächlichkeit, in der Männer einerseits auf der Suche nach ihrem puren Vergnügen sind, andererseits auch nach Liebe und Anerkennung lechzen.

Der Steuerberater, ein belesener, aber langweiliger Typ, den ich auf normalem Wege niemals eines Blickes gewürdigt hätte. Doch er schreibt intelligent, witzig und er wohnt in meinem Kiez. Ich schlage ein Date der anderen Art vor. Unser Treffpunkt ist der nahegelegene Bio-Supermarkt. Ich stehe vor dem Tee-Regal, weil dieser hier exzellent ist. Ich bin fünf Minuten zu früh und denke an unser „Arrangement“ (es ist meine Idee und sie gefällt ihm offensichtlich). Wenn wir uns sehen und mich sein Antlitz nicht anwidert, werde ich etwas kaufen. Sollte ich ihn aber abstoßend finden, werde ich wortlos das Geschäft verlassen und ich werde nichts mehr von mir hören lassen. So haben wir es vereinbart. Er wird ebenso agieren. Ich habe ein mulmiges Gefühl. Meine Phantasie ist mal wieder mit mir durchgegangen. Bin ich nicht zu durchgeknallt für diese Welt? Ich stelle mir vor, dass er wahnsinnig attraktiv ist und ich das komplette Obst-, Gemüse- und Fleischsortiment in meinen Einkaufswagen lege.

Ich erkenne ihn sofort, als er den Laden betritt. Er ist dünn, zu dünn für mich, ich mag wohlproportionierte Männer, am liebsten mit etwas Muskeln, aber die sind bei ihm natürlich nicht vorhanden, denn er ist Steuerberater und kein Bauarbeiter. Dennoch hat er etwas Interessantes an sich. Er scheint nicht humorlos zu sein. Eine ordentliche Prise Humor vermag es unter Umständen, die Muskeln entbehrlich werden zu lassen. Dann sollte er allerdings sehr lässig und cool sein. Ich bezweifle, dass er das ist. Sein Kleidungsstil ist klassisch, nicht so schlecht. Keine Liebe auf den ersten Blick, kein Entzücken, aber auch keine extreme Abneigung. Also schnappe ich mir meinen Lieblingstee und gehe in seine Richtung. Mein Herz klopft bis zum Hals, aber ich lasse mir nichts anmerken und setze mein cooles Lächeln auf. Wir reden nicht, so war es verabredet. Er lächelt ebenfalls, geht dann aber zum Ausgang und kauft nichts. Ich gehe an die Kasse, bezahle und begebe mich ebenfalls hinaus. Draußen begrüße ich ihn mit einem „hey, na“. Es regnet, er spannt seinen Regenschirm auf, bietet mir seinen Arm an, bei dem ich mich einhaken soll – eine äußerst altmodische, aber freundliche Geste, wie ich finde – und wir gehen in die Richtung unserer beiden Wohnungen. Er fragt mich sofort, ob wir uns abends auf ein Glas Wein in der nahe gelegenen Weinstube treffen wollen und ich sage zu.

Vor dem Kleiderschrank befinde ich mich vor einem immer wiederkehrenden Dilemma, das sicherlich viele meiner Artgenossinnen nachvollziehen können. Ich besitze Unmengen von Kleidung, habe aber nichts anzuziehen. Für Dates kaufe ich mir gern etwas Neues, allerdings weiß ich, dass das Steuerberaterlein, so nenne ich ihn mittlerweile sogar schon vor meinen engsten Freunden, jetzt schon so scharf auf mich ist, dass ich mir das Geld für ein neues Kleid sparen kann. Also greife ich nach einer hautengen Jeans, einer Seidenbluse, High-Heels und einer Lederjacke.

Gott sei Dank, er ist Raucher. Es ist Anfang April und wir sitzen eine Weile draußen. Das Gespräch verläuft gut, dennoch vermag er mich mit seinen immer wiederkehrenden Floskeln „du bist ein guter Typ“ oder auch „du bist eine tolle Frau“ auf die Palme zu bringen. Er erzählt und erzählt. Männer, die zu viel reden, turnen mich ab. Das hat etwas von Waschweib und wenn ich eins haben wollte, würde ich es mir nehmen. Er redet den ganzen Abend davon, wie toll er ist, wie viel Geld er verdient, was er alles kann. Es ödet mich an. Er fragt mich nichts und interessiert sich auch nicht wirklich für mich, jedoch hat er eins meiner Bücher gelesen und beginnt plötzlich, mir Komplimente zu machen. Wir unterhalten uns über Politik, es wird langsam spannender, jedoch nicht so spannend, dass ich mir vorstellen könnte, irgendwann körperlich mit ihm zu werden. Ich gebe vor, morgen früh raus zu müssen und er zahlt. Wir gehen durch die Nacht und er legt den Arm um mich, es ist mir unangenehm und ich gebe einen Grund vor, um mich von der Umarmung zu lösen. Vor meiner Haustüre verabschieden wir uns mit einem Küsschen rechts und links und ich verschwinde in meinem Haus.

Am nächsten Tag ruft er mich an und fragt, ob ich zu ihm abends zum Essen komme. Ich habe keine Lust mir wieder sein Geschwafel anzuhören, allerdings gibt es Meeresfrüchte, Spargel, Kartoffeln, Steak und Panna Cotta. Wie könnte ich widerstehen? Ich briefe meinen Kumpel. Er ruft mich um 22 Uhr an, um sicherzugehen, dass ich noch lebe. Alles schick. Das Essen ist hervorragend. Dann erzählt er von seinen Bildern, die an den Wänden hängen. Er schafft es jedoch nicht einfach davon zu reden, er muss permanent angeben. Auch das Steak will er sich teilen, er kaufte nur eins, was für ein Fauxpas! Ich bin zwar eine kleine, zierliche Person, dennoch könnte ich für Steaks morden und möchte es auch sicherlich niemals teilen. Es ist 22.30 Uhr und ich bin einfach nur gelangweilt. Ich schlage ihm vor, ihn in meine Welt zu entführen. Also ziehen wir unsere Schuhe an und gehen zu mir. Ich zeige ihm meine Wohnung und er ist sichtlich von der Größe und meinem Stil beeindruckt. Wir trinken Wein und hören die Ramones. Ich bin zum ersten Mal ehrlich zu ihm und gebe ihm zu verstehen, dass er mich weder mit Geld, noch mit einer schönen Wohnung beeindrucken kann, sondern nur mit seinem Intellekt und seinem Herzen. Er wird locker und fühlt sich wohl. Wir nehmen noch einige Getränke zu uns und dann schicke ich ihn heim.

Am nächsten Morgen habe ich schreckliche Halsschmerzen und fühle mich krank. Er meldet sich bei mir und würde gerne etwas unternehmen. Als ich ihm sage, dass mein Gesundheitszustand zu wünschen übrig lässt, schlägt er vor, mir eine Hühnersuppe zu kochen, was mich freut. Es ist schön, wenn sich jemand um einen Menschen kümmert, das habe ich schon länger nicht mehr erlebt, trotz meiner langjährigen Beziehung zuvor. Er klingelt bei mir und wir gehen einkaufen. Ich habe eine Abneigung gegen Ekelhühnchen. Ich möchte Biohühnchen kaufen und er schlägt vor, zu Aldi zu gehen, weil es dort die „besten Hühnchen“ gibt. Ich bin angeekelt, hätte es eigentlich auch zur Sprache gebracht, allerdings fühle ich mich krank und nicht imstande zu diskutieren.
Im Discounter kauft er neben dem Hühnchen noch Kleidung für seinen zweijährigen Sohn. Nicht, dass ich etwas dagegen hätte, jedoch verhält er sich widersprüchlich. Zuvor prahlte er permanent und jetzt kauft er das Billigste vom Billigen. Er widert mich an.

Zuhause angekommen beginnt er sofort, die Suppe zu kochen. Ich bin krank und müde und habe keine Lust auf Konversation. Da muss ich leider jetzt durch. Zwei Stunden braucht eine fucking Hühnersuppe mindestens, bis sie fertig ist. Irgendwie überstehe ich die Zeit. Die Suppe sieht lecker aus und ich koste sie. Der Geschmack lässt allerdings zu wünschen übrig. So etwas Fades habe ich noch nie zuvor gegessen. Die Muschelnudelsuppe von Erasco ist dagegen Gourmetessen. Ich frage ihn, ob er sie nicht gewürzt hat und er verneint; kein Salz, kein Pfeffer. Ich hole die Salz- und Pfeffermühle und getrocknete Chilis. Jetzt ist sie einigermaßen genießbar. Ich bin völlig fertig und müde, nachdem ich die Suppe hinuntergewürgt habe. Also bedanke ich mich und gebe ihm zum Abschied einen Kuss, ohne Zunge, nur Lippen an Lippen. Sie fühlen sich trocken und faltig an, ohne jegliche Spannung. Sie turnen mich genauso ab wie die Suppe. Dieser Kuss ist der fadeste Kuss meines Lebens. Ich schließe die Tür, kippe die Suppe in die Toilette und gehe ins Bett. Bevor ich in den Schlaf falle, schicke ich ihm eine Nachricht: „Danke für die leckere Suppe, das war sehr lieb von dir. Trotzdem macht es keinen Sinn, dass wir uns wiedersehen. Leb wohl!“. Dann lösche ich die Nummer und kuschele mich in meiner Decke ein.

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