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geschrieben 2021 von Christine Todsen.
Veröffentlicht: 24.11.2021. Rubrik: Unsortiert


Die Krippentiere und der Waldschrat

In einer Zeit, wie sie vor Corona war und hoffentlich irgendwann wieder sein wird, hatte sich der Zoo für die Adventszeit eine besondere Attraktion ausgedacht.

Mit lebensgroßen Figuren sowie lebendigen(!) Tieren wurde die Krippenszene von Bethlehem dargestellt – bei mildem Wetter draußen, sonst in einem Gebäude des Zoos.

Die Besucher knubbelten sich nur so. Vor allem wegen der Tiere. Es gab einen Ochsen, einen Esel, drei Schafe und ein Kamel. Also alles, was seit Menschengedenken zur Krippe gehört.

Dass kein einziges dieser Tiere in den biblischen Weihnachtsgeschichten (Matthäus 2 und Lukas 2) erwähnt wird, störte niemanden. In Wirklichkeit sind Ochs und Esel vermutlich von Jesaja 1:3 inspiriert („Der Ochse kennt seinen Besitzer und der Esel die Krippe seines Herrn“). Das Vorhandensein von Schafen wird aus der Erwähnung der Hirten abgeleitet (die auch Ziegenhirten sein könnten – im Englischen heißen sie allerdings 'shepherds', Schäfer), und das Kamel wurde als Transporttier der drei Weisen hinzugedichtet.

Eines Tages war inmitten der Besucher ein alter Mann, der überall als der Waldschrat bekannt war. Er hauste in einer Hütte im tiefsten Tann und besaß die seltene Gabe, mit Tieren sprechen zu können. Dies geschah durch beidseitige Gedankenübertragung, sodass andere nichts davon mitbekamen.

Mit einem einzigen Blick erkannte der Waldschrat, dass die Tiere unglücklich waren. „Ihr Armen, fühlt ihr euch nicht wohl? Es muss ja auch schlimm sein, tagaus, tagein hier auf diesem kleinen Platz bleiben zu müssen und angegafft zu werden.“

„Ach“, sagte das Kamel, „das ist noch nicht mal das Schlimmste. Uns ärgert am meisten etwas ganz anderes. Esel, erklär du es ihm, du bist am redegewandtesten.“

Der Esel legte los: „Erst einmal vielen lieben Dank, Waldschrat, für dein Mitgefühl! Also, was uns am meisten ärgert: Als Krippentiere werden wir zwar geliebt. Aber das ganze übrige Jahr hindurch dienen unsere Namen als Schimpfwörter! Du Ochse, du Esel, du Schaf, du Kamel – das sind Beleidigungen, für die man sogar bestraft werden kann!“

„Hm“, überlegte der Waldschrat und sagte schließlich: „Ich hätte da eine Idee…“

Am nächsten Tag hing am Gitter ein Plakat, das der Schrat (in dessen Hütte erstaunlicherweise ein Computer mit Drucker stand) angefertigt und mitgebracht hatte:

WIR – der Esel, das Kamel, der Ochse und die Schafe – PROTESTIEREN dagegen, dass unsere Namen als Schimpfwörter dienen!

Macht euch bitte klar, dass ohne uns die Weihnachtsgeschichte gar nicht möglich gewesen wäre!

Ohne den ESEL, der Maria und das Jesuskind trug, hätte die Heilige Familie weder von Nazareth nach Bethlehem und zurück reisen noch nach Ägypten fliehen können.

Ohne den OCHSEN, der seinen Stall mit ihnen teilte, hätten sie in Bethlehem keine Bleibe gefunden.

Ohne SCHAFE hätte es keine Hirten gegeben, und ohne KAMELE hätten die drei Weisen nicht aus dem Morgenland anreisen können.

Denkt in Zukunft daran, und wenn ihr unbedingt schimpfen müsst, dann bitte nicht mehr mit unseren Namen!

Frohe Weihnachten wünschen Esel, Kamel, Ochs und Schafe!

PS: Das Schimpfwort ‚Schrat‘ bzw. ‚Waldschrat‘ ist ebenfalls zu unterlassen. Frohe Weihnachten wünscht der Waldschrat!

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