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geschrieben von Waldfee.
Veröffentlicht: 30.05.2018. Rubrik: Unsortiert


Gedanken

Eine Nacht, eine einzige Nacht sollte für ein ganzes Leben reichen? Immer und immer wieder holte sie aus ihren Erinnerungen die Bilder dieser Nacht hervor, die Worte die gesagt worden waren, die Gedanken, die sie damit verband. Die Angst die Erinnerungen an diese Nacht jemals zu vergessen war tausendmal größer, als der Wille, endlich alles loszulassen und weiterzugehen. Tag für Tag lebte sie mit den Erinnerungen an diese letzten zwei Jahre, die ihr jetziges Leben so sehr geprägt hatten, dass sich alles geändert hatte. Sie hatte einen Weg beschritten, von dem sie vorher niemals etwas geahnt hatte, hatte die Hölle durchlebt. War oft näher am Abgrund gestanden, denn im wahren Leben. Hatte unendliche Liebe und Unterstützung durch nahestehende Menschen erfahren, die ganz nah an sie herangerückt waren um sie zu schützen. Hatte Hilfe erfahren durch Stellen denen es niemals bewusst gewesen war, wie sehr sie ihr geholfen hatten und die dies auch niemals erfahren sollten. Sie schämte sich nicht, für das was passiert war. Zuviel Positives war daraus entstanden und sie konnte diese positiven Aspekte sehr wohl schätzen und erkennen. Aber die dunklen Momente überfielen sie immer noch. Nicht mehr in dieser Häufigkeit und nicht mehr so heftig, aber sie waren da. Wie eine kleine Wunde, die immer wieder aufging und die nur sehr, sehr langsam verheilte. Manchmal dachte sie, diese Wunde würde nie verheilen. Sie ließ sich auch dazu nicht mehr drängen, was Zeit brauchte, sollte Zeit brauchen. Sie würde in ihrem eigenen Tempo vorangehen selbst merken, wann es vorbei sein würde. Menschen die Zeitvorgaben von außen an sie herangetragen hatten, sie gedrängt hatten, ihr hatten vorschreiben wollen, wann was zu geschehen hätte, hatte sie hinter sich gelassen. Ja, in schweren Zeiten merkte man, wer bei einem war und wer die Flucht ergriff, wenn es schwierig wurde. Keiner dieser Verluste hatte sie wirklich geschmerzt. Als Freund wollte sie keinen zurückhaben. Es hatte nie bedeutet, dass sie sich von außen nichts sagen ließ, jeder der ihre Geschichte kannte, durfte seine Meinung äußern, wer aber sich von ihr abwandte und nur für die guten Zeiten da war, den brauchte sie auch nicht mehr, als es wieder aufwärts ging. In guten wie in schlechten Zeiten – ein Leitspruch, der für sie nicht nur für die Ehe galt. In allen Lebensbereichen gab es gute und schlechte Zeiten und wenn man gerade die schlechten miteinander durchstand festigte dies jede Art von Beziehung, Ehe und auch Freundschaften. Man rückte näher zusammen, wusste auf wen man sich verlassen konnte.
Aber ihre tiefsten Gedanken und Empfindungen mit denen musste sie schließlich doch alleine fertig werden, die konnte und wollte sie mit niemandem teilen. Tief in ihrem Herzen eingeschlossen, wollte sie oft damit alleine sein, grübeln, nachdenken, Worte, Gesten, Taten hin und her wenden, analysieren, interpretieren um am Ende doch zu keinem endgültigen Ergebnis kommen zu können. Das würde es auch nie können. Eine einfache Definition gab es nicht, hatte es nie gegeben. Nicht vor zwei Jahren und nicht heute. Und immer wieder unbeantwortete Fragen und Sehnsüchte, auf die sie wohl nie eine endgültige Antwort bekommen würde. Von ihm ganz sicher nicht. Die Antworten kannte er sicher selbst nicht. Was hätte er tun sollen? Sie ihrer Familie entreißen? Die Kinder auf der Schwelle zum Erwachsen werden, brauchten die Mutter. Was wenn ihre Beziehung nicht hielt? Würde er dann alle Schuld tragen? Der Einsatz war zu hoch. Punkt. Ende der Diskussion.
Er führte ein Leben das dem ihren überhaupt und in keinster Weise ähnelte und das von völlig anderen Werten und Prioritäten geprägt war. Dies war am Anfang bestimmt ein großer Anziehungspunkt gewesen. Irgendwann hatte sie es aber nicht mehr verstanden. Im Grunde ihres Herzens wusste sie, dass sie damit nie glücklich geworden wäre. Was aber ließ sie an den Gefühlen für ihn nicht los? Warum liebte sie diesen Mann noch heute? Dachte jeden Tag an ihn, fragte sich was er gerade tat, ob es ihm gutging, ob er wohl auch manchmal an sie dachte. Welche Macht hatte er über sie? Sie konnte es selbst nicht wirklich verstehen, aber wenn es eine Liebe des Lebens gab, dann war er es. Ein Mensch, der einen über zwanzig Jahre nicht losließ, an den man immer wieder dachte, der einen aus der Ferne immer wieder verletzen konnte, der hatte eine Macht über einen, die man eigentlich einem anderen Menschen niemals einräumen durfte.
Und heute? Sie war wieder zu Hause. Im wahrsten Sinne des Wortes. Zu Hause und doch fremd, allein mit ihren Gedanken, Ängsten, Sehnsüchten. Hatte sich abgefunden mit dem Leben, dass sie schon seit 25 lebte. Kein schlechtes Leben, auf gar keinen Fall, aber eben ohne ihn. Der Mann an ihrer Seite seit 26 Jahren – ein guter Mann, ein verlässlicher Mann. Einen auf den man in schwierigen Zeiten bauen konnte. Aber auch einer der fast unfähig war, Gefühle zu zeigen. Ihr nicht sagen konnte, wie sehr er sie liebte, sie konnte es immer nur erahnen, hätte es gerne einmal aus seinem Mund gehört. Hätte gerne mehr mit ihm gekuschelt, sich an ihn geschmiegt. Seinen Arm um ihre Schulter spüren wollen. Das konnte er ihr nicht bieten. Dafür ein Heim, zwei Kinder, die sie beide über alles liebten. Ein komfortables Leben, in dem so gut wie kein Wunsch offen blieb. Ein schönes Haus. Ihre Hunde, die von der ganzen Familie über alles geliebt wurden. Sie war zurückgekehrt in dieses Leben. Konnte die Kinder die nicht verlassen, die aber so alt waren, dass sie sie bald verlassen würden. Ihr Leben? Ihr Ausbruchversuch? Lass es, Du schaffst das nicht, werde wieder ruhiger, du bist so ruhelos, trink nicht so viel, warum trinkst du nichts? Warum bist du so und nicht anders? Sie würde sich wieder anpassen. Zurück auf Los. Damit alle mit ihr zufrieden waren. Der andere letztendlich auch. Ihm blieb dadurch so viel erspart. Sie ging zurück in ihre kleine Welt. In der so viele so engstirnig war. So kleinbürgerlich, so zum Kotzen einfach. An erster Stelle stand wieder ihr Haus, Ordnung halten, äußerlich, um das innerliche Chaos zu überdecken. Sich anpassen. Nur ja nicht aus der Reihe tanzen. So sein wie alle. Hauptsache der Familie ging es gut, alle waren optimal versorgt, konnten ihren Interessen nachgehen. Sie würde schon jedem den Rücken frei halten. Weinen konnte sie alleine, das musste niemand mehr sehen. Die eine Nacht musste reichen, für ein ganzes Leben. Und doch war sie auf eine gewisse Art dankbar, dass es diese Nacht gegeben hatte. Sie wusste jetzt wie es sich anfühlte - mit ihm. Sie hatte das bekommen, was sie sich seit über zwanzig Jahren gewünscht hatte. Ihre Körper im Zusammenspiel. Für sie eine wunderschöne Nacht. Er hatte nie gesagt, wie er es empfunden hatte. Sie liebte ihn von ganzem Herzen, würde es bis an ihr Lebensende tun. Manchmal wünschte sie sich, dass dieses Lebensende in nicht allzu weiter Ferne sein sollte. Was sollte noch kommen? Für sie würde es ewig so weitergehen. Ein Leben, in dem sie sich anpasste. Sie wollte nicht mehr, keine Reisen, keine Ausflüge, nichts mehr. Ohne ihn war alles sinnlos. Was also sollte sie noch hier auf dieser Welt?
Ihn fragen „Hast du eine Freundin?“ „Gibt es jemanden in Deinem Leben?“ – Sie brachte es nicht fertig. Hatte nicht den Mut dazu. Wie würde es sein, wenn die Antwort „ja“ war? Ihr totaler Zusammenbruch? Doch eine gewisse Erleichterung? Er war unerreichbar geworden? Wollte sie es wissen? Was würde es an ihren Gefühlen ändern? NICHTS. Sie wäre traurig. Würde aber die Hoffnung nicht aufgeben, irgendwann, irgendwann würde er zu ihr finden. Und sie lebten glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende. Ja wenn das so einfach wäre. Aber das Leben war nicht so. Das Leben konnte gemein sein. Konnte einem unendlich weh tun. Einen bis ins Innerste aufreißen Zurück blieb eine Wunde, die nicht heilen wollte, die immer und immer wieder aufbrach.
Und dann doch der Gedanke „Warum soll ich ihn nicht wieder sehen?“
Gedacht zu einem Zeitpunkt, zu dem es ihr sehr gut ging. Sie war sich ihrer selbst so sicher, sicher in ihrer Partnerschaft, in ihrem Leben. Warum nicht? Ein Treffen als Freunde. Einfach so, miteinander reden, essen gehen und gut. Seine Einwilligung – überraschend schnell. Die Vorfreude, die mit jedem Tag wuchs. - Drei Stunden, ganze drei Stunden und die mussten wieder reichen für einen unbestimmten Zeitraum. Vom Verstand aus betrachtet ein gelungener Abend. Ein Essen unter Freunden, das Versprechen, dass man sich wieder regelmäßiger sehen wollte. Der Abschied – unkompliziert, lachend – eine kurze Umarmung, dann ging jeder seinen Weg.
Für sie zurück in die Dunkelheit, ohne Schlaftabletten schlief sie in dieser Nacht nicht. Der nächste Tag, Tränen, abgrundtiefe Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit. Der Wunsch zu sterben übermächtig. Am Nachmittag ein sich mühsam abgerungener Spaziergang mit dem Hund. Tränen, immer wieder Tränen. Es hatte ihr den Boden unter den Füßen weggezogen. Sie hatte gefragt – nach einer neuen Liebe in seinem Leben. Vage die Antwort, ja es gab wohl jemand. Die Vorstellung von dieser Frau in seinen Armen – Horror. Ihrem Mann falsche Gefühle vorspielen? Sie wollte das nicht mehr. Der einzige Ausweg schien ihr ihr eigener Tod zu sein. All die Sackgassen, all die wirren Gedanken, die zu keinem Ende führten. Es tat so weh, so unendlich weh. Wer sollte helfen? Wer trösten? Unmöglich, jede Hilfe wäre gescheitert. Sie musste alleine da durch, einen Weg finden, sich aus dieser Situation zu befreien. Ein schwerer Stein, der in ihrem Magen lag. Traurigkeit, die ihren Körper und ihre Seele einhüllte. Stille! Allein! Kein Mensch demgegenüber sie sich anvertrauen konnte. Jeder Ausgang der zu einer Lösung führen sollte entpuppte sich als Sackgasse. Es gab sie schlicht und einfach nicht die eine Lösung. Das Leben musste gelebt werden, egal wie. Sie wollte ihn als Freund, gut der Abend gestern hatte es bewiesen, sie konnten es. Er konnte es. War so eine Freundschaft nicht mehr wert, als eine nicht gelebte Beziehung? Bekam sie dadurch nicht mehr, als manch andere Frau, die er einfach wieder aus seinem Leben wegschickte? Schwer damit umzugehen.
Und doch wollte sie es versuchen. Daran wachsen, an der Situation wachsen. Dran bleiben an ihm und trotzdem weitermachen, in ihrer Ehe, ihrem Leben.

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