Kurzgeschichten-Stories
Autor
Schreib, wie du willst!
Startseite - Registrieren - Login - Kontakt - Impressum
Menu anzeigenMenu anzeigen
3xhab ich gern gelesen
geschrieben 2019 von Christine Todsen.
Veröffentlicht: 02.09.2019. Rubrik: Märchenhaftes


Das Rätsel

Es war einmal eine Prinzessin, die hieß Smaragda und war das jüngste Kind von König Hugo und Königin Catharina von Mirabellien. Als sie ins heiratsfähige Alter kam, hielten ihre Eltern Ausschau nach einem geeigneten Ehepartner für sie. Adelig, reich und gebildet sollte er sein. Der Wunschkandidat des Königspaars war Kronprinz Carlo von Aprikosien.

Umso entsetzter waren die Eltern, als Smaragda ihnen eröffnete, dass sie den Stallburschen Emil heiraten wolle. Zwei Minuten lang waren sie stumm vor Schreck, dann zürnte König Hugo: „Das kommt überhaupt nicht in Frage! Er war nur auf der Dorfschule!“

„Ja, weil seine Eltern arm sind und er schnell Geld verdienen musste. Aber er ist sehr, sehr klug! Herr Vater, Ihr habt doch selber gesagt, dass niemand von Pferden mehr versteht als er!“

„Von Pferden, ja. Er kann gern Stallmeister werden, wenn der jetzige aufhört. Aber unser Schwiegersohn? Nie und nimmer!“

Smaragda und Emil kämpften um ihre Liebe, doch der König und die Königin blieben hart.

Als Smaragda eines Morgens in aller Frühe mit ihrer Mutter und zweien ihrer Geschwister eine kurze Reise angetreten hatte, bestellte König Hugo für neun Uhr den Stallburschen Emil zu sich. Diesem klopfte das Herz bis zum Hals, da er nicht wusste, was ihn erwartete.

Mit einem maliziösen Lächeln überreichte der König dem jungen Mann einen Umschlag. „So, Er will also meine Tochter Smaragda heiraten. In diesem Umschlag ist ein Rätsel. Wenn Er es bis heute Mittag zwölf Uhr gelöst hat, gebe ich Ihm Smaragda zur Frau, andernfalls darf Er nie wieder mit ihr reden. Hinaus jetzt!“

In Hochstimmung verließ Emil das Schloss, denn Rätsel hatte er immer gut lösen können. Als er jedoch ins Freie getreten war, den Umschlag geöffnet und die Rätselfrage gelesen hatte, packte ihn Verzweiflung. „Das ist doch ein völlig sinnloser Satz!“

Während er zu den Ställen zurückging, versuchte er unaufhörlich, den Satz zu verstehen, aber es gelang ihm nicht. An der Pferdeweide lief sein Lieblingspferd, die kleine weiße Stute Schneewittchen, zu ihm an den Zaun. „Ach, Schneewittchen“, seufzte er, „wenn du mir doch helfen könntest!“ Er zeigte dem Tier den Zettel, auf dem in der gebieterischen Schrift des Königs die Frage stand, und las sie ihm vor: Welcher Körperteil ähnelt weiblich und umbenannt einem Vogel?

Etwa eine halbe Stunde später, als Emil längst wieder bei den Ställen arbeitete und sich dabei das Hirn zermarterte („es wird ein Körperteil gesucht, aber was bedeutet das andere?“), flog plötzlich ein kleiner Vogel von der Pferdeweide her, setzte sich auf einen Baum und tirilierte.

Obwohl – oder gerade weil – Emil nur die Dorfschule besucht hatte, kannte er sich mit den heimischen Tieren und Pflanzen bestens aus. Er wusste sofort, was für ein Vogel es war. Und als ihm klar wurde, auf was für einem Baum er saß, ließ er alles stehen und liegen und rannte zurück zum Schloss.

König Hugo war gerade in ein Gespräch mit vier Hofbeamten vertieft, als Emil ohne anzuklopfen die Tür aufriss und ins Zimmer stürmte. „Ich habe das Rätsel gelöst! Der Körperteil ist der Kiefer. Weiblich: die Kiefer. Dieser Baum wird auch Lärche genannt. Geschrieben mit ä, aber genauso ausgesprochen wie der Vogel Lerche. Eure Majestät, gebt mir Eure Tochter Smaragda zur Frau.“

Am liebsten hätte der König behauptet, die Lösung stimme nicht, aber in Gegenwart der vier Hofbeamten – denen er von dem Rätsel erzählt hatte – blieb ihm nichts anderes übrig, als dem Stallburschen die Hand zu reichen und ihn als künftigen Schwiegersohn zu begrüßen.

Die Hochzeit wurde zu einem Volksfest. Ganz Mirabellien freute sich mit den jungen Leuten. Aus der Ehe von Prinzessin Smaragda und Prinz Emil gingen insgesamt fünf Kinder hervor, angefangen mit den eineiigen Zwillingen Lärche-Ämilia und Lerche-Esmeralda. Alle waren glücklich, und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.

counter3xhab ich gern gelesen

Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

Einen Kommentar schreiben

geschrieben von Dan Prescot am 03.09.2019:

Ein schönes Märchen.

Weitere Kurzgeschichten von diesem Autor:

Kommissar Kuhlmann und der Papierschnitzel
Ein Treffen in den Neunzigern
Eine Erkenntnis in der Klavierstunde
Das Haus mit den Löwenköpfen
Omas kleines Gärtchen