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1xhab ich gern gelesen
geschrieben 2020 von Dirk Hoffmann.
Veröffentlicht: 17.11.2020. Rubrik: Satirisches


Die Erfindung des Happy-Ends (also... fast jedenfalls)

Die Schatten waren lang und würden auch nur noch für kurze Zeit über das regennasse Kopfsteinpflaster huschen, so tief stand die Sonne bereits. Einem von ihnen klemmte ein Stoß Pergament unter dem Arm, während er mit hängendem Kopf ziellos durch die Gassen des Universitätsviertels glitt. Dieser besondere Schatten gehörte Gero zu Hallersbroich, einem Studenten und ambitioniertem Dichter, dessen Werk bislang bemerkenswert unbemerkt geblieben war.

SatirepatzerSatirepatzerWie sein eigener Schatten, so verfolgten Gero an diesem Abend auch finstere Gedanken. Eines nach dem anderen seiner Stücke wurde von den Direktoren der Schauspielhäuser abgelehnt, sie führten lieber die vor Blut und Verzweiflung nur so triefenden Geschichten dieses Briten auf. Dieser verdammte Brite, was fanden die Leute nur an ihm? Geros Werke waren doch wohl mindestens ebenso dramatisch und deprimierend wie die, dieses eitlen Insel-Schmieranten!
Was hatte Gero seinen Helden nicht alles widerfahren lassen, um all ihr verzweifeltes Streben letztlich zu einem möglichst unrühmlichen Ende zu führen. Aufrechte Recken wurden erschlagen, verliebte Jünglinge erdolcht und holde Jungfrauen stürzten sich mit gebrochenem Herzen von einer Klippe. Und was war sein Lohn? Nichts! Nicht das kleinste Fitzelchen Anerkennung hatte man für die hallersbroichschen Dramen übrig! Natürlich, bei dem verfluchten Engländer wurde ungläubig gestaunt, gezittert und vor lauter Rührung zückte man die Taschentücher, aber bei Gero? Oh, wie ekelten ihn die breiten Massen an, die mit ihren noch breiteren Hintern verdummt und übersättigt in den Theatern hockten und stumpfsinnig geifernd dem ehrlosen Ende der liebgewonnenen Helden und Heldinnen entgegenfieberten. Hatte dieses dumme Pack denn keine Träume und Visionen? Sie fraßen, was ihnen vorgeworfen wurde und ergötzten sich an anderer Leute Elend und Not, als würde das ausreichen um ihre eigenes langweiliges, uninspiriertes Dasein erträglicher zu gestalten.

Gero erreichte ein Gasthaus und ertastete in seinem schlaff am Gürtel hängenden Geldbeutel noch eine letzte Münze. Wie schon so oft zuvor, trat er in die schummerige Spelunke und setze sich abseits allen Trubels an den Tresen. Die Schankmaid, der Gero schon lange Zeit heimlich schöne Augen machte, brachte sein Bier und wie üblich beachtete sie den kraftlos und trübselig wirkenden Dichter nicht weiter. Dieser blickte ihr bedauernd hinterher. Wieder eine Geschichte, die kein fröhliches Ende nehmen würde. Ein fröhliches Ende...? Das mochte in anspruchsvollen Kreisen zur Zeit ja nicht üblich sein, aber...
Warum denn nicht mal etwas neues wagen? Warum wurden auf den Bühnen der Welt keine Hoffnungen gesät? Aus welchen Gründen, bei allen Göttern, zeigte man dem Publikum denn nicht das Licht im Dunkel des Lebens? Nach all den Tränen, nach all der vergeblichen Liebesmüh, musste das tumbe Volk doch förmlich nach Geschichten mit einem glücklichen Ausgang gieren! Warum sollten tapfere Helden nicht schließlich triumphieren, Liebende sich in den Armen liegen und all das Böse aus der Welt getilgt werden?

Er hielt mitten in seinem stummen Monolog inne und wie ihm kurz zuvor noch sein Schatten gefolgt war, so folgte Gero nun eben diesem Gedanken. Er nahm die Witterung dieses Einfalls auf, schlich ihm erst umsichtig auf leisen Sohlen nach, pirschte näher und näher heran, bis er schließlich vorstürmte, seine Beute erbarmungslos packte und sich entschlossen im schweißnassen, furchtsam gesträubten, Nackenfell seiner eigenen Inspiration förmlich festkrallte.
Gero sah plötzlich alles ganz deutlich vor sich: Nach vielen Irrungen und Wirrungen schloss sich das verliebte Paar innig in die Arme, der vormals gefürchtete Bösewicht und Missetäter erhielt seine gerechte Strafe und der einst so glücklose Bauernsohn triumphierte über den schwarzen Ritter. Gut, ein wenig Drama könnte man den Zuschauern in ihrem Rausch der Glücksgefühle ja noch gönnen. Vielleicht würde der weise Mentor eines jugendlichen Helden sich ja sogar als Geist eines längst verstorbenen Heilers erweisen, oder, auch das war durchaus denkbar, der schwarze Ritter gab sich vor seinem Tod als der Vater des liebenswerten Bauernlümmels zu erkennen. Ein orientierungslos durch sein Leben irrender Gelehrter sprang womöglich nicht nur dem Tod, sondern gar dem wahrhaftigen Teufel selbst noch von der glühenden Schippe, es war einfach alles möglich!

Gero winkte mit neu gewonnenem Elan die schöne Kellnerin zu sich und gab ihr seine letzte Münze. Hatte er richtig gesehen? Genau wie in seinem Verstand diese neue Idee aufgeblitzt war, so hatten gerade auch ihre Augen geblitzt und weckten erneut seine Hoffnung auf ein baldiges Stelldichein in ihrer Schlafkammer. Er würde aus dem Vollen schöpfen, ja, wie ein schöpferischer Ackergaul arbeiten und schon bald ein wahres Epos mit glücklichem Ende auf die Bühnen des Landes bringen, um ihr danach in feinen Gewändern und mit prall gefülltem, strammen Beutel seine erneute Aufwartung zu machen, wie es einer Frau von solch makelloser Schönheit gebührte, ja wohl!

Der zukünftige Stern am Theaterhimmel machte sich eilig auf den Heimweg zu seiner zugigen und feuchten Dachkammer, denn er sah endlich wieder einen hoffnungsvoll hellen Streif am Horizont. Was er hingegen nicht sah, war ein Bierkutscher, der aufgrund einer Verspätung sein schwer beladenes Gefährt zügig über die Straßen jagte. Gero hörte bereits den wild aufbrandenden Applaus der begeisterten Massen. Er überhörte allerdings das Knallen der Zügel, das Klappern der acht frisch beschlagenen Pferdehufe und den warnenden Aufschrei ihres Herren. So war das letzte Geräusch in den Ohren des glücklosen Dichters, nicht der frenetische Jubel des Publikums, sondern ein kurzes, matschig klingendes Knacken und Splittern unzähliger Knochen. Ein leiser Rest des Fahrtwindes griff mit leichter Hand unter seine Notizen und wehte sie davon in einen nah gelegenen Ententeich. Der oftmals zitierte posthume Ruhm blieb Gero zu Hallersbroich verwehrt und eine nicht näher bekannte Schankmaid dachte kurz `Schade eigentlich`, bevor sie sich wieder ihren durstigen Gästen zuwandte und den jungen Poeten sehr schnell vergaß.

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