Veröffentlicht: 15.05.2025. Rubrik: Aktionen
Sommerferien 1983 (Monatsaktion Mai zum Thema Ausflug)
In der DDR durften Schüler ab der 8. Klasse oder ab vierzehn Jahren in den beiden größeren Ferien, gemeint sind die Winter- und Sommerferien, eine Ferienarbeit verrichten.
In den Winterferien war das für eine Woche und im Sommer für drei.
Meistens arbeitete ich im Betrieb meines Vaters.
Das war wie ein Heimvorteil, denn seine Kollegen kannte ich bereits von Betriebsvergnügen bzw. Wochenendausflügen.
Ich war also für sie kein Unbekannter.
Der wöchentliche Lohn von 120 Ostmark war auch in Ordnung.
Diese Sommerferien hatte ich jedoch keine Lust auf die Lageristenarbeit in Vaters Betrieb.
Unsere Schule hatte für Interessierte die Teilnahme im Lager für Arbeit und Erholung für zwei Wochen in Potsdam organisiert.
Die Sache war auch deswegen reizvoll, da erstens einige Schulkameraden mitfahren wollten und zweitens noch andere Schulen in unserem Stadtbezirk ihre Schüler angemeldet hatten.
Auf dem Dresdner Hauptbahnhof war am Anreisetag Treff.
Schon hier beäugten wir Jungs die Mädels, die mit ins Lager kamen.
Und bereits im Zug gab es erste Anbahnungen.
Ich gestehe, dass mir ein Mädel auf Anhieb gefiel.
In Potsdam angekommen, wurde erst einmal das Quartier bezogen.
In einer typischen H-Schule aus den siebziger Jahren.
Wir Jungen waren von den Mädchen getrennt, in einem anderen Flügel der Schule, untergebracht.
Am späten Nachmittag stellte sich der Brigadier des städtischen Baubetriebes bei uns vor.
Ihm waren wir ab Montag unterstellt.
Er zeigte uns im Anschluss seiner Einweisung im Schnelldurchgang die markantesten Punkte in Potsdam.
Dazu den uns zugeteilten Arbeitsort, in der Nähe der besagten Schule.
Ich war mit einigen Schülern auf einem ehemaligen Sportplatz eingeteilt.
Der komplette Platz und die Ränge sollten von meterhohem Unkraut befreit werden.
Das Mädchen, dass mir bereits im Zug gefiel, meldete sich ebenfalls zu den Arbeiten auf besagtem Sportplatz.
Ob sie sich deswegen gemeldet hatte, weil wir bereits im Zug ein wenig geflirtet hatten?
Keine Ahnung.
Jedenfalls hatte ich Schmetterlinge im Bauch.
Am Montag Morgen wurden wir sechs Uhr geweckt, da sechs Uhr dreißig schon das Lunchpaket aus fassen angesagt war.
Sieben Uhr standen wir wie besprochen auf dem Sportplatz.
Wer war nicht da?
Der Brigadier.
Der kam auch nicht gleich.
Da wir nicht nutzlos herumstehen wollten, begannen wir mit der Unkrautbekämpfung.
Als dann zwei Stunden später der Brigadier endlich eintrudelte, hatten wir schon eine anständige Fläche bearbeitet und das Unkraut auf Haufen geworfen.
Dem Brigadier hatte unsere Eigeninitiative wiederum überhaupt nicht gepasst, da er gleich mit dem Multicar heranfahren wollte, um das Grün direkt auf diesen zu werfen.
So musste er die Häufchen selbst per Hand aufladen.
Und das schmeckte ihm gar nicht.
Die Arbeitszeit war in Ordnung, von sieben bis dreizehn Uhr, mit einer Frühstückspause.
So hatten wir den gesamten Nachmittag bis neunzehn Uhr frei für Unternehmungen.
Dann gab es ein warmes Abendessen in der Schule.
Ich zog mit Heike, dem auserwählten Mädchen durch Potsdam.
Schon am selben Abend, vor dem Zubettgehen, küssten wir uns zaghaft.
So lief es praktisch jeden weiteren Werktag in der ersten Woche ab.
Am Wochenende hatten wir ein voll durchorganisiertes Programm.
Am Samstag Besuch des Schloss Sanssouci und des Cecilienhofs.
Danach Baden gehen.
Und am Abend Disco in der Schule.
Heike und ich fühlten uns am Wochenende schon wie zusammen geschweißt.
Wir verabredeten uns, dass ich ihr während der Nachtruhe einen heimlichen Besuch abstatte.
Das hieß, aus dem Fenster des Jungenzimmers zu klettern und mich über das Außengelände der Schule zum Schlafzimmer der Mädchen durchzuschlagen.
Als Belohnung verbrachten wir zärtliche Stunden miteinander.
Ich war übrigens nicht der Einzige nächtliche Fassadenkletterer. Das dieses Zimmer-Hopping auf die Dauer nicht gut geht, kann jeder wohl erahnen.
Am Sonntag stand ein Besuch des Plänterwalds in Berlin auf der Tagesordnung.
Das war ein angesagter Vergnügungspark in Ostberlin, mit einem großen Riesenrad.
Wir hatten einen wunderschönen Tag, aber nachdem wir den Park verlassen hatten, war meine Reisekasse auch restlos verbraucht.
Von der Sache her nicht so schlimm, weil am Montag ohnehin der Wochenlohn ausgezahlt worden wäre.
Ein paar Schüler lernten auf der Heimfahrt beim Eisenbahndrehkreuz in Berlin-Schönefeld eine Gruppe Punker kennen und verbrachten den restlichen Tag mit ihnen, angezogen von deren oberflächlicher Lebenseinstellung.
Diese Schüler luden die Punker auf das Schulgelände ein.
Ja, und "die Geister die ich rief, werd ich nun nicht wieder los".
Die Aufsicht habenden Lehrer hatten alle Hände voll zu tun, um diese Punker vom Schulgelände zu bekommen.
Nachts war ich natürlich wieder zu meiner Urlaubsflamme aufs Zimmer gegangen.
Plötzlich ging das Licht an.
Die Lehrer machten vorsichtshalber eine Zimmerkontrolle, denn die Punker waren irgendwie in die Schule gelangt.
Jetzt war ich klassisch angeschmiert!
Ich wurde zu meinem Bett abgeführt, mit dem Satz im Ohr: "Wir beraten dann noch wie wir euch bestrafen können."
Am Montag kamen zwei Lehrer aus meiner Schule zu mir. "Du fährst heute mit einem Schüler aus deiner Schule nach Hause. Um zehn geht der Schnellzug von Schönefeld über Leipzig nach Dresden. Deine Eltern werden informiert."
Ich musste schnell meinen Habitus zusammenpacken, das Lunchpaket aus fassen und kurze Zeit später ging es, eskortiert von beiden Lehrern zum S-Bahn-Haltepunkt in Potsdam.
Ich hatte nicht einmal mehr genügend Zeit, um mich von Heike zu verabschieden.
Die letzten Worte der Lehrer waren, bevor sie uns in die S-Bahn verfrachteten, "Versprecht uns jetzt, dass ihr keinen Blödsinn macht, sonst übergeben wir euch der Trapo. Da müssen euch eure Eltern im Volkspolizeihauptamt Dresden abholen."
Wir beiden Schüler stimmten zu, denn auf die Trapo hatten wir so gar keine Lust.
Die ganze Heimfahrt über saß ich am Zugfenster und starrte hinaus.
Ich weiß gar nicht mehr genau, was schwerer wog, der zu erwartende Anschiss meiner Oldies oder dass ich um eine zweite schöne Woche mit Heike betrogen wurde.
In Leipzig kam mir tatsächlich kurz der Gedanke, abzuhauen.
Mit der S-Bahn von Leipzig nach Wurzen, wo meine Großeltern wohnten, wäre ein Klacks gewesen.
Sollten die "blöden" Lehrer in Potsdam doch vor Schreck in den Boden versinken, wenn bekannt wird, dass ich nicht in Dresden aufgeschlagen bin.
Ein Blick in meine Geldbörse hielt mich von diesem Vorhaben schlussendlich ab.
Ohne Moos nix los!
Mit der S-Bahn schwarzfahren, hätte mir ebenso die Bekanntschaft mit der Trapo eingebrockt.
Zu DDR-Zeiten ging der Schaffner noch bei jeder Fahrt durch den Zug.
Ich hatte also die Wahl zwischen Pest und Cholera.
Der Rest ist schnell erzählt.
Meine Eltern hatten die Angelegenheit ganz entspannt gesehen.
Mein Vater hatte tatsächlich gedacht, ich steige aus dem Zug und tingle durch Mitteldeutschland.
Alles schön und gut, aber auch er sah ein, dass dieses Unterfangen mit leerer Kasse ein Ding der Unmöglichkeit ist.
Bereits am Dienstag durfte ich mir in Vaters Betrieb etwas Feriengeld dazuverdienen, um die fehlende Woche finanziell auszugleichen.
Und das Beste war, ich hatte Heike am Samstag am Dresdner Hauptbahnhof empfangen.
Im Anschluss brachte ich sie nach Hause.
Wir hatten uns noch einige Wochen nach unserem Potsdam-Abenteuer gesehen, bis im Schulalltag diese jugendliche Liebelei ihre Reize nach und nach verloren hatte.
*Ende*
Jens Richter, 2025

