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geschrieben 2017 von An Cskikasso (An Csikasso).
Veröffentlicht: 06.02.2018. Rubrik: Menschliches


Warteraum 2011/2017

Wie an jedem Abend habe ich meine Eingangstüre nicht abschlossen. Ich lasse sie auch nur angelehnt, so dass schon der leiseste Luftzug sie ganz leicht öffnen könnte.
Bei mir könnte also ziemlich jeder in die Wohnung, der es nur einmal versuchen würde.
Mir ist es mit der Zeit egal geworden. Nein, eigentlich ganz im Gegenteil, denn so wie jeden Tag, dachte ich mir, es könnte sich vielleicht doch einmal jemand verirren und bei der falschen, also bei meiner Türe, anläuten oder doch wenigsten nur hereinkommen, guten Tag sagen, oder nachfragen, ob hier jemand wohnt.
Ein Nachbar vielleicht.
Für mich wäre das schon wie ein kurzer Besuch, eine kleine Freude, ein Erlebnis eben.
Freunde, die Kuchen mitbringen, wenn es schon herrlich nach Kaffee duftet aus der Küche, ein Kinderlachen vielleicht, ein wenig Musik aus dem Radio, leise, nur so aus dem Hintergrund.
Was für Empfindungen.
Ich bekomme nie Besuch; früher ja, da war alles da.

Tag ein, Tag aus, betrachte ich die Wände meiner Wohnung, die in einem farblosen Weiß angemalt sind; doch da gibt es nicht viel zu beobachten.
Immerhin habe ich doch einige Bilder an der Wand, die ein wenig Farbe auf dieses endlose Weiß bringen und mein Stiefsohn hat mir ein paar kleine Farbkleckse an die Wand gemalt. Die Bilder sind aus meinem früheren Leben. Ein Leben voll Bewegung, voll Energie, ein echtes Leben halt.
Sie sind schön, weil sie alle Geschichten erzählen. Geschichten sind so langlebig, deshalb mag ich sie so gerne; so wie meine Bücher, die ich um mich herum gestapelt habe als wollte ich, dass sie mich festhalten. Manche meiner Bücher habe ich schon des Öfteren gelesen. Ich freue mich aber jedes Mal neu auf das Ende eines Buches, wie ein kleines Kind die Vorfreude auf den Spielplatz hat, weil es einfach so schön sein kann, so romantisch, oder einfach nur weil es ein Ende hat. Hier bin ich Herr über das Buch, über meine Gedanken, hier kann ich bestimmen wie lange ich das Ende noch hinauszögere oder wie schnell ich darüber hinweg bin. Für mich war es immer schon wichtig wie es endet, weil ich das Positive am Schluss so sehr liebe. Aber letztendlich ist es egal, denn am Ende sterben sie alle, so wie mein Augenlicht.

Aber erst nachdem sie ein glückliches Leben hatten, nachdem sie Abenteuer überstanden haben, die Welt gerettet, Wunder erlebt oder die große Liebe gefunden haben. Ja, das sind die Geschichten, die ich liebe.
Es ist wohl die einzige Liebe die ich derzeit und in diesem Leben noch erfahren darf.
Gedanken.
Ich sitze hier jeden Tag am gleichen Platz und betrachte meine weißen Wände, wo die Stunden zur Ewigkeit werden und die Gedanken sich aufzulösen beginnen in einem einsamen ruhigen Nebel. Mein Leben wurde zu einem einzigen Raum, einem Wartezimmer. Egal, wie groß oder klein dieser Raum auch sein mag, er kann sehr mächtig werden, oder auch winzig klein.

So einengend, erdrückend, dass den größten Platz in diesem Raum die Angst einnimmt, die Luft wird immer dünner, und dann versuche ich das Fenster zu öffnen, weil es die einzige Hoffnung auf etwas Lebendiges ist, auf einen Atemzug Leben. Aber es ist nicht immer erreichbar, das Fenster, die ganze Hoffnung ist in diesem Augenblick so endlos weit weg. So als ob dieser Raum inmitten einer großen Wüste wäre. Eingetrocknet, verdorrt, trostlos; und ich, sitzend auf meinem Stuhl, mit einer leeren Wasserflasche in der Hand.
Die Ironie und die Stille ersetzen zur dieser Zeit meine Gefühle. Zu meiner Rechten und meiner Linken, wie Säulen, die mich schützen, mich bewahren vor mir selbst, sie erhalten mich am Leben.
Ob ich das will?
Wer fragt?
Wenn ich in diesem Moment meine leere Wasserflasche betrachte, denke ich oft an Gott. „Wo bist du“ sage ich dann zu ihm, und: „warum gerade ich?“ frage ich in diese undankbare Stille hinein.

Zeit ist das einzige, was ich ständig und absolut frei zur Verfügung habe. Das Wort Zeit ist für mich so unendlich wie end-los, dass es mich gefangen hält. Ich liebe dieses Wort; ja vielleicht so, wie meine Liebe zu Gott sein mag. Diese zwei sind meine letzten Begleiter, sie sind die einzigen Besucher in diesem Raum.
Ist es das was Einstein gemeint hat? Zeit und Raum sind untrennbar miteinander verbunden?
Wenn ich so darüber nachdenke, muss er ein sehr einsamer Mensch gewesen sein.
Einstein oder meinte ich Gott?
Ich weiß es nicht mehr.
So einsam wie ich es jetzt bin.
Ich habe jetzt die Tür geöffnet, um der Zeit mehr Raum oder auch Leben zu geben. Aber nicht mal das, kein Leben. Keine Hoffnung mehr den Körper zum Leben zu erwecken. Er hat schon lange aufgehört sich in seiner Existenz leben zu wollen. Meinen Körper habe ich geliebt, wie man einen menschlichen Körper nur lieben kann. Ich kann es jetzt auch noch tun, noch, ich meine, mich lieben.
In meinen Gedanken. Ich kann mich selbst nicht mehr berühren, meine Arme ich spüre sie noch, aber sie werden immer mehr, stumm und taub.

Was würde ich darum geben, diesen Augenblick genussvoll auszukosten, nur noch einmal das Fenster zu öffnen. Aufzustehen, hinzugehen, den Boden unter meinen Füßen zu spüren, die Schritte zu zählen. Oder auch nur einmal die Türe weit aufzureißen und hinaus zu schreien: „He, hier ist jemand!“
Meine Beine gehören auch schon lange nicht mehr zu mir, ich habe sie geliebt, meine schönen strammen, muskulösen Waden, doch sie haben schon vor längerem aufgegeben, sind sie ebenfalls stumm und taub. Ich habe Gott schon oft gebeten mich zu befreien aus diesem stillen Gefängnis, aber nie eine Antwort gekriegt.
Er ist nicht immer gnädig, dieser Gott. Ich denke, ich muss warten, bis in einer anderen Zeit ein anderer Körper bereit ist für meine gute Seele. So lange bin ich auf der Warteliste, geduldig und vor mich hin wünschend, meinen Gedanken still ergeben.
Ich bin mir sicher, das wird ein wunderbarer Körper, voll Leben, voll Energie, voller Liebe, das nächste Mal. Ich male mir mein neues Leben an die weißen Wände.
Das habe ich noch, hier, in meinem Raum, in meinem Wartezimmer.
Mein Herz ist noch da, mein Motor ist noch stark, ich wünsche mir jeden Tag, dass er versagt.

Wozu schlägt es denn noch?
Nicht einmal mehr das kann ich noch fühlen.

Manchmal ist das Schönste am Leben doch der Tod.

Endlich die Freiheit haben,
Raum und Zeit zu verlassen.

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