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geschrieben 2018 von Stephanie (FeelFree1979).
Veröffentlicht: 20.06.2018. Rubrik: Menschliches


Eifersucht

Es wurde bereits dunkel, als Hanna den metallic-blauen SUV vor der Garage ihres kürzlich bezogenen Einfamilienhauses am Stadtrand von Wuppertal abstellte und den Schlüssel zog.
Seufzend warf sie den Kopf in den Nacken und schloss für einen Moment ihre strapazierten Augen. Fahren in der Dämmerung bedeutete höchste Anstrengung für Hanna, zumal sie im Dunkeln wie auf Knopfdruck die Fähigkeit für räumliches Sehen zu verlieren schien.
Normalerweise brachte Nico sie jeden Morgen zur Arbeit und holte sie abends ab. So stand der Wagen nicht den ganzen Tag unnütz auf dem Parkplatz herum und sie konnten noch ein wenig Plaudern. Er war so ein sicherer und ruhiger Fahrer, brachte sie zum Lachen vor einem wichtigen Meeting oder nach einem stressigen Arbeitstag. Mit ihm konnte Hanna einfach sie selbst sein, sich fallen lassen. Sich geliebt fühlen.
Ach, Nico – beim Gedanken an ihren Ehemann lächelte Hanna in sich hinein. Sie waren bereits seit über fünfzehn Jahren zusammen, dreizehn davon verheiratet. In all den Jahren hatte Hanna nicht einen ernsthaften Streit mit ihm gehabt. Vor zwölf Jahren krönte dann noch die Geburt ihrer gemeinsamen Tochter Jenna das Eheglück. Alles schien perfekt.

Zumindest bis vor wenigen Wochen. Hannas inneres Lächeln erstarb abrupt. Nico hatte sich mit einem Male verändert, wirkte in sich gekehrt, beinahe verschlossen. Hanna befürchtete, ihn vielleicht ein wenig zu sehr in die Rolle des Hausmannes gedrängt zu haben, als ihr Chef sie vor zwei Jahren zur Partnerin der Werbeagentur C.O.S.I. ernannte. Aber jedes Mal, wenn sie ihn darauf ansprach, wiegelte er nur ab. Nahm Hanna in die Arme und versicherte ihr, wie stolz er auf sie sei. Das mulmige Gefühl in ihrer Magengegend jedoch blieb wie ein störendes Überbleibsel der letzten Hauptmahlzeit in den Zahnzwischenräumen.
Unmöglich, es zu ignorieren.

Hanna fasste einen Entschluss, als sie sich ihre Arbeitstasche vom Beifahrersitz schnappte und ausstieg. Sie würde Nico einen unvergesslichen Abend bereiten. Romantisch und sexy, wie in früheren Zeiten. Es war Freitag, Jenna schlief bei ihrer besten Freundin und die Gelegenheit war so günstig wie selten. Bei der Vorstellung, ihrem geliebten Mann eine Freude zu bereiten, begann ihr Herz an zu hüpfen.
Wie ein Teenager, der viel zu spät nach Hause kommt, schlich Hanna durch die aufgeschlossene Tür in den Flur, die Schuhe mit den furchtbar lauten Absätzen bereits in Händen. Kein Laut war zu vernehmen. Komisch. Nico konnte eigentlich nicht weit weg sein, schließlich hatte sie ja den Wagen mitgenommen und bis auf zwei Fahrrädern, die an der Wand lehnten und einem alten Moped ohne Auspuff gab es keinerlei Fahrgeräte in ihrem Besitz.
Zudem lag sein Handy auf der Kommode. Ohne Smartphone ging Nico nirgendwo hin, so viel war klar.
Ein Gefühl der Warnung entflammte in ihrem Bauch. Irgend etwas stimmte hier nicht.
Mit pochendem Herzen lugte Hanna durch die halb offene Wohnzimmertür ins Innere des größten Raumes im Haus.
Das weiße Kunstledersofa war leer, der niedrige Glastisch bis auf einem Weinglas und einer Flasche freigeräumt. Hanna's Herzschlag erhöhte sich erneut und pochte so laut in ihren Ohren, dass sie nicht sicher war, ob nicht doch irgendwo jemand dumpf gegen die Wand hämmerte. Sie lauschte erneut einen Moment lang ins Haus hinein. Nein. Keine Geräusche zu hören.
Vorsichtig schritt Hanna ins Wohnzimmer, jeden Moment ein lautes „Buh!“ erwartend, schließlich liebte Nico es, Hanna zu erschrecken.
Doch Nico war nicht hier. Niemand war hier. Bloß ein einsames halb gefülltes Weinglas neben einer Flasche „Lagone“ aus der Toskana, Hanna's Lieblingswein. Dann lag da eine kleine wolkenförmige Decke auf dem Teppich, die ihr unbekannt war … Moment mal! Hanna zog scharf die Luft ein. Das war keine Decke, das war ein riesiger Blutfleck! An den Rändern bereits geronnen, bot der Fleck ein Anblick des Grauens auf dem hellgrauen Langflor. Erst jetzt bemerkte Hanna die blutigen Fingerabdrücke, die sich an der Sofastütze befanden.
Mein Gott, was war hier bloß passiert?!
Panik schoss ihr in sämtliche Poren. Hanna begann zu hyperventilieren, griff sich an die Brust. Ruhig bleiben! Press' den Atem durch die Lippen, wie du es als Asthmapatientin gelernt hast!
Tief Einatmen. Langsam Ausatmen. Schon besser. Jetzt alles der Reihe nach. Vielleicht hatte Nico sich bloß irgendwo verletzt und war jetzt... zu Fuß auf dem Weg ins Krankenhaus? Bestimmt nicht! Dafür wohnen wir zu weit weg vom Schuss, dachte sie.
Dann kam Hanna eine Idee – bestimmt hatte Jenna ihn gefunden und mit Hilfe der Mutter ihrer Freundin fort gebracht. Sofort rief sie ihre Tochter auf dem Handy an. Nach einer gefühlten Ewigkeit erklang endlich eine genervte Stimme, die nur ein Teenager haben konnte: „Jaha, was ist denn Mama? Ich bin gerade mit Bea im Kino, der Film fängt gleich an!“ Die kurzzeitige Hoffnung erlosch wie eine ertränkte Kerze.
„Schatz, weißt du wo Papa ist? Hier ist... irgendetwas nicht in Ordnung. Er hat sein Handy hier gelassen, ich kann ihn nicht erreichen...“ Der Kloß im Hals hinderte Hanna daran, weiter zu sprechen. Tränen bahnten sich an.
„Ach Mama, Papa ist bestimmt zu Nadine gegangen.“ Bäm. Eine Faust der Eifersucht bohrte sich in Hanna's Magen. Jenna sprach unbekümmert weiter. „Heute Morgen hatte Papa etwas davon gesagt, dass er dort etwas zu erledigen hätte, meine ich. Frag' sie doch einfach. Ich muss aufhören. Ciao, Mum!“ Aufgelegt. Hanna wünschte sich kurz, mit ihrer Tochter die Körper tauschen zu können. So könnte sie nun sorgenfrei Popcorn essen und kichern, statt sich der Vergangenheit stellen zu müssen. Zu schmerzhaft war der Gedanke, Nico könne ausgerechnet bei ihr sein.
Nadine. Das „Luder vom Tal“ wurde sie genannt, blond und schlank und viel zu hübsch für ihre Ende vierzig. Wohnte einen Kilometer entfernt in einem wunderschönen Fachwerkhaus, von Muttern geerbt. War damals mit Hanna im gleichen Jahrgang der Realschule, in der Parallelklasse. Hatte ihr damals schon miese Streiche gespielt und den Schwarm ausgespannt, das Miststück.
Warum werden böse Menschen eigentlich so oft mit Schönheit und Reichtum bestraft, fragte Hanna sich. Diese Frau war die reinste Gefahr. Bei jedem Grillfest, jeder Geburtstagsfeier war Nicole mit von der Partie. Schönheit macht beliebt, alle Nachbarn mochten sie. Warum auch immer. Auf der letzten Party machte Nadine Nico schöne Augen, ja schmiegte sich einmal sogar an ihn! Hanna hatte alles beobachtet. Glücklicherweise war Nico treu wie Gold, ignorierte Nicole's Verführungsversuche. Aber was, wenn Nicole ihn in meiner Abwesenheit besucht hat? Vielleicht habe ich in letzter Zeit zu lange und zu viel gearbeitet? Nico hat mich in den letzten Wochen öfter mal alleine fahren lassen...

Hanna zwang sich zur Besonnenheit, schüttelte den Gedanken ab. Sie fing an, die Räume abzusuchen, um einen auf-dem-Boden-liegenden-Nico auszuschließen. Nichts. So weit, so gut.
Oder auch nicht gut, denn Hanna war sich gar nicht so sicher, ob ihr die Nicole-Variante lieber war.
Sie lief in die Küche, um sich kühles Wasser über die Handgelenke laufen zu lassen. Ein Messer lag in der Spüle, Blut klebte daran. Teufel, nein!
Ein Heulkrampf brach aus ihr heraus. Dem ersten Impuls, die Polizei anzurufen, widerstand Hanna jedoch. Sie hatte noch zu wenig Informationen, es könnte sich nach wie vor um einen Unfall handeln, oder um einen besonders schlechten Witz zum Aprilbeginn. Wobei selbst Nico so weit sicher nicht gehen würde. Und es bereits der zweite April war. In zwei Tagen hatte sie Geburtstag. Nach einem tiefen Seufzer und kühlem Wasser auf ihrer Haut fühlte sich Hanna ein wenig besser. Sie ging in den Flur, schnappte sich Nico's Handy und den Autoschlüssel. Überlegte dann, ein Foto vom „Tatort“ zu machen. Nur der Sicherheit halber.

Nach der Bildaufnahme blieb Hanna stehen und überlegte, ob sie wen anrufen sollte. Ihr Blick fiel auf etwas Glänzendes am Boden, gleich neben der dunkelroten Lache auf dem Teppich. Ein silberner Armreif, definitiv nicht von ihr oder Jenna. Hanna hob ihn auf. Es war ein Spruch auf der Innenseite eingraviert: „Für immer deins. Nico.“ Aus dieser Perspektive bemerkte Hanna dann noch etwas. Das Weinglas auf dem Tisch hatte einen auffälligen Schatten am Glasrand. Lippenstift.

Das war zu viel. Wut schäumte in Hanna hoch, wie Lava in einem Vulkan. Nico hatte eine Affäre! Oh, wie naiv sie war. Vermutlich war hier ein Kampf entfacht, Nico wollte wohl nicht mehr. Obwohl diese Gravur auf dem Armreif eine Sprache sprach, die Hanna immer noch zu verdrängen suchte. War es nicht viel wahrscheinlicher, dass die Affäre ihn nicht mehr wollte? Oder sogar.. erpresste? Dieser Gedanke war so erschreckend wie wahrscheinlich – warum sonst war Nico so merkwürdig ihr gegenüber?
Hatte Nico sich jetzt etwa zu einer Straftat hinreißen lassen? Übelkeit stieg in ihr hoch. Hanna schluckte schwer und schloss die Augen.
Es half alles nichts. Hanna musste auf Nummer Sicher gehen. Sie ging in den Flur, stieg in ihre Schuhe und machte sich auf den Weg zu Nadine.

Die blonde Schönheit öffnete nach wenigen Sekunden die Haustüre und strahlte Hanna an, als hätte sie sie erwartet. „Hey, da bist du ja. Komm' rein!“ Irritiert folgte Hanna ihrer Rivalin ins Haus.
„Ich äh suche...“ Weiter kam sie nicht. Nico saß auf der Couch im Wohnzimmer. Er lächelte verlegen. Hanna bekam Telleraugen. Wie von der Tarantel gestochen, sprang sie auf ihn zu. „Wie kannst du es wagen, mich so zu hintergehen, du...“ Dann fiel Hanna's Blick auf den Verband an Nico's Handgelenk.
Fragezeichen schwebten zu Tausenden über ihren Kopf. Nun verstand sie gar nichts mehr.
„Mein Schatz, beruhig' dich doch bitte. Ich weiß, zu Hause sieht es bestimmt komisch für dich aus. Ich hab' deine Überraschung gründlich versaut..“
„Überraschung?! DAS hier ist schon genug Überraschung für mich, danke!“ Während Hanna das Wort betonte, schwang ihr hochroter Kopf in Richtung Nadine. Diese lachte nur süffisant und schaute sich mit verschränkten Armen das Schauspiel an.
„Hanna, jetzt hör' mir mal zu. Jenna und ich wollten dir zum Geburtstag eine besondere Feier organisieren. Du sprichst seit Wochen beim Abendbrot darüber, wie gerne dein Chef den Konzern „sportsfit“ unter Vertrag nehmen würde. Naja und da Nadine seit kurzem mit dem Vertriebsleiter dieser Firma verlobt ist, wie sie mir auf Bernd's Geburtstag erzählte...“ Hanna's Unterkiefer fiel fast zu Boden. Sie wollte etwas sagen, aber es kam nur ein Fiepen heraus. Deshalb also diese Geheimniskrämerei und das vertraute Beieinander auf der Party.

„... dachten wir uns, wir verbinden das einfach und machen statt einer Fete eine Meete – Meeting und Fete halt.“ Nico lachte sie an, besann sich dann aber anders, als er den eisigen Blick seiner Frau sah. Hanna rührte sich nicht, alles in ihr war starr vor Wut, Erleichterung und Verwirrung zugleich. Sie konnte nur noch stumm auf seinen Verband deuten. Nico fehlinterpretierte den Fingerzeig als Deutung auf sein beflecktes Hemd. „Ach das, ja.. sei nicht böse Schatz, dass ich dir den Pseudoflokati vollgesaut habe. Jenna wollte unbedingt einen Schluck Wein probieren, wirklich nur einen kleinen, bevor sie los ging und naja, ich habe versehentlich zu viel eingegossen.“ Na klar, der Lippenstift! Jenna hatte sich vorgestern erst einen neuen gekauft! „Als ich den Wein zurück in die Flasche schütten wollte, ging fast alles daneben. Ich habe zwar den Tisch frei geräumt und abgewischt, aber der Teppich.. so richtig gemocht habe ich ihn eh nie.“

Jetzt lachte zur Abwechslung Nadine. Nico stimmte mit ein. Selbst Hanna konnte ihre Gesichtsmuskeln zu einer kurzen Regung überzeugen, doch dann fiel ihr etwas ein. „Und was kannst du mir zu dem Armreif sagen, hm? Der lag auch auf dem Boden.“ Nico errötete und biss sich auf die Unterlippe. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass er abwog, ob sich Lüge statt Wahrheit lohnte. Hanna hob warnend den Zeigefinger und holte Luft, um lautstark dagegen anzugehen, als Nadine sie von der Seite antippte. Hanna drehte sich zu ihr um, bereit sich gegen jeden Angriff zu wehren. Stattdessen hielt Nadine ihr eine schwarze Schachtel hin. Wieder verstand Hanna nur noch Bahnhof. Nico seufzte tief und stand auf. Mit beiden Händen griff er nach Hanna's rechter Hand.
„Mein Schatz, das ist mir jetzt furchtbar peinlich. Den Reif hatte ich heute graviert vom Juwelier abgeholt. Auf der Couch wollte ich ihn in die Verpackung legen, hatte dann aber die glorreiche Idee, ihn selbst anzuprobieren. Natürlich war er viel zu eng und schnürte mir das Blut ab. Ich probierte ihn abzubekommen, erst mit Seife, dann mit Öl.. nichts half. Dann habe ich das Messer genommen...naja, Bruce Willis hatte sich so ja auch mal von Handschellen befreit...“ Hanna fing an zu lachen. Sie lachte so laut und heftig, dass sie sich ihren Bauch halten musste. Tränen der Freude und Erleichterung liefen ihre Wangen hinab. Sie ließ sich auf Nadine's Sofa fallen und lachte und lachte.. und lachte.

Nun war es an Nico und Nadine, dumm aus der Wäsche zu gucken.

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