Veröffentlicht: 29.07.2023. Rubrik: Historisches
Die Lektion
Man fragt sich ja immer wie der Budosport nach Sachsen kam. Nirgendwo fand man dazu genauere Überlieferungen.
Nur eine Legende hielt sich hartnäckig und machte zu seiner Zeit an allen Universitäten und höheren Lehranstalten die Runde. Und ehe sie in Vergessenheit gerät, hatte ich sie kurzerhand zu Papier gebracht.
Die Studenten und das Professorenkollegium staunten am ersten Tag dieses Semesters nicht schlecht, als ein junger Mann mit asiatischem Antlitz und in edle Gewänder gehüllt, in den ehrwürdigen Gemäuern der Universität aufkreuzte.
Aus dem fernen Japan kam er und technische Wissenschaften wollte er studieren, machte es in Windeseile die Runde.
Wegen seiner auffälligen Erscheinung und seiner außergewöhnlichen Höflichkeit, die man unter Gleichaltrigen zumeist nicht vorfand, wurde er schnell Opfer von Hohn und Spott.
Trotzdem unternahm er immer wieder einen neuen Anlauf, um bei den einheimischen Studenten Anschluss zu finden, was ihm bisher nicht recht glückte.
Besonders bei denjenigen Studenten, die sich des rituellen Fechtens befleißigten.
"Was du willst fechten?", unkten diese. "Du weißt doch nicht einmal was ein Degen ist."
Da hatten die Studenten wohl auch recht.
Aber er war immerhin der Sohn eines Samurais und hatte den Umgang mit dem Katana von Kindheit an erlernt.
"Dann gebt mir doch bitte die Möglichkeit, euch zu zeigen, dass ich den Umgang mit einer Klinge beherrsche," erwiderte er trotzig.
Die anwesenden Studenten prusteten sich, den Geist vom Biergenuss vernebelt, vor Lachen.
Ein älterer Student, sichtlich angetrunken, trat in den Vordergrund. "Wenn du dich zu einem Narren machen willst, so erwarte ich dich morgen Früh im Stadtpark zu einem kleinen Fechtduell. Organisiere dir eine Waffe."
"So ist es abgemacht", freute sich der Japaner und verneigte sich höflich.
Am nächsten Morgen versammelte sich die gesamte Burschenschaft des technischen Studienganges im Stadtpark.
Vergnüglich traf der Japaner ein. Er trug ein hölzernes Bokken bei sich, was schallendes Gelächter bei den Anwesenden auslöste.
"Was soll das denn sein?", fragte der Student von gestern Abend. In seiner Hand hielt dieser einen Trainings-Degen. Dazu war er mit einem Kettenhemd, Handschuhen und einer Fechtmaske, eben allem was man benötigt, um sich vor Verletzungen zu schützen, angekleidet.
"Willst du dich denn gar nicht vor Verletzungen schützen?", fragte der Student besorgt.
"Nicht nötig", antwortete der Japaner entspannt.
"Na das kann noch heiter werden", schüttelte der Student mit dem Kopf. "Hat jemand an Verbandszeug gedacht?"
"Natürlich", rief es aus der Menge.
"Gut."
Ein Unparteiischer eröffnete das Duell.
"Schläge sind erlaubt, Stiche dagegen verboten. Es gewinnt derjenige, der den ersten sichtbaren Hau zum Kopf oder gegen den Hals platziert. Ist das jedem von euch klar?"
Die beiden Duellanten nickten zustimmend.
Der Unparteiische hob als Startzeichen die Hand.
Während der Student forsch attackierte, wich der Japaner den Schlägen stets elegant aus, sodass die Angriffe ins Leere liefen.
"Du scheinst keinen so rechten Spaß zu haben", knurrte der Student. Sein großer Auftritt geriet zur Farce.
"Nein, ganz im Gegenteil. Die Waffen in meinem Land sind wertvolle Einzelstücke und eignen sich nur bedingt zum Schlagabtausch. Das berücksichtigte ich beim Kämpfen."
Noch während er das ausprach, parierte der Japaner in der Vorwärtsbewegung einen Oberhau des Studenten, glitt geschmeidig an ihm vorbei und strich ihm mit der Schneide des Bokkens entlang des Halses.
Danach nahm er wieder seine Ausgangsstellung ein und verneigte sich respektvoll vor seinem Gegner.
"Mit einem scharfen Schwert hätte ich dich jetzt enthauptet und der Sieg wäre mein."
Der Unparteiische bestätigte durch ein Kopfnicken, dass der Student den Kampf verloren hatte.
Die Burschen im Umfeld raunten begeistert wie schnell das Duell ein Ende fand.
Der Student nahm sich die Fechtmaske vom Haupt und reichte dem Japaner seine Hand.
"Ich gratuliere dir zu deinem Sieg und heiße dich in unserer Burschenschaft als Mitglied willkommen. Ich bin übrigens Heiner, der Burschenschaftsälteste."
"Das ist für mich eine große Ehre, Heiner. Ich bin Hironori."
Der Student gab dem Japaner einen Klapps auf die Schulter und sprach: "In der nächsten Zeit möchte ich aber noch einiges von dir und deinen Kampfkünsten erfahren."
Einige Studenten hoben jetzt den Japaner in die Höhe und trugen ihn, der jolenden Menge folgend, auf den Schultern zurück zur Universität.
Ende