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geschrieben 1988 von Rautus Norvegicus (Rautus Norvegicus).
Veröffentlicht: 26.07.2025. Rubrik: Kürzestgeschichten


In letzter Minute - ein Drama

„Ha, ha, guckt mal die Bohnenstange da vorn!“ Ein kleiner Junge auf dem Schulhof hatte es mit schriller Stimme gerufen und dabei mit seinem schmutzigen Zeigefinger auf auf ihn gedeutet. Karl wurde feuerrot, als er die Blicke der anderen Schulkinder auf sich gerichtet fühlte.

Heute war sein erster Schultag und er hatte geahnt, dass so etwas passieren würde. Schon im Kindergarten hatte seine Körpergröße von 1,85 Meter hämische Kommentare nicht nur unter den Winzlingen hervorgerufen, nein, auch deren Eltern waren immer zu einem neckischem Spruch bereit gewesen, wenn er mit seinen leuchtend roten Haaren in der Masse der Pimpfe auftauchte. Er sah aber auch wirklich komisch aus! Im zarten Alter von vier Jahren hatte er schon eine Körpergröße von 1,74 erreicht, dabei konnte man seine Schultern mit zwei Händen umfassen, manche Frau wäre glücklich über eine solche Wespentaille gewesen.
Seine Arme waren unnatürlich lang, wenn er sie in die Höhe hob, konnte er damit die Zimmerdecke eines Altbaus erreichen, die gut zweimeterfünfzig
hoch war. In diesem Haus wohnte er mit seiner Familie, die von normalen Körperwuchs war. Bei ihm hatten einige Hormonschübe, während seine Mutter mit ihm schwanger war, zu seinem überdimensionalen Körperwuchs geführt. Schon im dritten Schwangerschaftsmonat hatte man ihn durch einen Kaiserschnitt von seiner Frau Mama entbinden müssen.

Sein Vater, ein kleiner, gutmütiger Mann,
hatte sie eines Morgens mit allen Anzeichen des Entsetzens im Gesicht ins Krankenhaus gebracht und nur noch röcheln können: „Sie platzt, sie platzt!“ Die Ärzte setzten ohne zögern eine Notoperation an. In dem furchtbar aufgeblähten Bauch hatten sich bereits feine Risse gebildet, aus denen Blut sickerte. Schnell wurde sie narkotisiert und der Chirurg brauchte nur noch das Skalpell daran zu setzen und leicht zu drücken, da riss die Haut auch schon mit einem leisen Seufzer auf.

Ein riesiges Baby reckte brüllend seine Arme in die sterile Weiße des Saals. Durch eine dramatische Operation gelang es den Ärzten, die Frau und das Baby am Leben zu erhalten. Das Riesenbaby wurde zum Aufmacher jedes einschlägigen Fachmagazins. Für die Eltern des Kindes, das sie Karl genannt hatten, begann mit seiner Geburt ein wahrer Kreuzweg. Immer und überall veranlasste die hochaufgeschossene Gestalt ihre Mitmenschen zu ironischen, spöttischen, ja, sogar zu offen höhnischen Bemerkungen.

Solange er wohlbehütet zu Hause bleiben konnte, spürte er die Abnormität seines Körperwuchses kaum. Es begann erst richtig mit voller Wucht , als Karl in den Kindergarten ging und schließlich in die Schule. Dort bekam er die Verachtung seiner Mitschüler mit aller Macht zu spüren. Morgens, wenn er mit dem Bus den Weg zur Schule zurücklegte, musste er sich während des gesamten Weges abfällige Bemerkungen und bissigen Spott gefallen lassen. Zwei bis drei Mal pro Monat wurde er sogar verprügelt! Außerdem hatte er keine Freunde, sogar Katzen machten einen Buckel und fauchten ihn an, die friedlichsten Schoßhündchen fletschten ihre Zähne und schnappten nach ihm, sollte er versuchen, sie zu streicheln.

So quälte er sich durchs Leben, doch dann entdeckte er, wie er seine Einsamkeit lindern konnte. Dieser Entdeckung ging eine Begegnung mit dem jungen Geistlichen seines Pfarrbezirks voraus, mit dem er sich sonntags nach dem Gottesdienst oft stundenlang unterhalten hatte. Der Pfarrer
musste ihm erklären, dass seine Körpergröße keine Strafe Gottes war und hatte ihm zu Gebeten geraten. Karl griff nach diesen Vorschlag wie ein Ertrinkender nach dem sprichwörtlichen Strohhalm, doch alle Gebete hatten nichts genutzt. Mittlerweile hatte er die imposante Höhe von 2,64 erreicht, wog dabei aber nur 50 Kilo. Eines Abends, es war im Hochsommer und noch angenehm warm, ging er in den nahen Park, legte sich hinter ein Gebüsch auf den Rasen und schaute in den sternenklaren Himmel. Zwei bis drei
Stunden mochte er so dagelegen haben und wollte sich gerade erheben und gehen, als sich ein junges Pärchen auf die Bank setzte. Die stand unmittelbar vor dem Gebüsch , das ihn vor seinen Augen verbarg.

Karl wollte die beiden jungen Leute nicht stören, außerdem hatte er wegen seines einzigartigen Aussehens etwas Angst vor fremden Menschen. So blieb er still liegen und wurde
unfreiwillig Zeuge des Gesprächs der beiden. „Ach Gerda“, sagte der junge Mann, „ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich dich liebe. Dazu fehlen mir einfach die Worte!“ „ Ja, ja, Wilfried,“ entgegnete darauf die als Gerda Angesprochene „auch mir stockt der Atem, wenn ich an unser beider wunderbares Liebesglück denke!“ Noch drei Stunden blieben die beiden sitzen und übertrafen sich dabei gegenseitig in der Beteuerung ihrer Liebe zueinander. Karl rannen derweil die Tränen über die Wangen und weichten den Rasenboden unter seinem Kopf auf. Wohl niemals würde er einer Frau begegnen, die ihn so sehr lieben würde!

Dann endlich verließen die beiden die Bank und den Park.
Auch Karl erhob sich mit wackeligen Beinen. Hängenden Kopfes, wankend vor Trauer und halbblind vor Tränen, schleppte er sich den Heimweg entlang. Er sah den offenen Gully gar nicht, der im Asphalt vor ihm in der Straßendecke gähnte und kam erst wieder zu Sinnen, als er bis zur Brust im Wasser in dem engen Gully-Schacht steckte. Angeekelt hielt er den Atem an, als er den Gestank wahrnahm, der um ihn herum herrschte und begann, laut um Hilfe zu rufen. Seine Stimme hallte in dem engen Schacht wieder und dröhnte ihm in den Ohren. Nach einer halben Stunde glaubte er zu bemerken, dass das stinkende Wasser um ihn herum immer höher stieg. Jedoch die Logik machte ihm zugleich grausam klar, dass nicht das Wasser stieg, sondern er sank in den Schlamm ein, der sich im Laufe der Zeit meterhoch am Grunde des Siels gesammelt hatte.

Wenn Karl aus seiner hilflosen Position nach oben sah, erblickte er wieder den Nachthimmel, der aber keinen romantischen Gedanken mehr zuließ. Mittlerweile war er bis zu den Brustwarzen in den Schlamm eingesunken und das Wasser gluckste um sein Kinn. Er glaubte nicht mehr daran, den Grund mit den Füßen zu erreichen, bevor ihm das Wasser in Mund und Nase drang. Doch plötzlich hatte sein Sinken ein Ende. Er stand mit den Füßen fest auf dem Boden des zylindrischen Abwasser-Schachtes! Um sein Glück vollkommen zu machen, entdeckte ein zufällig vorbei gehender Passant seine missliche Situation und versprach, sofort Hilfe zu holen. Karl wusste, dass er gerettet war! Minuten später ließen einige Männer und Frauen, die aus einem nahen Wirtshaus zur Hilfe geeilt waren, ein dickes Seil in den Gully hinab, an dem er sich bis zum Eintreffen der Feuerwehr fest halten konnte. Doch was war inzwischen passiert?

Karl hatte sich so sehr über seine vermeintliche Rettung gefreut, dass er die Schließmuskeln seiner Blase nicht mehr kontrollieren konnte und diese sich entleert hatte. Dadurch war der Wasserspiegel in dem engen Rohr gestiegen. Karls Füße steckten wie einbetoniert im Schlamm und hielten ihn fest am Grund. So war Karl eine Minute vor der Rettung in seinem eigenen Urin ertrunken.

Ende

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von Babuschka am 26.07.2025:
Kommentar gern gelesen.
Lieber Rautus,
nix für unguat, aber mir gefällt die Variante, in der er in letzter Minute gerettet wird, noch immer besser als diese. Ansonsten wieder gern gelesen.
LG Babuschka




geschrieben von Rautus Norvegicus am 26.07.2025:

Ich weiß das noch, die positive Version schrieb ich auf deine Anregung hin, hab sie aber nicht mehr. Für mich hat dieses Ende der Geschichte aber noch mal eine Handvoll Würze über die Worte gestreut.

Eine Version mit einem guten Ende zu erdenken und zu schreiben ist jetzt deine Aufgabe, liebe Babuschka! Du hast ja auch mit Frater Merlin gemeinsam geschrieben, ein gutes Ende für die Gully Sache findest du selber garantiert. Ich freue mich drauf!

Liebe Grüße
😀
Rautus

Ja stimmt, du hast die weiße Maus zu Papier gebracht🙂




geschrieben von Babuschka am 26.07.2025:
Kommentar gern gelesen.
Nein, lieber Rautus. Da muss ich dich enttäuschen, denn diese Geschichte ist nicht so ganz die meinige, mein Schreibstil ist ganz anders.

Das gemeinsame Schreiben damals war eine Ausnahme, das hat sich so ergeben, sich so entwickelt. Aber es gab auch Meinungsverschiedenheiten. Es war schwierig genug! Ich muss das jetzt nicht aus dem Boden stampfen. Zurzeit kommentiere ich lieber.

Ich hoffe, du bist mir nicht böse deswegen. Mit herzlichem Gruß, Babuschka :D

P.S.: Außerdem habe ich ja schon auf deine 'Kellermaus' mit einer Geschichte geantwortet ;-P




geschrieben von Babuschka am 26.07.2025:
Kommentar gern gelesen.
P.S.: Was weiß ich? Es könnte ein Bussard drüberfliegen, den Haarschopf für ein Kaninchen halten, und den armen Karl rausziehen. Doch das passt weder zur Geschichte, noch zur nächtlichen Stunde ;-)

LG Babuschka




geschrieben von Rautus Norvegicus am 26.07.2025:

Hmm, Haarschopf, Bussard, raus ziehen?

... Aus luftiger Höhe jedoch, ein scharfäugiger Mäusebussard erblickte den Haarschopf von Karl, der gerade noch aus dem Gully ragte.

Der Bussard war den ganzen Tag erfolglos auf der Suche nach Beute gewesen. Als er den erbarmungswürdigen Karl erblickte, stieß er im Sturzflug hinab zu ihm, schlug seine Messer scharfen Krallen in die Haare und zog ihn mit Schwung aus dem Rohr!

Es machte vernehmlich 'plop', als Karls Körper wie ein Korken, der die Flasche verlässt, aus dem Schacht flutschte! Er setzte Karl vorsichtig auf dem Boden ab und flog nach Hause, zu seiner Frau und seinen Kindern. Denen erzählte er von seiner guten Tat und wurde gelobt. Denn er war außerdem bei den Pfadfindern und hatte so die gute Tat vollbracht, die ein Pfadfinder, ein so genannter Pfadfinder-Bussard, einmal pro Tag erbringen muss!

ENDE


Liebe Grüße
😄
Rautus




geschrieben von Babuschka am 26.07.2025:
Kommentar gern gelesen.
:D
Der 'Blobb' wäre bei mir auch vorgekommen, der musste sein.
Gute Idee mit dem Pfadfinder-Bussard!
LG Babuschka

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