Veröffentlicht: 24.09.2025. Rubrik: Abenteuerliches
Der Indianerhäuptling (Fanfiktion)
Vorwort
Das Jahr 2025 steht ganz im Zeichen von "Winnetou".
Seit 150 Jahren begeistert der edle Apache Jung und Alt.
Leider ist in der vergangenen Zeit der Lakota-Häuptling Inn-nu-woh in Vergessenheit geraten, der mit Recht als Ur-Winnetou Karl Mays angesehen werden darf.
In einer Selbstbiographie schreibt Karl May 1910, 'lm ersten Blatte (gemeint ist "Deutsches Familienblatt") begann ich sofort mit "Winnetou", nannte ihn aber einem anderen Indianerdialekt gemäß einstweilen Inn-nu-woh.'
(Quelle: Inn-nu-woh - Karl-May-Wiki)
Die Figur Inn-nu-woh ist in nur einer Geschichte in Erscheinung getreten.
Und doch ist diese eine Geschichte der Grundstein zu Karl Mays Erzählungen im Wilden Westen Nordamerikas.
Mit dieser kleinen Erzählung aus meiner Feder möchte ich an diesen friedvollen und weitsichtigen Häuptling Inn-nu-woh erinnern.
Jo Hannes Coltitz, Juli 2025
Inn-nu-woh, der Indianerhäuptling II
1
Mein edler Freund Inn-nu-woh, der Siedler Albrecht Wedding, der Vormann der Goldmine Ed Hollister und ich waren nach erfolgreicher Mission auf dem Heimweg zu Inn-nu-wohs Lakotastamm.
Der Häuptling konnte mit sächsischen Siedlern auf der einen Seite und einer Minen-Cooporation auf der anderen Seite einen Vertrag abschließen, der allen drei Parteien eine fruchtbare Zukunft versprach.
Da ich selbst Deutscher bin, konnte ich den Lakota bei ihren Verhandlungen behilflich sein.
Ich bot Inn-nu-woh an, die Mundart der Siedler in die englische Sprache zu übersetzen.
Jener Vertrag sah vor, dass die Lakota den Siedlern ein weitläufiges Territorium ihres Gebietes zur Verfügung stellen, um Ackerbau und Viehzucht zu betreiben.
Als Ausgleich sicherten die Siedler den Lakota einen angemessenen Teil ihres Ertrages an Getreide, Gemüse und Kartoffeln zu.
Außerdem sollten die Lakota fortan den erfolgreichen Ackerbau von der Pike auf erlernen.
Die Männer der Minen-Cooperation erhielten ein Gebiet in den Paha Sapa (Schwarze Berge oder Black Hills).
Außerdem mussten Siedler und Minenarbeiter eine Miliz stellen, deren Aufgabe es war, Übergriffe auf die Lakota zu unterbinden.
Dieser Vertrag wurde von allen drei Parteien schriftlich festgehalten und später vor einem Richter in Sioux County besiegelt.
2
Doch zurück zum Anfang.
1873, ein dreiviertel Jahr vor den Vertragsabschlüssen.
Mit einem Steamboot war ich von New Orleans auf dem Mississippi und weiter auf dem Missouri schließlich in Sioux County angelangt.
Da ich mich für einen längeren Aufenthalt im Westen ausstatten musste, benötigte ich für meine Weiterreise vielerlei Dinge.
So beschloss ich, einige Tage in Sioux County unterzukommen.
Ein gutes Hotel fand ich schnell.
Ich bezahlte für zwei Wochen im voraus.
Die für den Westen so praktische Lederkleidung zu erwerben, gestaltete sich schon schwieriger.
Doch ich fand eine Siouxfrau, die als Schneiderin ihren Lebensunterhalt verdiente, die mir zwei komplette Garnituren nähte.
Eine für die jetzigen milderen Temperaturen und eine für den Winter.
Ich gab dieser Frau im Tausch meinen derzeitigen Anzug, für den ich die nächste Zeit keine Verwendung mehr haben sollte und zusätzlich einen guten Lohn.
Während die Frau ihr Werk vollbrachte, kaufte ich alle anderen notwendigen Dinge ein.
Und das war eine ganze Menge.
Ein Pferd, einen Packesel, einen neuen Revolver nebst Gurt, Munition für meinen Henrystutzen, Geschirr, eine Bauchflasche, ein Allzweckmesser, Seife, Kerzen, Zündhölzer, Zwieback und ein Tagebuch für meine täglichen Einträge.
Alle diese Dinge passten schlussendlich in zwei große Packtaschen.
Nachdem ich meine Utensilien beisammen hatte und tadellos eingekleidet war, wollte ich am Morgen westwärts reiten.
Doch es kam anders.
In der Stadt war über den den Landweg ein Siedlertreck eingetroffen.
Zu meiner Freude waren es Landsleute, die ihr Hab und Gut zusammen geglaubt hatten, um sich irgendwo im Westen neu anzusiedeln.
Es waren vier Großfamilien, bald fünfzig Leute, Großeltern, Männer, Frauen und Kinder verteilt auf acht Planwagen, dazu ein paar Pferde, Hunde und Schafe für den Anfang.
Ich kam mit den Leuten ins Gespräch.
Fragte nach dem Ziel ihrer Reise.
Sie wollten hoch in die Great Plains, südlich der Badlands oder Black Hills.
Ich teilte ihnen meine Bedenken mit wie naiv ihr Vorhaben war.
Sie hätten einen wochenlangen Weg vor sich und könnten frühestens im Herbst mit dem Bau fester Behausungen beginnen.
Unterwegs lauerten Gefahren wie Tramps, verfeindete Indianerstämme und wilde Tiere, hauptsächlich Bären, Pumas und Wölfe.
Ich vermochte meine Landsleute nicht umzustimmen.
Da ich mich in der günstigen Ausgangssituation befand, meine Reiseziele frei zu wählen, beabsichtigte ich, die Siedler zu begleiten.
Ich kannte das Gebiet von früheren Abenteuern und bot Andreas Wedding, dem Vormann der Siedler, meine Erfahrung an.
Nachdem sich die Familien beraten hatten, stimmten sie zu.
So begaben wir uns auf den mühsamen Weg.
3
Unseren Weg kreuzte noch ein weiteres Gespann.
Angeführt von Old Fox, einem ehemaligen Captain der Konförderierten.
Da waren noch Dolly Harms, ihre Tochter Lilly und zwei allein reisende Frauen.
Dolly Harms und ihre Tochter besaßen noch bis vor Kurzen einen florierenden Hotelbetrieb in Topeka.
Old Fox half den Frauen, ungebetene Gäste vom Hals zu halten.
Irgendwann tauchte der zwielichtige Geschäftsmann Phil Mulder mit einem wild zusammengewürfelten Haufen Männern in der Stadt auf und boten Dolly Harms ihrerseits Schutz an.
Anfangs konnte sich Dolly Harms noch den Übergriffen von Phil Mulders Männern erwehren.
Als diese Old Fox in einen Hinterhalt lockten und lebensgefährlich verletzten, musste sie aufgeben.
Sie veräußerte ihr Hotel an Phil Mulder.
Weitere Bieter gab es zwar, aber Phil Mulder nahm alle Interessenten aus dem Rennen.
Dolly pflegte Old Fox bis er wieder zu Kräften kam.
In einer Nacht- und Nebelaktion verließen die Fünf Topeka.
Sie folgten dem Ruf des Goldes, das man in den Black Hills fand.
In einem abendlichen Gespräch boten die Siedler dem Gespann an, sich ihnen anzuschließen, um gemeinsam etwas Neues aufzubauen.
Was freudig angenommen wurde.
Ich war anfangs skeptisch, traute dem verschlossenen Old Fox noch nicht.
Aber er erwies sich als ein Gewinn für den Siedlertreck.
Er verstand es, Spuren zu deuten und unterwies die Männer und Jungen im Umgang mit Schusswaffen.
Wenn er die Nachtwache übernahm, konnte selbst ich, der stets mit einem Auge wachsam war, tief und fest schlafen.
4
Das Glück war uns über den gesamten Weg hold.
Der Wagenzug kam ohne Reparaturen, Überfälle und Verzögerungen im Norden an.
Der von den Siedlern favorisierte Platz lag in einem landschaftlich attraktiven Territorium.
Eine weitläufige Grasfläche, in südliche Richtung offen und im Norden begrenzt von Bergen.
Hier gab es auch eine mit Buschwerk bestandene Senke, die im Zentrum glasklares Wasser enthielt, gespeist von einem Bächlein.
Wedding ließ den Wagenzug hier anhalten.
Er kramte einen Spaten aus seinem Planwagen und hob einen Spatenstich aus.
Mit strenger Miene prüfte er den Boden, den er mit der Hand aufnahm.
Er zerbröselte die Erde, roch daran und nickte den Anderen zu.
"Der Boden ist sehr gut", sprach er überzeugt. "Hier lassen wir uns nieder."
"Nicht so voreilig", mahnte ich ihn. "Das Territorium könnte einem Indianerstamm gehören, der alte Rechte besitzt. Wir schlagen vorerst nur unser Lager hier auf. Mister Wedding und ich wollen das Gebiet erkunden, um auszuschließen, dass wir mit Indianern in Konflikt geraten."
Die Familien schienen einverstanden.
Nach den wochenlangen Strapazen waren sie alle froh, endlich einen längere Zeit ausruhen zu können.
Bereits am Nachmittag war das Lager hergerichtet, die neun Wagen ringförmig zusammengestellt.
Die Kinder tollten um die Wagen.
Die Frauen hatten ein Feuer mit getrocknetem Büffelmist entfacht.
In großen Kesseln köchelte schmackhafte Suppe.
Ich zog mich ans Wasser zurück und nutzte die Gelegenheit für eine längst überfällige Körperpflege.
Auch meine Beinkleider galt es zu reinigen.
Nach dieser Wohltat striegelte ich mein gutes Pferd, bevor es sich an Gras und Wasser satt fressen und saufen durfte.
5
Auf allen meinen Reisen, im Orient, in Südamerika und selbst im Wilden Westen hatte ich die Erfahrung gemacht, dass ein Mensch stets nach seinem Äußeren eingeschätzt wird.
Gerade die Ureinwohner lehnen jedwede Verständigung mit Menschen ab, die sie als verwahrlost einordnen.
Sie selbst sind reinlich und gepflegt.
Der Ruf, dass sie wilde Barbaren sind, hielt ich von jeher als unangemessen.
Meine Erfahrungen zeichneten ein ganz anderes Bild.
6
Am folgenden Tag brachen Wedding und ich in Richtung der Berge auf.
Der Sommer war bereits am Ausklingen, die Nächte deutlich kühl und die Tage angenehm lau.
Ich hatte die Familien noch gebeten, sich mit genügend Feuerholz zu bevorraten.
Ich rechnete im Stillen damit, dass die Sioux, in deren Jagdgründen wir uns meiner Meinung nach befanden, den Siedlern freundlich gesinnt waren.
Nach einer Stunde wurde das Gelände deutlich felsiger.
Die Hänge waren mit dunklen Kiefern bestanden.
Wir folgten einem ausgetretenen Pfad in die Berge.
Den Spuren nach zu urteilen, handelte es sich um einen frequentierten Weg zu einem Indianerdorf.
Da sich die Wolken rasch zuzogen und sachter Regen fiel, beschoss ich, seitlich des Weges in den Kieferwäldern Schutz zu suchen.
Wir ritten eine kürzlich geschlagene Schneise entlang, die zu einer gerodeten Lichtung führte.
Auf dem Gelände herrschte rege Betriebsamkeit.
Ich zählte achtzehn aufs einfachste zusammengezimmerte Holzhütten.
Uns Beiden war klar, dass sich hier eine Minengesellschaft niedergelassen hatte.
Arbeiter schlugen und zertrümmerten das zutage beförderte Gestein.
"Wollen doch mal sehen, was das für Leute sind?", raunte ich Wedding zu.
Der Angesprochene erwiderte meine Frage mit ernstem Blick.
"Goldsucher", war er sich sicher.
Er sollte Recht behalten.
An einer Hütte lasen wir Office.
Wir ritten von den Arbeitern unbeachtet zum Eingang und hobbelten die Pferde an.
Ehe wir eintraten, machten wir einen Rundumblick.
An einem Pfahl im Zentrum der Minengesellschaft war ein Indianer gefesselt.
Sein Kopf hing vornüber runter.
Man konnte deutlich erkennen, dass er durch Schläge verletzt war.
"Das riecht nach Ärger", murmelte ich. "Mister Wedding halten sie ihren Revolver griffbereit und die Augen offen."
Wir traten ein.
Hinter einem globigen, grob gezimmerten Schreibtisch saß ein kräftiger Mann, fein säuberlich in Schwarz gekleidet.
Sein grauer Stetson und ein silberner Colt mit Elfenbeingriff lagen vor ihm auf dem Tisch.
Dazu gefüllte Säckchen, angefüllt mit goldhaltigen Gesteinsstücken.
Genüsslich sog er den Rauch einer Zigarre ein und stieß diesen wieder aus.
Unser Eintreten schreckte ihn hoch.
"Meine Herren", stotterte er. "Was kann ich für sie tun? Suchen sie eine Anstellung in meiner Mine?"
"Nein", antworteten Wedding und ich gleichzeitig.
"Wir suchen eigentlich nur ein Dach über dem Kopf, als Schutz vor dem Regen. Da stießen wir auf das Camp. Aber, wenn sie schon fragen, Mister..."
"Bannon, Mister Bannon."
"Also Mister Bannon, gegen Bezahlung erbitten wir etwas Verpflegung und einen trockenen Schlafplatz."
"Oh, da muss ich die Herren enttäuschen. Alle Hütten sind belegt und einen Versorgungskonvoi erwarten wir frühestens in einer Woche."
"Danke trotzdem", sprach ich. "Was ist das für ein Indianer da draußen?"
"Ein Lakota! Er ist der Ansicht, dass wir hier nicht sein dürfen. Die Mine befindet sich auf altem Indianergebiet."
"Vermutlich hat der Indianer auch recht. Mister Bannon, wenn sie nichts dagegen haben, nehmen wir den Lakota mit."
"Nichts da! Wer sind sie, dass sie sich in meine Angelegenheiten einmischen."
"Old Shatterhand."
"Niemals", fluchte Bannon.
"Old Shatterhand!", wiederholte auch Wedding ungläubig.
Bannon griff nach seinem Colt.
Ich zog meine Waffe schneller und hielt Bannon meinen Revolver unter die Nase.
Dabei schüttelte ich den Kopf.
"Lassen sie das. Noch ist nichts passiert."
Ich nahm Bannons Colt an mich und übergab ihn Wedding, der ihn in der Außentasche seiner Jacke verschwinden ließ.
"Kommen sie", befahl ich dem Minenbesitzer. "Wir drei gehen jetzt ins Freie und ich hole den Indianer. Gnade ihnen Gott, dass sie nicht den Zorn der Lakota herausgefordert haben."
Wir traten vor die Tür.
Alle Arbeiter, vielleicht zwei Dutzend an der Zahl, unterbrachen augenblicklich ihr Tun, als sie ihren Boss mit erhobenen Händen sahen.
Nachdem wir den Pfahl erreichten, zerschnitt ich die Fesseln des Lakota.
Er fiel kraftlos zu Boden.
Wedding hob ihn auf.
"Keinen Schritt näher", herrschte ich die Arbeiter an, die mit Spitzhacken und Schaufeln bewaffnet den Kreis um uns enger zogen.
Ich feuerte einen Warnschuss ab.
Sie traten mürrisch beiseite.
Wir zogen uns ohne weitere Gegenwehr zu unseren Pferden zurück.
Ich nahm meinen Henrystutzen aus der Satteltasche meines Pferdes.
Mit ihm in den Händen fühlte ich mich deutlich wohler.
Den Lakota legten wir quer über mein Pferd.
"Verschwinden wir von hier", sprach ich zu Wedding.
Der verstand sofort.
Gemeinsam ließen wir das Camp hinter uns.
Zurück auf unserem ursprünglichen Pfad setzten wir unseren Weg in die Berge fort.
Irgendwann erreichten wir ein Stelle, da trat der Fels über den Weg und bot eine natürliche Überdachung.
Hier beschlossen wir, über Nacht zu rasten.
Den Indianer legten wir sanft auf den Boden.
Ich hüllte ihn in meine Satteldecke.
Der Lakota schlug erstmals die Augen auf und musterte uns.
"Möchtest du Wasser?", fragte ich.
Er nickte und ergriff meine Bauchflasche.
Hastig trank er.
Vermutlich war er völlig ausgetrocknet.
"Inn-nu-woh dankt den weißen Männern."
Inn-nu-woh!
Ich hatte von dem berühmten Lakota-Häuptling schon mehrfach nur Gutes gehört.
Er hatte etwa meine Größe, war mir jedoch von Muskulatur und Körperbau weit überlegen.
Sein Gesicht war eben und von langen, braunen Haaren eingerahmt, die mit einem roten Band in Form gehalten wurden.
Seine Nase war leicht gekrümmt.
Mit dem restlichen Wasser aus der Flasche säuberte ich sein blutverkrustetes Gesicht.
"Inn-nu-wohs Leben hing an einem seidenen Faden", flüsterte ich. "Noch eine Nacht im Camp der Goldsucher hätte Inn-nu-woh nicht überstanden."
"Die Wege des großen Geistes sind unergründlich", antwortete der Lakota schwach.
"Wohl war", brummte Wedding.
"Was tut ihr in den Paha Sapa?", fragte der Häuptling in gutem Englisch.
"Wir sind in die Berge gekommen, um die Lakota zu suchen. Ich begleite einen Siedlertrek, die die Lakota um Land für sich bitten", antwortete ich.
"Haben sie das bedruckte Papier, das die weißen Männer Geld nennen?"
"Nein großer Häuptling. Die Siedler sind arm. Sie möchten in Amerika ein neues Leben beginnen. Sie könnten mit den Lakota tauschen. Sie geben einen Teil ihrer Ernte ab. Kartoffeln, Weizen, Mais und Bohnen."
"Hough. Inn-nu-woh überbringt eure Bitte zur Beratung an meinen Stamm."
Er beendete das Gespräch und schlief sogleich erschöpft ein.
7
Am nächsten Morgen weckte uns Inn-nu-woh.
Wedding war während seiner Wache eingeschlafen.
Ich war erstaunt, dass sich der Lakota in einer guter Verfassung befand.
Was die Gabe von reichlich Wasser und ein anschließender Tiefschlaf positives bewirken konnte.
Jeder andere angeschlagene Mensch wäre nach diesen erlittenen Strapazen noch tagelang das Bett gehütet.
Wir brachen unser Nachtquartier ab.
Inn-nu-woh führte uns den Pfad entlang zu seinem Stamm.
Das Dorf lag geschützt in einem ovalen Talkessel, eingeschlossen von Felsen.
Von der nordwestlichen Felswand stürzte ein Wasserfall in einen Bergsee mit glasklarem Wasser.
Ich schätzte, dass hier dreißig Zelte im Halbkreis um eine zentrale Feuerstelle standen.
Vor einem etwas größeren Zelt hielten wir.
Inn-nu-woh schlug den Vorhang aus Büffelhäuten zurück und bat uns, ihm ins Innere zu folgen.
Das Zelt war geräumig.
In der Mitte loderte ein kleines Feuer.
Der Umkreis des Feuers war mit Büffelfellen ausgelegt.
Ein betagter, weißhaariger Indianer hockte auf Fellen und sinnierte wippend vor und zurück.
"Kleiner Donner", weckte Inn-nu-woh den Alten aus seiner Meditation. "Dürfen wir zu dir eintreten?"
Der Alte wies uns den Platz ihm gegenüber zu.
Er gebot Inn-nu-woh zu sprechen.
Eine heftige Diskussion zwischen den beiden Lakota folgte.
Als Kleiner Donner den letzten Satz mit "Hough" beendet hatte, weihte uns Inn-nu-woh in das Gesagte ein.
Er hatte dem Alten von der Goldmine erzählt und dass die Goldsucher ihn gefesselt und misshandelt haben.
Dann die wundersame Befreiung durch Wedding und mich.
Auch über das Begehren der Siedler nach Land hatten sich die Lakota abgestimmt.
"Und wie hat Kleiner Donner darauf reagiert?", fragte ich Inn-nu-woh.
"Der alte Häuptling gibt den Siedlern das Land am Buffalo Creek. Doch er nannte Bedingungen."
"Die da wären?", fragte Wedding.
"Wir Lakota leben ausschließlich von der Büffeljagd und den Früchten der Wälder. Wir sind abhängig davon, dass die Büffelherden jedes Jahr wieder durch die Jagdgründe Lakota ziehen. Von den Weißen wissen wir, dass sie sich selbst versorgen können. Sie bestellen ihre Felder, sie säen, sie ernten, wenn die Zeit dafür reif ist. Durch diese Arbeit erfreuen die Weißen Mutter Erde und sie gibt ihnen satt zu essen. Ich möchte, dass die Lakota von euch Weißen diese Geheimnisse erlernen. Wir wollen euch unsere Kinder schicken, dass ihr ihnen euer Wissen beibringt. Das sind meine Bedingungen an euch. Vielen jungen Lakota ist klar, dass wir uns mit den Weißen arrangieren müssen, wenn unsere Völker nicht vertrieben werden sollen."
Wedding reichte Inn-nu-woh die Hand.
"Edler Häuptling, ich reiche dir meine Hand und versichere, dass von uns Siedlern die heutige Vereinbarung niemals gebrochen wird."
Abschließend rauchten wir das Kalumet, um das Besprochene zu besiegeln.
Ich bot den Beiden an, sie zu einem Richter in eine der größeren Städte zu begleiten, um den Vertrag schriftlich beurkunden zu lassen, was Wedding und Inn-nu-woh dankend annahmen.
8
Wedding und ich waren guter Dinge.
Besser hätten die Verhandlungen mit den Lakota nicht verlaufen können.
Entgegen der damaligen öffentlichen Meinung waren die Lakota um harmonisches Miteinander bemüht.
Sie wollten lediglich gefragt werden und ihre heiligen Stätten geschützt wissen.
Inn-nu-woh wollte die frohe Kunde den Siedlern persönlich überbringen.
Mit einer Delegation seiner Männer begleitete er uns auf dem Weg zum Wagenzug.
Als wir an jener Stelle vorbei kamen, wo die Schneise zur Goldmine begann, stiegen die Indianer von ihren Pferden und untersuchten die Spuren.
"Eine große Anzahl von Männern müssen das Camp verlassen haben", stellte Inn-nu-woh fest. "Ihr Weg führt in die Prärie."
Das war aus meiner Sicht kein gutes Zeichen.
Suchten die Männer nach Wedding und mir?
So wie ich die Situation einschätzte, würden sie geradewegs zum Wagenzug gelangen, daher war Eile geboten.
Ich besprach mich mit Inn-nu-woh.
Er teilte meine Einschätzung, dass die Siedler in großer Gefahr waren.
Wir spornten unsere Pferde an, um die Männer vom Camp schnellstmöglich einzuholen.
Doch unsere Eile war vergeblich.
Noch in den Bergen, bevor der Weg in die Ebene mündete, hörten wir Schüsse.
Wir ritten wie die Teufel.
Entgegen meinen Befürchtungen war die Situation der Siedler nicht aussichtslos.
Old Fox, der alte Haudegen, hatte alle neun Wagen zu einer Wagenburg geschlossen.
Er und die verfügbaren Männer erwiderten aus der sicheren Deckung das Feuer auf die Angreifer aus dem Goldsucher-Camp.
Es zahlte sich aus, dass Old Fox die Männer im sicheren Umgang mit Schusswaffen eingewiesen hat.
Und die Wagen boten vor den anreitenden Goldsuchern Schutz.
"Dieser alte Fuchs", raunte ich Wedding zu. "Er trägt seinen Namen nicht zu unrecht."
Wir nahmen die Revolver zur Hand und stürmten auf das Kampfgetümmel zu.
Die Lakota unterstützten uns mit Pfeil und Bogen.
Schnell gerieten die Goldsucher zwischen die Fronten.
Old Fox setzte ihnen aus der Wagenburg zu und wir saßen ihnen im Nacken.
Einige Goldsucher erkannten ihre aussichtslose Lage, warfen die Waffen zu Boden und hoben die Hände.
Bannon, ihr Boss feuerte wild um sich, verletzte aber glücklicherweise weder Freund noch Feind.
Ich nahm mein Lasso vom Sattelknauf, ließ es über meinen Kopf kreisen und gab meinem Pferd die Flanken.
Mein Wurf war erfolgreich.
Die Schlinge zog sich um Bannon zu.
Sein Pferd erschrak und scherte aus.
Da das Seil mit einem Ende jedoch an meinem Sattelknauf fest verknotet war, riss es ihn vom Pferd.
Er landete unsanft auf dem Boden und blieb bewusstlos liegen.
Das Kampfgetümmel endete an dieser Stelle.
9
Old Fox gab, nachdem der Kampf beendet war, seine Deckung auf und trat aus der Wagenburg heraus.
"Noch später hättet ihr nicht kommen dürfen. Wir hatten kaum noch Munition! Habt ihr denn alles klären können?"
"Die Lakota sind mit uns geritten, um den Siedlern persönlich die Kunde zu überbringen."
Old Fox klopfte mir auf die Schulter. "Gut gemacht!"
Ich hatte mit ihm ein gutes Gefühl für die Zukunft der Siedler.
Wenn er bei den Siedlern bleibt, könnte ein Mann von seinem Format einen guten Townmajor abgeben.
10
Inn-nu-woh trat zu Bannon hin.
"Er gehört den Lakota und bekommt seine gerechte Strafe."
Um ehrlich zu sein, wollte ich gar nicht wissen, was der Häuptling damit meinte.
"Das Gebiet, in dem sich die Goldmine befindet, gehört zu unseren heiligen Wäldern. Die Männer, die nach dem gelben Metall graben, müssen von dort verschwinden. Ich werde ihnen eine Stelle in den Bergen zeigen, wo sie unbehelligt ihr Tageswerk verrichten können.
Die Goldsucher hörten Inn-nu-woh stillschweigend zu.
Sein Vorschlag wirkte auf die Männer.
Sie nickten.
Die Verhandlungen dauerten noch bis in die Nachtstunden.
Gegen Mitternacht holte Inn-nu-woh das Kalument aus der Gürteltasche.
Er stopfte die Pfeife und entzündete sie mit einem glimmenden Holzspan.
Nach einem tiefen Zug, dessen Rauch er in alle vier Himmelsrichtungen verteilte, übergab er Ed Hollister (er war der neugewählte Vormann der Goldsucher) das Kalument.
Dann folgten Wedding und ich.
11
1908
Es muss eine göttliche Fügung gewesen sein, dass es damals auf keiner Seite nennenswerte Verletzungen und gar Tote gab.
Für mich war das ein gutes Zeichen.
Im Nachhinein betrachtet war der Vertrag zwischen drei Parteien ein Novum.
Er setzte Ehrlichkeit und Vertrauen voraus.
Umso erstaunter war ich, als ich nach mehr als 35 Jahren, während meiner letzten Amerikareise, erfuhr, dass der Vertrag noch nie gebrochen wurde.
Selbst nicht von den darauffolgenden Generationen.
Die Siedler errichteten mit New Radebeul ihre Stadt.
Dolly Harms gründete ein Postoffice mit Store.
Old Fox wurde von den Siedler zum ersten Townmajor gewählt und lenkte die Geschicke der Stadt mit großer Sorgfalt und Disziplin.
Ich konnte mich noch gut erinnern, dass er damals aus allen Wolken fiel, als er von Wedding erfuhr, dass ich kein geringerer war, als Old Shatterhand.
Diese Szene zaubert mir noch heute ein Schmunzeln ins Gesicht.
Die Goldmine in den Bergen wurde genossenschaftlich betrieben.
Der Lakotastamm entging der Reservation, weil seine Söhne und Töchter die neue Zeit annahmen und sich mit den Weißen arrangierten.
(C) Jo Hannes Coltitz

