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geschrieben 2025 von Johannes Engel (jojo_eng).
Veröffentlicht: 24.12.2025. Rubrik: Nachdenkliches


Motten Fliegen Zum Licht

Die stille Straße war düster.
Kein einziger Stern leuchtete am Himmel und auch der Mond schien nur ein kleiner, verwaschener Fleck zu sein, antriebslos und ohne Kraft.
Das einzige Licht, das an jenem Abend auf den grauen Gehweg fiel, war das Licht der Straßenlaternen.
Doch selbst dieses wirkte irgendwie schwächer als sonst und schien seltsam zu flackern.
Wer aber genauer hinsah, konnte erkennen, dass dafür nicht etwa ein technischer Defekt verantwortlich war, nein, vielmehr wurden die wenigen Lichtquellen von so vielen Motten umschwirrt, ganz so, als gäbe es auf der ganzen Welt nichts Schöneres als die Wärme einer alten Glühbirne.

Das Geräusch eines Motors durchbrach die nächtliche Stille.
Zwei Scheinwerfer warfen grelles, unnatürliches Licht auf die schlafenden Häuser der stillen Straße, viel zu hell, als dass es zur düsteren Atmosphäre passte.
Die Motten empfanden das wohl nicht so, ja, einige schienen kurz zu überlegen, ob das Scheinwerferlicht nicht sogar noch attraktiver wäre als das der Laterne, doch da kam das Auto zum Stehen und die Lichter erloschen.
Die Autotür öffnete sich und eine junge Frau stieg aus.
In schnellem Schritt ging zu dem Haus, an dem sie geparkt hatte, sie hatte gar keinen Blick übrig für die stille Straße mit ihren Laternen, den Motten und ihrem leisen Summen.
Doch dieses Summen hätte sie wohl auch dann nicht gehört, wenn sie langsamer gegangen wäre, denn in ihren Ohren dröhnte immer noch der wummernde Bass.
Eine tolle Party war es gewesen heute Abend, fand sie. Nette Leute, gute Musik, ein bisschen Alkohol – all das trug zu ihrer erheiterten Stimmung bei.
Doch jetzt wollte sie einfach nur ihre Ruhe haben und schlafen.
Auf dem weichen Bett, in ihrem träumenden Haus, in der stillen Straße.

Mit einer hastigen Bewegung schloss sie die Tür auf.
Sie brauchte jetzt dringend guten Schlaf, morgen musste sie wieder in die Uni.
Der bloße Gedanke an ihren Alltag verdarb das Hochgefühl, das sie bis eben noch verspürt hatte.
Etwas frustriert ging sie in die Küche, um noch ein Glas Wasser zu trinken, als es an der Tür klopfte.

Sie öffnete.
Da stand ein junger Mann. Ungefähr in ihrem Alter.
Sie erkannte ihn sofort.
Lange hatten sie sich nicht gesehen.
Sie umarmten sich.

Hatte er sich verändert, also vom Aussehen her?
Nein, nicht viel, glaubte sie, doch ganz sicher war sie sich nicht.
Und vom Wesen? Er war sicher immer noch der Gleiche: Immer freundlich, hilfsbereit und aufmerksam.
Ja, das hatte sie sehr geschätzt an ihm.
Sie waren Freunde gewesen, als sie noch zur Schule gingen, aber dann hatten sie sich mit der Zeit aus den Augen verloren.
Schade eigentlich, er war immer so nett gewesen.

Sie hatte sich gar nicht verändert, sah immer noch genauso aus, wie an dem Tag, an dem sie sich das letzte Mal gesehen hatten. Nur ihre Haare, die waren anders jetzt.
Ein bisschen gelockt waren sie, fiel ihm auf, es stand ihr sehr gut.
Ob sie mal an ihn gedacht hatte?
Sicher nicht so oft, wie er an sie.

Er wusste nicht, wieso er zu ihr gefahren war.
Die Nacht hatte ihn angelockt, die klare Nacht voller Sehnsucht und Leere, die stille Straße voller Motten und Lichter, das träumende Haus, ja, und auch dieses Mädchen.
Vor allem dieses Mädchen.

Wieso war er eigentlich zurückgekehrt?
Sie hatte gedacht, er wäre fortgegangen. Er hatte doch so fest daran geglaubt, dass es da draußen irgendwo ein großes Licht gibt.
Ja, aufgebrochen war er, so hatte er gesagt, um das große Licht zu suchen und ihm zu folgen. Hatte er es schon gefunden?
Eigentlich war es ihr egal, denn sie glaubte nicht an dieses Licht.

Er hatte sie so vermisst…

Sie fragte sich, wieso er so spät in der Nacht gekommen war und keine Nachricht geschrieben hatte, um seinen Besuch anzukündigen.

Sie sah so schön und doch so verloren aus, hier in der ruhigen Nacht im träumenden Haus…

Langsam kann er auch mal was sagen, fand sie, immerhin musste sie jetzt eigentlich schnell ins Bett.

Wenn sie doch mitkommen würde, wenn sie doch einfach alles stehen und liegen lassen würde und zusammen mit ihm endlich die stille Straße mit den Motten verlassen würde…

Sie gähnte.

Immer wenn er sie gesehen hatte, damals, hatte er gehofft, dass sie eines Tages mitkommen würde.
Und ja, er wusste, manchmal waren sie wie Fremde aus zwei Sphären, die sich kaum berühren.
Aber es gab auch Momente, da dachte er, zwischen ihnen wäre so etwas wie Band, golden und undurchtrennbar, also hätte eine höhere Macht es um sie geschlungen.
Er erinnerte sich noch genau, wie sie einmal gesagt hatte, dass sie mit ihm so gut reden könne…

Sie erinnerte sich nicht daran.

Und ja, er wusste, sie waren unterschiedlich und passten nicht zusammen, aber trotzdem, er wollte die Hoffnung einfach nicht verlieren, er konnte sie nicht vergessen…

„Wie geht’s dir?“

„Gut, und dir?

„Mir auch eigentlich, bin grad nur ein bisschen müde…“

„Ich muss eh gleich wieder gehen.“

Frag sie, ob sie mitkommen will, dass große Licht zu suchen, sagte ihm sein Herz.
Denn es wusste, nie wieder würde er die stille Straße und das träumende Haus wiedersehen, nur jetzt hatte er die Chance zu fragen, jetzt und nie wieder.

Langsam drehte er sich um, stieß dabei versehentlich den Hutständer um, der mit einem lauten Knall zu Boden fiel, so laut, dass der junge Mann kurz Angst hatte, das träumende Haus würde aufwachen, wodurch die stille Straße nicht mehr still wäre und die ruhige Nacht nicht mehr ruhig.
Aber all das passierte nicht.

„Ich hab dich lieb“, sagte er noch, als er schon über der Türschwelle war und die Haustür hinter sich schloss.

Komisch fand sie das alles, so kannte sie ihn nicht, vielleicht hatte ihn die Suche nach dem großen Licht seltsam gemacht.
Sie glaubte nicht an das große Licht.

Sie sah ihm nicht nach, sondern ging ins Bad, um sich bettfertig zu machen.

Hätte sie ihm nachgesehen, dann hätte sie gesehen, wie er sich nochmal umwandte, kurz zögerte, aber dann doch weiterging.
Hinaus aus dem träumenden Haus in die immer ruhige Nacht.
Die Straße sah genauso aus wie vorhin, nur das Licht der Straßenlaternen schien noch etwas mehr flackern und der Gehsteig schien noch etwas grauer zu sein.

Und als er da auf der Straße stand, da fand er das große Licht nicht mehr.
Er drehte sich um, blickte in alle Richtungen, doch er fand es nicht. Er versuchte, alles zu vergessen, was geschehen war, doch er fand es nicht. Er schrie laut, er wollte nicht, dass die ruhige Nacht weiter ruhig bleibt und die Straße weiter still. Doch er fand es nicht.

Und wie er da stand, orientierungslos, verzweifelt und müde, da verwandelte er sich in eine Motte. Mit seinen Flügeln flog er zu den anderen Motten und kämpfte mit ihnen darum, auch etwas vom verlockenden Licht der Straßenlaterne abzubekommen.

Das träumende Haus wachte auf.

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