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geschrieben von LineHartmann.
Veröffentlicht: 30.03.2020. Rubrik: Unsortiert


Aller Anfang....

„Der Stein hat ein Gesicht. Du musst gucken, wo das Gesicht ist, und das muss beim Mauern nach vorne gucken.“ Hochkonzentriert saß er da auf seinem Stuhl, vor dem Schutzwall aus Feldsteinen, den er schon als Einfassung des Gartens gemauert hatte und drehte den nächsten Steinbrocken in seinen riesigen Händen. Mein Opa. Anfang Mai hatten wir seinen 90. Geburtstag gefeiert. Hineingeboren zu sein in die lebendigste Zeit des Jahres schien sein ganzes Leben geprägt zu haben. Ein Leben im Rhythmus von Aussaat und Ernte. Dass er in seinem langen Leben zu einer menschlichen Institution geworden war, war vielleicht schon am ersten Tag seines Lebens absehbar gewesen. In der Aufregung um die Geburt des ersten Kindes im Mai 1914 war nicht mehr ganz klar, ob er kurz vor oder kurz nach Mitternacht zur Welt gekommen war. Über fast ein ganzes Jahrhundert hatte er nun an zwei Tagen Geburtstag. Jahrelange Hinweise an Zeitungen und Ämter mit der Bitte, sich auf einen Tag zu einigen wurden geflissentlich ignoriert. Über zwei Tage die Gratulanten mit Sekt und Schnittchen zu empfangen, die Frau und Tochter wie am Fließband vorbereiteten, wurde mit jedem Lebensjahrzehnt für alle Beteiligten anstrengender. Im Mai, wenn die verschwenderische Rapsblüte die Gemarkung strahlend gelb färbte und das Wachstum auf Feldern und Wiesen fast schon greifbar war, hatte er keine Zeit, Hof zu halten. So sehr, wie er Menschen und Leben, ein Publikum und eine Bühne um sich herum brauchte, so sehr zog es ihn zugleich raus auf die Scholle. In diesem Frühjahr war es besonders schlimm. Er hatte nämlich einen neuen Aufgabenbereich übernommen. Bereits im Herbst des Vorjahres hatte ich ihn damit beauftragt, im Bauernblättchen nach einer gebrauchten Kartoffelpflanzmaschine Ausschau zu halten. Wir wollten Blumenzwiebeln pflanzen, im großen Maßstab, ein Blumenfeld zum Selbstpflücken anlegen. Ältere Kartoffelpflanzmaschinen waren dafür hervorragend geeignet. Die Maschine folgt einem simplen, aber effektiven Mechanismus. Die Zwiebeln werden in zwei große Bunker gefüllt, hinter denen jeweils ein Sitz für den Pflanzer angebracht ist. Zwischen Bunker und Sitz ist der Verteilteller angebracht, in den die Zwiebeln gelegt werden. Unterhalb dieses Tellers ist ein Fallrohr, durch das die Zwiebeln in den Boden fallen. Mittels eines Antriebsrads wird der Verteiler gedreht, so dass in regelmäßigen Abständen eine Zwiebel in das Rohr fällt. Hinter den Sitzen sind jeweils zwei große Scheiben angebracht, die sogenannten Häufler. Diese ziehen die Erde über den Zwiebeln zu einem kleinen Berg, einem Damm zusammen. Einfache, funktionale Mechanik. Mein Opa hatte tatsächlich eine Pflanzmaschine entdeckt und sofort einen Termin zur Abholung ausgemacht. Meine Mutter hatte keine Wahl, sie musste den Anhänger ans Auto schirren und los ging es. Seltsam schweigend kamen sie mit ihrer Fracht zurück. Viel später erwähnte meine Mutter mal nebenbei, die Verhandlungen zwischen meinem Opa und dem Käufer wären fast handgreiflich geworden. Mein Opa wollte um keinen Preis ohne die Maschine fahren, zu viel bezahlen wollte er aber auch nicht. Irgendwann rief mein Opa wohl lauthals: „das ist ja hier wie im Libanon.“ Danach wurden sie handelseinig, die Maschine wurde verladen und fuhr in ihre neue Heimat.
Stolz stand sie da auf dem Hänger, und wie erwartet war sie gleich umschlossen von einem kleinen Pulk Fachkundiger. „des wird nix.“ „die Schare sind ja schon ganz abgefahren.“ „wie habt Ihr Euch das denn vorgestellt, wie soll das denn gehen?“ „wenn das nicht klappt, haste noch ne Maschine mehr hier rumstehen. Die kriegste nicht mehr verkauft.“ „was machste denn, wenn das nix wird, dann musste Dir das den ganzen Sommer angucken.“ „was ist denn, wenn keiner eine Blume pflückt? Habt Ihr da mal drüber nachgedacht? Oder wenn keiner bezahlt? Dann war die ganze Arbeit umsonst.“ waren nur einige der Kommentare, die sofort über den Hof flogen. Ich kann nicht sagen, dass ich unbeirrt war. Natürlich fragte ich mich sofort, was ich hier angefangen hatte. Was hatte ich mir nur gedacht? Alle weiteren Kommentare gingen im Knattern des kleinen Schleppers unter. Opa schuf Fakten. Gerade noch am Nörgeln flitzte ein jeder los, um Frontlader, Gurte und Drahtseile anzuschleppen. Flugs war die Maschine abgeladen. Es schien wie eine einzige fließende Bewegung, als die Maschine angehängt wurde und der Schlepper fast im gleichen Moment wie ein Pfeil vom Hof schoss. Ob die kleine Pflanzmaschine wusste, wie ihr geschah, als sie scheppernd hinter dem Traktor her den Feldweg zum Acker polterte? Jahrelang hatte sie ein behütetes Dasein in der Ecke einer Scheune verbracht, die letzten Kartoffeln vor Jahrzehnten in die Erde gebracht. Was würde jetzt kommen? Nun, heute weiß ich, dass keiner von uns auch nur eine Ahnung hatte, was uns erwartete….

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