Veröffentlicht: 25.06.2025. Rubrik: Märchenhaftes
Das gelobte Land
Stockfinstere Dunkelheit. Ein so starker Schneesturm herrschte, dass man nur weiße Schneeflocken zugeflogen sah.
Fünf Tiere, die sich unterwegs trafen, kämpften sich vorwärts.
Die Spinne hatte sich bei der hinteren Fußfessel des Esels festgesponnen, damit sie nicht wegflog. Auch Hase und Frosch nahmen Schutz unter den Beinen des Esels, der Rabe war dicht hinter dem Hals vom Esel und machte sich so flach, wie er nur konnte.
Essigkalt war es. Seit drei Tagen kämpften sie sich Zentimeter für Zentimeter vorwärts – so schien es zumindest. Ein Wunder, dass sie nicht eingefroren waren.
Welches Schicksal hatte die fünf Tiere zusammengeführt?
Der Esel war weggejagt worden, denn er war zu alt geworden für die Arbeiten. Die Spinne war Esels Freundin, sie kannte ihn schon so lange, dass nicht einmal ihre Spinnenbeine ausreichten, um die Jahre zu zählen.
Der Hase war dem Beil entronnen. Frosch hatte sein Zuhause verloren. Der Rabe, der zuletzt zu ihnen gestoßen war, suchte das Tierparadies. Seine Tage schienen gezählt, er wollte unbedingt vom Jungbrunnen naschen, bevor er sterben müsste.
Deshalb waren die fünf Tiere jetzt unterwegs zum gelobten Land. Jeder von ihnen träumte: der Esel von saftiger Wiese und weichem Heu, der Hase von Karotten im Überfluss, der Rabe von roten, saftigen Kirschen, der Frosch vom großen Teich und die Spinne vom Spinnennest-Bauen.
Sie wollten die Eiche finden, die wie ein Vogel aussieht. Der Richtung des Vogelschnabels sollte man folgen. Dieser würde zu dem großen Holztor zwischen zwei Felsen führen, das dort zu finden sein sollte. Dies war das Tor des Tierparadieses, träumten sie.
Abrupt, wie von Geisterhand, war alles wie im Spuk vorbei. Eine Waldgruppe starrte sie an. Unheimlich! Sie wirkte so unwirklich, als sähe man eine Fata Morgana. Die fünf kneiften sich gegenseitig.
Ein Nebeldunst umhüllte den kleinen Wald.
Der Rabe flog reflexartig, geistig gegenwärtig gegen die Nebelwand und wurde zurückgeschleudert. Daraufhin stürzten alle fünf Tiere gleichzeitig auf den Waldnebel.
Als sie den Waldnebel berührten, wirkte es, als würden die Bäume weggezerrt. Es war so unheimlich, dass alles unwirklich erschien.
Als alles aufgelöst war, stand der riesengroße Eichenbaum vor ihnen. Die fünf Tiere starrten auf den Baum und suchten mit ihren Augen die Vogelgestalt, aber so sehr sie ihn auch musterten, konnten sie nichts erkennen.
Auf einmal erkannten sie zwei unheimlich rot leuchtende Augen, von denen sie geblendet wurden.
Ihre Angst war so groß, dass sie sich gegenseitig festhielten.
Oben am Baum hatte sich ein Vogelkopf aus Ästen geformt, der jetzt seinen Kopf nach links drehte und dessen Schnabel in Richtung eines riesengroßen Maisfeldes zeigte.
Ohne es richtig einzuschätzen zu wissen, folgten sie der Richtung.
Im dichten Maisfeld fielen ihnen die gelben Flocken ins Genick. Alle saßen auf dem Rücken des Esels, die Spinne hatte sich an seinem Ohr festgesponnen.
Ob darin vielleicht irgendwelche Ungeheuer lauerten? Kaum gedacht, tauchten monströse Heuschrecken auf, die in Kampflaune waren.
Der Rabe schlug mit seinem Schnabel auf eine Heuschrecke, aber diese löste sich auf wie Nebelluft. Was war das für eine ganze Armee von Ungetieren?
Der Rabe schrie: „Macht die Augen zu! Singt so laut ihr könnt und denkt an nichts!“
Die Tiere taten, wie ihnen geheißen: Das Froschgequake, das Hasenfiepen, das Eselgeschrei und zuletzt das Rabenkrächzen ergaben ein so großes Echo im Echo, dass alles gebannt wurde.
Als sie vorsichtig die Augen öffneten, nachdem sie nur noch Stille hörten, sahen sie leuchtende Maiskolben, die ihnen den Weg aus dem Maisfeld hinauswiesen.
Beschwerlich war der Weg aus dem Maisfeld. Als sie heraustraten, wussten sie, dass sie für immer Freunde geworden waren. Niemand würde sie mehr trennen.
Sie waren nicht weit gelaufen, als man von Weitem schon die Felsberge mit drei Toren sah. Drei Tore?
Drei Tore – welches war jetzt das richtige? Alle fünf Tierfreunde standen vor den Toren und rätselten. Vielleicht sollte man ein Tor nach dem anderen öffnen? Nein, nicht das, was Böses dahinter lauert!
Der Rabe fing an, ein Lied zu krächzen und forderte seine Freunde auf, mitzusingen.
Dabei stellten sie sich das gelobte Land vom Tierparadies vor. Daraufhin hörten sie ein lautes Knarzen, und das mittlere Tor sprang auf.
Ein angenehmes Licht und der Geruch von einer Blumenwiese kamen ihnen entgegen. Sie hatten es geschafft.
Vorsichtig und voller Freude traten der Esel mit seinen Freunden auf seinem Rücken hinein.
So ein leuchtendes grünes Gras hatten sie noch nie gesehen. Auch die paradiesische Gegend übertraf ihre Vorstellungen: ein herrlicher Teich, so wie sich der Frosch ihn immer erträumt hatte; herrliche Karottenfelder für den Hasen; Springbrunnen und Kirschbäume, so wie sich der Rabe das vorgestellt hatte; schöne Sträucher für die Spinne; für den Esel ein wundervoller Stall mit Stroh und weichem Heu.
Im Paradies waren auch andere Tiere, die sie sofort begrüßten.
Hätten sie vom Jungbrunnen getrunken, lebten sie in ewiger Jugend weiter, aber das brauchten sie nicht, denn sie hatten das Wichtigste gefunden: ihre Freundschaft zueinander.
ENDE

