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2xhab ich gern gelesen
geschrieben 2019 von Weißehex.
Veröffentlicht: 20.10.2019. Rubrik: Persönliches


Die Bibliothek war mein Zuhause

Wenn ich die Bibliothek betrete, läuft mir das Wasser im Mund zusammen. Dieser Geruch aus einer Mischung nach alten und neuen Büchern schärft sofort meine Sinne und vergrößert die Vorfreude noch. Ich stelle mich vor das Regal mit den Liebesromanen und taxiere die Buchrücken. Als ich ein Kind war, las ich mal ein Buch, in dem der Held Buchtitel sammelte, die Idee fasziniert mich bis heute. Der Titel muss gefallen, sonst rühre ich das Buch gar nicht erst an. "Die dunkle Seite der Liebe" von Rafik Schami habe ich schon gelesen, "Romeo und Julia" von Shakespeare ebenfalls. Und "Blumen der Nacht" von V. C. Andrews und die Fortsetzungen davon. Bücher über Liebe sind nur spannend, wenn die Liebe verboten ist und sich die Liebenden nicht bekommen können. Wirklich gute Liebesromane sind mir bis jetzt nur sehr selten begegnet, aber das sind schon mal drei davon.

Ich schlendere hinüber zu "Spannung". Ich war wohl zwölf oder dreizehn, als mir in der Bibliothek damals das Buch "Der Würger von Dalstead" in die Hände fiel, den Autor weiß ich nicht mehr, aber spannend war das Buch wahrhaftig. Ein Mädchen ist in irgendeinen älteren Verwandten verliebt, himmelt ihn an und hält ihn schließlich für den Würger, was ihre Verliebtheit nicht mindert. Junge, Junge, das Buch war wirklich spannend. Ich weiß heute noch ganze Sätze daraus. Heute gibt es das Buch wahrscheinlich nicht mehr. Ich habe es zumindest nicht gefunden.

Mein Blick fällt auf die Kinderbücher und eine Anekdote aus der Grundschulzeit blitzt auf. Meine beste Freundin und ich gingen in den Ferien zusammen in die Bibliothek. Ich entdeckte dort ein Buch, was wir beide lesen wollten und zog es aus dem Regal. Ich glaube, das Buch hieß „Das Zwieselchen", wenn ich mich recht erinnere.
„Guck mal!" Triumphierend schwenkte ich das Buch hin und her.
Die Augen meiner Freundin leuchteten auf und sie streckte die Hand aus, doch ich hielt das Buch fest.
„Ich wollte das lesen!" kam es energisch von ihr. Und dann noch einiges. Von mir kam nichts, ich umklammerte nur das Buch. Mir war von kleinauf beigebracht worden, dass andere immer recht hatten und ich nicht. Deswegen versuchte ich gar nicht, zu widersprechen im Sinne von: „Ich habe es zuerst gesehen!" Aber hergeben wollte ich das Buch auch nicht. Dass sie sich nicht auf mich stürzen und es mir aus der Hand reißen würde, wusste ich allerdings auch. Dazu war sie zu gut erzogen.
Meine Freundin hörte nicht auf zu lamentieren, dass sie das Buch haben wollte und ich hörte nicht auf, es festzuhalten. Schließlich mischte sich die Bibliothekarin ein und ich war sicher, dass ich es nun hergeben müsse.
„Anna hat das Buch zuerst gesehen", wandte sie sich an meine Freundin. „Deswegen darf sie es zuerst lesen. Und danach kann sie es dir geben. Es sind ja Ferien, da hat jeder drei Wochen Zeit."
Ich konnte mein Glück kaum fassen. Auch wenn wir die Bibliothek als beste Freundinnen betreten hatten und unsere Freundschaft einen Riss hatte, als wir sie verließen.

Danach ging ich nur noch alleine in die Bibliothek. Meine Schätze wollte ich mit niemandem teilen müssen. Natürlich weiß ich die Titel der Bücher nicht mehr alle, die ich gelesen habe, aber ich glaube, ich habe damals die Hälfte der ganzen Bibliothek gelesen. Sie hatten auch enorm viel Kinder- und Jugendbücher.
Ach, dieser unnachahmliche Zauber, wenn mir ein Buch begegnete, das mich festhielt, mich von Anfang bis Ende mitnahm, ich geradezu in der Handlung lebte, so sehr, dass ich den Tränen nahe war, als ich mich dem Ende näherte und doch nicht aufhören konnte zu lesen! War ich zum Ende gekommen, blies ich tagelang Trübsal. Nicht weil ich das Buch wieder zur Bibliothek bringen musste. Es hätte gar nichts genutzt, es zu kaufen. Lange Zeit wusste ich selbst nicht, wie ich diesen Zustand bezeichnen sollte, bis ich in einem Buch einen Hinweis fand: es ist das Abschiednehmen von der Welt des Buches und den Figuren, die diese Welt mit Leben erfüllen. Ja, das war der Grund. Das ganze Buch über tauchte ich in verzaubernde Welten ein und am Ende des Buches blieb mir nichts anderes übrig als wieder aufzutauchen, auch wenn ich noch gar nicht wollte.

Und nur die Bibliothek bot mir die Gelegenheit, diesen Zauber immer wieder zu erleben.
Die Bibliothek war mein Zuhause.

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von Dan Prescot am 21.10.2019:

Das kenn das ich. Toll beschrieben!




geschrieben von Weißehex am 21.10.2019:

Vielen Dank!

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