geschrieben 2020 von Andrea Mathy / Nassau (andreaMpunkt).
Veröffentlicht: 31.03.2020. Rubrik: Nachdenkliches
Mama gibt Hosa nicht auf
Mutter wusste sich keinen anderen Rat mehr. Sie hatte es schon so oft mit kleinen Strafen versucht. Mit dem ein oder anderen Zeichen, das sie setzte, damit sie verstanden wird. Mit guten Worten und mit ernsten.
Nun war es an der Zeit und sie sprach über ihr Kind Hosa eine Strafe aus, die ihr selbst im Herzen weh tat. Wegen all dem vielen Bockmist der letzten Zeit, der Uneinsichtigkeit des Kindes und der vielen Versprechungen, die leeren. Ab nun hieß es auf unbestimmte Zeit: Zimmerarrest, bis auf Weiteres keine Freunde besuchen.
Sie nahm dem Kind sogar einiges von dem, was es doch so sehr liebte.
"Es reicht jetzt aber wirklich", schimpft die Mutter dazu, "so können wir hier nicht miteinander weiter machen". Dann fügt sie etwas ruhiger hinzu: "Ich hoffe, du nutzt die Zeit, mal drüber nachzudenken, wie du dich mir gegenüber verhalten hast! Und gegenüber deinen Kameraden in der Schule. Unsere alte Nachbarin hat sich die Tage bei mir beschwert, dass du sie ganz anders als früher überhaupt nicht mehr wahrnimmst, nicht mal mehr eine Minute Zeit hast für ein nettes Wort. Sie meint, du wärst schon wie alle anderen, dass es euch nur noch um euren Spaß und Eure Unterhaltung geht. Und denk auch mal an den Flüchtlingsjungen gegenüber, den du mit deinen Kumpels immer links liegen lässt. Einer deiner Freunde hat ihn sogar letztens beschimpft und ihn rumgeschubst - und du hast daneben gestanden und nix gesagt! Ich hab` das vom Küchenfenster aus gesehen; Euer Verhalten, nein: dein Verhalten hat mich sehr traurig gemacht, mein Kind, ich war echt enttäuscht!"
Tatsächlich fing Hosa an, sich ein klein wenig zu schämen. Das Kind wusste ja selber, dass sein Verhalten oft nicht okay ist. Aber irgendwie sind doch alle so in der Clique und man will doch dazugehören. Außerdem war Hosa sich sicher, noch eines der „braveren“ Kids zu sein – die anderen logen ständig und betrogen sogar ihre Eltern, ihre Geschwister und ihre Freunde auch. Einige klauten auch. Dazu hatte er sich bis jetzt noch nicht hinreißen lassen.
Was Hosa tatsächlich schon lange nervte, waren die in der Clique, die irgendwie die „Bestimmer“ waren. Der eine war ein reicher Sohn von irgendwem, der alle spüren ließ, dass er „was Besseres“ zu sein glaubte. Jeder schlawenzelte um ihn herum und tat gut Freund. Hosa hatte sich schon manches mal gefragt, wie der eigentlich wirklich so drauf ist, hätte gerne mal hinter die Fassade geschaut.
Dann war da noch diese angeberische Schnepfe, die immer und zu allem vorgab, alles darüber zu wissen, nur sie kenne die Wahrheit. Neben der hatte man schnell das Gefühl, man sei ein ganz kleines Licht. Hosa war sich gar nicht so sicher, ob das wirklich alles so stimmte, was die vom Stapel ließ.
Und dann war da noch dieses große kräftige Kind, das eigentlich echt keiner leiden konnte. Den hatte die Mutter gemeint, als sie von der Sache mit dem Flüchtingsjungen erzählte. Dieser Vollpfosten – wie Hosa ihn insgeheim nannte – war einfach nur fies, ungerecht und manchmal sogar brutal. Vor allem aber meinte der Typ, bestimmen zu dürfen, wer dazu gehört und wer nicht. Hosa verstand manchmal gar nicht, warum irgendwer ausgeschlossen wurde. Und auch nicht, warum alle vor dem kuschen.
Ja - dem Kind gefiel längst nicht alles an der Clique – aber was sollte man allein schon dagegen tun. „Wenn ich nicht mitmache, gehöre ich nicht dazu! Dann hab´ ich keine Freunde mehr und letztlich auch keinen Spaß.“ Irgendwie alles doof, das wusste Hosa schon lange. Aber das Kind glaubte, keine Alternative zu haben, außer allein zu sein, einsam. Und genau das drohte jetzt wegen dieser dummen Strafe der Mutter. Sie hatte sogar das Liebste weggenommen – das Kind wusste nicht mal, ob es dies je wiederbekommen würde oder ob man es quasi „begraben“ musste.
„Ach, Mist, es sind ja auch noch grad Ferien!“ sagte das Kind laut und dachte dann für sich - ein wenig sauer, ein wenig betroffen und ganz arg unsicher: „So streng war Mutter noch nie. Es muss ihr echt ernst sein und der Ärger über mich so richtig groß!“.
Ein paar Tage vergingen, in denen Hosa sich weitestgehend ins Zimmer zurückzog. So langsam fiel dem Kind echt die Decke auf den Kopf. Zuerst war es noch zu stolz dazu, aber irgendwann suchte es die Nähe der Natur, genoss es immer mehr, „wenigstens“ sie um sich zu haben. Das Kind entdeckte wieder, wie viel Spaß man mit ihr haben konnte, lernte ganz viel von den Dingen, die Mama so gut konnte: mal ruhig sein, glitzerndes Wasser bestaunen, den Vögeln lauschen, das Gras riechen, über die ersten echt drolligen Hummeln Schmunzeln, klares Bachwasser trinken...
Hosa spürte auch, dass die Mutter es nur gut mit ihrem Kinde meinte. Sie war immer für es da, ließ es die Strafe nicht einfach alleine aussitzen. Hosa glaubte zu spüren, dass ihr der Zustand selbst auch weh tat. „Das alles hier muss Mama sehr sehr wichtig sein“, das war klar, aber es irritierte auch.
Das Kind begann irgendwann, die Mutter zu entlasten. Es half ihr viel, nahm ihr manche Aufgaben ganz ab, damit sie sich endlich ein wenig schonen konnte. Schließlich war die Dame auch schon eine ganze Ecke alt. Und – das war mehr als deutlich - die letzte Zeit hatte ihr ordentlich zugesetzt. Sie genoss die Pausen, die für sie ganz neu waren und es schien, sie erhole sich etwas. Hosa achtete jetzt darauf, mehr Rücksicht auf sie zu nehmen. Und: auf ihren alten und weisen Rat zu hören, aus ihrem unerschöpflich großen Wissen eigene Lehren zu ziehen.
Mutter mochte es sehr, dass sie sich miteinander endlich mal wieder wohler fühlten, dass ihr Kind offenbar dabei war, zu verstehen. Und sich Mühe zu geben, manchmal sogar ernsthaft anzustrengen. Sie freute sich über all das und wollte daher die verhängten Strafen über Hosa etwas lockern. Nicht aufheben - sie traute dem Frieden noch nicht so ganz. Wirkliches Umdenken und Umlernen brauchen Zeit, das wusste sie nur zu gut von den vielen Kindern, die sie in ihrem langen Leben schon hat wachsen sehen. Aber als herzensgute Mutter wusste sie auch, dass ein Kind Signale braucht und Lob, um zu spüren, dass es auf einem guten Weg ist.
Also fragte sie Hosa eines Abends beim Essen: „Hosa, wenn du einen Wunsch frei hättest…“… "Mit einem Freund draußen spielen, das wäre cool“, lautete die Antwort ganz spontan, noch ehe die Mutter ihre Frage beenden konnte.
Am kommenden Morgen wurde Hosa von hellen Sonnenstrahlen geweckt. Das würde bestimmt ein wunderbarer Tag werden. „Wenn ich mich doch nur mit meinen Kumpels...“ - während dieses Gedankens kam ein zweiter: „Na ja, die meisten von denen und den Kram, den wir so tagein tagaus unternommen oder angestellt haben, vermisse ich eigentlich gar nicht wirklich.“ Noch mit dieser Erkenntnis und dem Staunen darüber beschäftigt, hörte Hosa, wie einer was gegen die Fensterscheibe warf. Kleine Steinchen offenbar. Was sollte das denn jetzt?
Hosa schaute raus und sah den Jungen von Gegenüber, den mit dem komischen Namen. Der hatte irgendwann mal in der Klasse gesagt, man solle ihn am besten einfach Richie nennen, weil er doch eh gerne mal so reich wäre wie nur der Ärmste aus der Klasse. Alle haben ihn damals ausgelacht, bis heute hat ihn noch keiner der Mitschüler oder der Jungs im Ort auch nur bei irgendeinem Namen gerufen. Hosa öffnete das Fenster, winkte dem Nachbarn verhalten zu und rief "Hey, Richie!". Der strahlte, fragte, ob alles okay sei und „Ich sehe dich gar nicht mehr draußen mit den anderen!“ Das Kind suchte grade nach einer passenden Antwort, da merkte es, dass die Mutter hinter ihm stand. Sie sagte:" Geht raus spielen, die Sonne scheint. Extra doll, nur für euch zwei." Richie fand, Hosas Mutter grinse komisch in dem Moment - aber irgendwie auch nett.
Die beiden Kinder zogen los und erlebten einen Nachmittag, wie Hosa ihn mit der Clique noch nie erlebt hatte. So ganz anders als gewohnt, richtig entspannt und echt lustig, gar nicht langweilig, im Gegenteil... Nach Stunden, die beiden waren auf dem Heimweg, sagte Richie: "Deine ehrenwerte Mama hat vorhin so seltsam gelächelt." "Ach, die Alte, ich achte gar nicht drauf, wenn die dumm aus der Wäsche guckt" reagierte der alte Hosa – in der Gruppe redeten alle so über ihre Eltern, besonders über die Mütter. Richie blieb stehen und schaute entsetzt.
Das Kind stutzte nun auch, besann sich und sagte dann sehr ernsthaft: "Ne, Quatsch, natürlich nicht. Meine aller Ehren werte Mama guckt öfters schon mal so, wenn sie wieder was ausgeheckt hat. Die ist halt eine ganz besondere Mutter!".
Sprachs, legte einen Zahn zu, verabschiedete den neuen besten Freund. Natürlich nicht, ohne sich direkt wieder zu verabreden. Im Treppenhaus klingelte es bei der alten Nachbarin. Als sie verdutzt durch den Türspalt linste, kündigte es ihr an: „Morgen früh komm ich mal wieder rum und nehm´ die Mülltüten mit runter, okay?“.
Zack, umdrehen, Treppe hoch, klingeln. Als die Mutter öffnete, fiel Hosa ihr noch in der Tür um den Hals, drückte sie dankbar und innig was das Zeug hielt. „Danke für diesen tollen Nachmittag, obwohl meine Strafe ja noch nicht rum ist. Und danke dafür, dass Du heute die Sonne hast scheinen lassen. Und danke, dass du mir Richie geschickt hast. Und danke für all das, was du mit mir ausgehalten hast – auch die letzten Tage! Ich weiß doch, Dass du selber diese Straferei gar nicht magst. Aber ich bin mir sicher, ohne das hätte ich vielleicht nie kapiert... DANKE, dass du mich nicht aufgegeben hast.“ Die Mutter lächelte und strich ihrem geliebten Kind sanft über den Kopf. Es fühlte sich für Hosa ein wenig an wie ein zarter Windhauch, wie ein warmer Sonnenstrahl. Dann gingen sie gemeinsam rein.
Über der Klingel steht übrigens auf einem schönen Schild zu lesen: Hier wohnt Mutter Erde mit ihrem Kind Homo Sapiens, auch Hosa genannt.