geschrieben 1987 von Rautus Norvegicus (Rautus Norvegicus).
Veröffentlicht: 08.08.2025. Rubrik: Fantastisches
Die Vorentscheidung
Er schlägt die Augen auf, doch es wird nicht richtig hell. Verwirrt versucht er sich daran zu erinnern, was mit ihm passiert war. Nur langsam kommt sein Gehirn auf Touren und je klarer er denken kann, um so stärker empfindet er die Schmerzen, aus denen sein gesamter Körper zu
bestehen scheint.
Stöhnend wälzt er sich auf die Seite, dabei fällt sein Blick auf seinen rechten Arm. Als er die blauen, mit Goldbrokat abgesetzten Streifen sieht, die ihn als Major der Air Force
ausweisen, kommt die Erinnerung mit aller Macht! Er war zusammen mit Tom Robbins am Nachmittag des siebzehnten Julis von dem Militärflughafen Austin I in Texas aufgestiegen, um zu erforschen, was hinter den immer häufiger auftretenden Störungen auf dem Radarschirm stecken
mochte, die den Flugverkehr enorm beeinträchtigt hatten! “Hallo, großer, silberner Vogel, hier spricht Alf, von dem fernen Planeten Melmac. Ich bin auf der Suche nach E. T., der ein entfernter Verwandter von mir ist. Ich habe gehört, er soll sich auf dem blauen Planeten Terra aufhalten und dort schon Millionen von Freunden gefunden haben. Kannst du das bestätigen?“ Major Ben O'Neil, dem man seine irische Herkunft an den roten Haaren und dem sommersprossigen Gesicht ohne viel Mühe ansehen konnte, lachte mit seiner dunklen Stimme, die gut zu seinem muskulösen, einhundertneunzig Pfund schwerem Körper passte. Eigentlich war er ja viel zu groß und schwer für das enge Cockpit einer F-16, doch gute Piloten wuchsen nicht auf Bäumen, von denen man sie nach Bedarf pflücken konnte. Deshalb hatte man ihn mit offenen Armen bei der Royal Air Force
aufgenommen, als er sich dort um die Stelle als Kampfjet-Pilot beworben hatte.
Er war heute zusammen mit seinem langjährigen Freund Tom Robbins zu diesem Aufklärungsflug gestartet. „Ben, bitte kommen!“ Die Stimme seines Freundes klang beunruhigt aus dem Headset. „Ben, was ist denn das für ein verfluchtes Licht da vorne? Um Himmels Willen, Ben, ich kann nichts mehr
sehen! Ich glaube...“ Plötzlich war seine Stimme abgerissen! O'Neil hörte nur noch ein Knacken, dann hatte ohrenbetäubendes Rauschen fast seine Trommelfelle zerfetzt! Ihm stockte der Atem. Was war nur mit Tom los? Er suchte den Horizont nach dem Licht ab, das Tom gesehen hatte, er konnte nichts entdecken. Dann sah er die Maschine seines Freundes. Sie trudelte etwa bei der elf Uhr Position über den Himmel, richtete dann die Nase gegen den Boden und jagte im Sturzflug hinunter! Dann war sie aus seinem Blickfeld verschwunden. “Mayday, Mayday“ hatte hatte O'Neil
noch in das Kehlkopfmikrofon gerufen.
Urplötzlich schien seine Maschine wie von einer riesigen Faust gepackt und stieg senkrecht in den Himmel. Er versuchte sie nach unten zu drücken, aber das Höhenruder reagierte nicht. Mit einer raschen Bewegung betätigte er den Hebel zur Aktivierung des Treibsatzes, der ihn mitsamt seines Sitzes aus der unkontrollierbaren F16 sprengen würde. Es wurde
auch höchste Zeit, denn er hatte die Stratosphäre bereits verlassen. Er wusste, dass es draußen mittlerweile kaum noch Sauerstoff gab. Aber den brauchte er, denn die Sauerstoffmaske war defekt, wie er mit Entsetzen bemerkte!
Höher und höher stieg das Flugzeug, vor seinen Augen
begannen rote und blaue Sterne zu tanzen. Er krächzte noch einmal Mayday in sein Mikrophon, dann verlor er die Besinnung. Ja, so war das gewesen. Ben O'Neil war total verwirrt. Irgend etwas hatte seinen Jäger angetrieben, ohne dass er ihn hätte steuern können. Er sah sich genauer um und ging mit schmerzenden Gliedern in der fremden Umgebung auf und ab. Überall lagen etwa faustgroße, scharfkantige Steine herum, eingebettet in einem rötlichbraunen Staub. Die Gegend kam Ben bekannt vor, er musste erst kürzlich hier gewesen sein.
Aber ... eine eiskalte Hand schien ihn zu umfassen, er hatte von diesem Ort geträumt! Als würde ein Film abgespult, hatte er den Traum wieder vor Augen. Er war hier gewesen, um zu kämpfen! Mit einem Wesen von einem anderen Stern würde er darum kämpfen, ob die Erde in Menschenhand blieb oder ob Sie die Erde beherrschen würden! „Mach dich bereit, Erdenbewohner“, hörte er plötzlich eine Stimme. Hörte? Nein, so wie er den Traum wieder vor Augen gehabt hatte, war jetzt die Stimme tief in seinem Gehirn! Dann machte er in etwa einhundert Meter Entfernung eine Bewegung aus und sah den Extraterrestrischen.
Der Anblick warf ihn fast um. Muskelbepackt, monströs, das alles hatte er erwartet und sich darauf eingestellt. Aber was da auf ihn zu kam, das war sein Freund Tom Robbins, der zusammen mit ihm diesen Aufklärungsflug unternommen hatte und dabei scheinbar ums Leben gekommen war, als er
vor seinen Augen abstürzte. „Tom!“ rief er erfreut aus und rannte auf ihn zu. Auf halben Weg zu seinem Freund prallte er mit voller Wucht gegen eine Mauer und ging zu Boden! Er schlug hart mit dem Kopf dagegen und sein Traum kam ihm wieder ins Gedächtnis. Tom und er waren durch eine unsichtbare Wand getrennt, die nur Steinen und anderen leblosen Wurfgeschossen Durchlass bot.
Hastig zog er seinen Arm zurück, als er merkte, dass der wie in einem Gipsverband lag, der sich erhärtete! Dann traf ihn der erste Stein an der Schulter, von Tom geschleudert. „Du willst die Erde vernichten, Ben, das werde ich nicht zulassen, hörst du? Auch, wenn wir mal Freunde waren, ich werde dich töten, um unsere Erde zu retten“! Diesen Worten ließ ließ Tom Robins einen wahren Hagel von Wurfgeschossen folgen, doch O'Neil war schon zurück gewichen, bis ihn die unsichtbare
Mauer stoppte, die das Kampffeld umgab bzw. teilte.
Hier konnten ihn die Steine nicht mehr erreichen. 'Was haben die Tom bloß vorgegaukelt, dass er denkt, ich wolle die Erde vernichten', dachte Tom betroffen. Als er von einem scharfkantigen Stein an der Stirn getroffen wurde, schlug
seine Betroffenheit in Zorn um und er erkannte, dass man – wer immer das auch sein mochte – Tom vollständig in den Glauben versetzt hatte, er arbeite daran mit, die Erde zu vernichten! Er schrie: „Na gut, wie ihr wollt“ und begann nun seinerseits damit, Tom mit Steinen zu beschmeißen. Nachdem
sie sich eine Weile gegenseitig bombardiert hatten, setzte O'Neil sich in die hintere Ecke seines Feldes.
Sein schmerzender Arm machte ihm deutlich, dass er schon eine geraume Zeit wie ein kleines Kind mit Steinen nach seinem Gegner warf. Er selbst war im Laufe der Zeit mehrmals getroffen worden. Seine Uniform war an vielen Stellen von Steinen aufgeschlitzt worden und er blutete. Auch Toms Uniform war teilweise zerfetzt, doch er wurde im Gegensatz zu ihm scheinbar nicht müde und verspürte keine Schmerzen! Normalerweise war er, Ben O'Neil, körperlich stärker und überlegen, aber was war in den letzten Stunden schon normal gewesen?
Auf der anderen Seite tigerte Robbins ca. 10 Meter entfernt von der Wand auf und ab und warf hin und wieder einen Stein
in seine Richtung. Als er wieder einmal warf, löste sich von seinem Handgelenk die Uhr und flog auf Bens Seite. Sie schlug auf dem Boden und blieb mit geöffnetem Armband im Staub liegen. Sie erinnerte auf obskure Art an einen Leichnam, so, wie sich ihr Armband ringelte. Etwas schwermütig dachte O'Neil daran, dass er sie seinem Freund Tom im letzten Jahr zum Geburtstag geschenkt hatte. Und jetzt lag sie da, wie ein Symbol für ihre gestorbene Freundschaft.
Gestorben? Aber sie lebte! Die Uhr tickte weiter, doch sie lag jetzt auf seiner Seite! O'Neil wurde es heiß! Er dachte an
seinen Arm, der auf Tom Robins Seite gelegen hatte, als er gegen die Wand gelaufen und für einige
Sekundenbruchteile betäubt gewesen war. Schon oft hatte Ben O'Neil mit seinem Leben gespielt, wenn er hoch am Himmel seine waghalsigen Eskapaden flog, aber immer hatte es an ihm gelegen, heil und unversehrt wieder am Boden zu landen. Doch jetzt würde er für Augenblicke sein Leben
aus der Hand geben! Er holte weit mit der Uhr aus und ihm gelang es, sie bis an den Rand von Robbins Feld zu werfen.
„Hier hast du deine Uhr zurück! Dein Ärmchen ist wohl zu dünn dafür! Schon als wir sie kauften hat Resi gemeint, dass wir besser eine Kindergröße für dich besorgen sollten“ Er lachte und hoffte, dass sich sein Lachen höhnisch anhörte und wirklich, tief gekränkt marschierte Robbins zu der Uhr, um sie sich anzulegen und O'Neil damit zu beweisen, dass sie ihm
doch passte. O'Neil war inzwischen dicht an die Trennwand heran getreten und hatte einen runden, faustgroßen Stein in die Hand genommen. Als Tom sich umdrehte und auf den Weg zu zu der Uhr machte, schlug sich O'Neil den Stein gegen den Kopf, nachdem er sich an die Trennwand gelehnt
hatte.
Durch den Schlag verlor er für Bruchteile von Sekunden das Bewusstsein und die Wand lies seinen leblosen Körper passieren. Er schlug schwer auf den unebenen Boden und beeilte sich, noch halb betäubt, seine Beine nach zu ziehen, bevor sich die Wand wieder verdichtete. In diesem Moment bemerkte Tom, dass er die Sperre überwunden hatte und rannte auf ihn zu, um seinen angeschlagenen Zustand auszunutzen. Er schleppte einen großen Stein mit sich. Dann hatte er den halb bewusstlosen Ben erreicht und hob den Felsbrocken mit beiden Händen hoch über den Kopf. „So stirb denn, Erdenkreatur, die Welt wird uns gehören und ihr primitiven Geschöpfe werdet uns zu Diensten sein müssen!“
O'Neil hob mühsam den Kopf; das Blut gefror ihm schier in den Adern! Der Alien hatte in dem Augenblick der Entscheidung triumphierend seine wahre Gestalt
angenommen. Er war ein unförmiges Konstrukt aus Gehirnmasse und Nervensträngen, das auf einigen spindeldürren Auswüchsen stand, die feucht glänzten. Der Stein, der Ben töten sollte, schwebte vor ihm in der Luft, offensichtlich durch Psychokinese gehalten. Unter Aufbietung der letzten Kraftreserven rollte er sich neben das Wesen und rammte seine geballte Faust hinein! Plötzlich war da nichts mehr, was den Stein noch zu halten vermochte. Er fiel herunter und zertrümmerte O'Neils Knie, daraufhin umgab ihn eine tiefe Ohnmacht.
Er erwachte in einem Hospital in Austin, Texas, seiner Heimat, schlug die Augen auf. Er fühlte sich zermürbt und müde an,
wollte viel lieber weiter schlafen. „Hallo, Major O'Neil, wie fühlen sie sich?“ Ben öffnete endgültig seine Augen. Das Krankenzimmer, in dem er sich befand, lag im Halbdunkel. „Ich habe es geschafft!“, murmelte er undeutlich, „ich habe sie gerettet! Ich habe die Welt gerettet!“ Er lächelte glücklich unter dem Mullverband, der sein Gesicht fast vollständig bedeckte, ernähren musste man ihn intravenös. „Ja, ja, natürlich“, beeilte sich die Schwester, ihm zuzustimmen. Sie war müde und wollte nach Hause. Gerade griff sie nach dem Türdrücker, als die Tür von außen geöffnet wurde und ein junger Mann in Fliegeruniform stand vor ihr.
In der Hand hielt er einen großen Blumenstrauß. Als er O'Neil im Bett erblickte, breitete sich ein zufriedenes Lächeln auf seinem Gesicht aus. „Hallo, Ben,“ sagte er und trat in das Blickfeld des Verletzten. Kaum jedoch erblickte Ben ihn, bäumte er sich im Bett auf. „Nein, du kannst nicht hier sein, du bist tot, tot, tot! Ich habe dich getötet und die Welt vor euch gerettet!“ Die Schwester schaute entsetzt zu ihm hinüber und eilte aus dem Zimmer, um einen Arzt zu benachrichtigen.
Als sie das Zimmer verlassen hatte, zögerte Tom keine Sekunde. Er ging rasch zu Bens Bett und injizierte ihm eine farblose Flüssigkeit. Bei der Rückkehr der Schwester mit dem Arzt, schien Ben O'Neil tief und fest zu schlafen. Verständnislos schaute der Arzt sie an und meinte: „Mit dem Patienten ist doch alles in Ordnung! Na ja, Schwester
Magret, sie haben eine lange Nacht hinter sich. Es ist wohl das Beste, sie gehen nach Hause und schlafen sich richtig aus. Bis morgen Abend dann“! Der Doktor ging zur Tür hinaus und dachte dabei bereits an den nächsten Patienten.
Major Ben O'Neil verbrachte noch drei Wochen im Lazarett, dann wurde er, angesichts seiner schweren Verletzungen schon , entlassen. Er ist heute wieder bei seiner alten Staffel als Jet-Pilot im Einsatz und fliegt besser als je zuvor! Ein bis zwei Mal pro Monat kommt es vor, dass er mehrere Stunden spurlos vom Radarschirm verschwindet. Wenn er von der Flugsicherung und seinen Vorgesetzten gefragt wir, was da nur los war, gibt er augenzwinkernd zu, dass er mit Wesen vom fernen Planeten Pluto eine Invasion der Erde geplant
habe.
Seine Vorgesetzten gehen nicht näher auf seine makabren Späße ein, denn sie sind froh, einen so erfahrenen Kampfpiloten wie ihn zu haben. Eines Tages jedoch wird man sich fragen müssen, warum dieser Mann nicht ernst genommen wurde. Aber dann wird es zu spät sein!
….............................................Ende................................

