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geschrieben 2017 von Accento (Accento).
Veröffentlicht: 15.04.2022. Rubrik: Lustiges


Edelgreiss I - Die Gefährtentragödie

„Haben nun, ach, den Radwanderweg, den Felsweg, den Wanderweg als auch den Holzweg eingeschlagen, doch nun, sag ich alter Thor, sind wir so weit als wie zuvor!"
„Schweig still, Mannsbild, und lies hier dies Holzschild!"
Der Mann Mitte 50 und graumelierten Haaren, er hieß Heinrich Faust, seinerseits Allround-Student, sah auf das Schild, auf dem ihn sein Kollege aufmerksam machte, kniff die Augen zusammen und las: „Edelweiss-Weg! Zur Hexenhütte!" Das von Spinnweben umhüllte Holzschild wies nach links.
Der Weggefährte des alten Mannes hatte blasse Haut und im Gegensatz dazu schwarze Augen und gleichfarbige Haare ... er hieß Mephistopheles, aber Freunde, welche sich großteils aus Politikern und Großindustriellen zusammenstellten, nannten ihn Mephisto. Dieser sagte nun theatralisch, indem er die Stimme und einen blassen Zeigefinger hob: „Diesen Weg haben wir zu gehen, du wirst schon sehen. Und können wir zu Fuße nicht mehr fortfahren, so müssen wir mit deinem Ford fahr..."
„Könnten wir nicht normales Deutsch sprechen, wie es in meiner Welt üblich ist?", sagte der Mann wütend.
„Welches Deutsch wäre das, Herr Doktor?"
„Hallo, i bims, 1 Fäustling, lol."
Nach diesem kleinen Deutsch-Kurs sah ihn Mephisto – zugegebenermaßen zurecht – verwirrt an: „Ihr Langzeitstudenten..."
***
„Weißt du, Herr Faust. Ich liebe die Alm. Sie ist einfach was anderes als die Hölle. Tagtäglich Leute sterben sehen. Der Urlaub auf der Welt tut mir gut." Doktor Faust und Mephisto kamen an einem Wanderweg an, dem sie nun entlanggingen, immer noch die Hütte suchend. Gänseblümchen zogen sich an ihnen vorbei. Geier kreisten über die ein oder andere Bank, auf denen schon die ersten Menschen Platz nahmen und mit Schweißperlen an der Stirn Mücken zählten. Sie kamen an einem Kruzifix vorbei, vor dem sich schon die ersten christlichen Kopftuchträger breit machten, es anhimmelten, beteten, küssten und liebkosten. Eine Reaktion, die Faust nicht zu verstehen vermochte, hatte er doch auch mit heißem Bemühen Theologie studiert.
„HIER!", schrie Mephisto und klatschte wie ein kleines Kind in die Hände, „die Hexenhütte! Die Hexenhütte!"
Tatsächlich hatten sie nun doch ihr Ziel erreicht! Unter dem blauen Himmel stand eine, ja, fast schon von der Gesellschaft im Stich gelassene Hütte, die, wenn sich Faust aus der Ferne nicht täuschte, zur Gänze aus Lebkuchen, Schokolade, Schlagsahne und sonstigen süßen Leckereien bestand. Diabetes lässt freundlich grüßen. Vom Lebkuchendach hing eine Plastikflasche mit Süßwasser, um die Wespen abzulenken...
Schnellen Schrittes gingen die zwei Höhenforscher auf die Tür zu. Nervös blickte Faust auf das Lebkuchen-Namensschild in Herzform, wie er es einmal am Oktoberfest in München sah. Drauf stand: Sexi Hexi.
Faust hob den Arm, klingelte mit Vorfreude in seinen Augen. Beim Glockenleuten zuckte er zusammen, bückte sich leicht nach vorne und hielt eine Hand nach hinten. Er hatte es wieder mit dem Kreuz. In seinem Alter aber bei Gott kein Wunder...
Mephisto klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter, als sich Faust von seinen Schmerzen wieder erholte: „Wenn dir die Hexe erstmal den Verjüngungstrank verabreicht, wird alles anders sein. Wollen wir wetten?"
„Ja! Modelagenturen werden mir die Türe einreißen, RTL wird eine Doku-Soap über mich drehen. Ich sehe schon die Überschrift in Punkt 12: Verrückter Wissenschaftler lässt sich 30 Jahre verjüngern. Und vielleicht – aber nur vielleicht – werde ich noch die Liebe meines Lebens finden, welcher ich schon mein halbes Leben nachhechle wie ein Hund seinen Schwanz."
"Was ist RTL?", fragte sein Kumpane, der sich mit menschlichem Journalismus nicht sonderlich auseinandersetzte - das verstand Faust, hat er schließlich auch Medienmanagement studiert.
„Es gibt Sachen, die man nicht mal in der Hölle wissen will", entgegnete er.
Stille. Nur hier und da hörten sie Vögel, die fröhlich Sucker for Pain pfiffen. Nostalgisch blickte Mephisto nach oben. Sein Song.
Dann hörten sie Schritte und die Lebkuchentür schob sich langsam beiseite. Heraus blickte eine wunderschöne Gestalt mit langen, brünetten Haaren, die bis zum wohlgeformten Pfirsichhintern (eigener Anbau, extragroße Nutzfläche) hingen, einem Dirndl und wunderschönen grünen Augen: „Wer sind Sie?" Faust war geflasht vom Anblick der jungen Maid vor sich. Wie alt mochte sie sein? 18? Jedenfalls jung genug, um interessant zu sein! Vielleicht etwas zu interessant...
„Ich b-bin H-Heinrich F-Faust," sagte dieser - vielleicht etwas weniger keck als gewollt - und wies mit seiner Hand auf dessen blasse Begleitung, „und d-d-er nicht!" Am liebsten hätte er sich für diese bescheuerte Aussage selbst geohrfeigt...
Das Mädchen: „Ihr sprecht schon fast wie ein Franzos'!"
Mephisto grätschte in die Konversation ein: „Mein Name ist Meph... äähm, ich meine, Jürgen."
Das Mädchen sah nochmals zu Faust. Dieser fragte sie, um irgendeine Konversation mit ihr zu führen: „Und du bist die Hexe?"
Dies schien das Mädchen allerdings nicht so gern hören, denn sie klatschte ihm eine mitten ins Gesicht, drehte sich um und schlug die Tür zu. Die Maid schloss die Augen. Wer mochte dieser Herr gewesen sein? Ein wenig aufdringlich, keck, stattlich und ohne Skrupel, gewiss, aber auch edel. Welch interessante Persönlichkeit!
Wenige Sekunden später wurde den beiden Wanderern nochmals die Tür geöffnet und eine alte Frau mit grauen Haaren, Falten und einen Kittel stand vor ihnen. Ihre Stimme krächzte wie ein am Bau liegengelassene Bohrmaschine, die pünktlich zum Feierabend abgelegt wurde: „Ah, Sie haben schon Bekanntschaft gemacht mit meiner keuschen Adoptivtochter Gretl, sehr schön. Ich habe schon gehört wer Sie sind und Sie schon längst erwartet."
Faust sagte mit erhobener Brust: „Nun, Frau Ähhm..?"
„Gertrude. Nennt mich Gertrude. Ich weiß, weshalb ihr hier seid, aber ihr müsst auf den Verjüngungstrank noch ein bisschen warten, genauer gesagt 50 Stunden. Die Hauptessenz muss noch ruhen, ehe er seine Wirkung voll und ganz aufnimmt. Aber ihr könnt doch inzwischen bei mir bleiben und übernachten. Ich gewähre euch Asyl." Die Hexe und Faust lachten.
Nur Mephistopheles verstand nur Bahnhof: „Was ist Asyl?"
„Etwas, das es gibt, weil es Leute wie dich gibt."
***
Die beiden fühlten sich ungemein wohl im Garten der Hexe, die sich im Hinterhof der Lebkuchenhütte befand. Dieser bestand aus einer großen grünen Wiese, welche voll war von Löwenzahn, Sträuchern und einem Schokoladebeet. Besonders wohl fühlte sich Faust, der stöhnend auf den Gartentisch Platz nahm. Von seinem Platz aus hatte er einen optimalen Ausblick auf die Berge und die Sonne, die dahinter gerade unterging. Ein Grund seines Wohlbefindens war wohl, weil sich auch Gretl zu den zwei Wanderern gesellte und Fausts Ausrutscher vorhin entschuldigte. Gertrude kam an den Tisch, der nun voll war wie Charlie Sheen am Freitag um 02:46 Uhr. Ein einziges „Tischlein, deck dich!" genügte und der Holztisch füllte sich: Milka-Schokolade mit Löwenzahn-Geschmack, einen Schoko-Nikolaus (Mephisto genoss jeden einzelnen Bissen) und etliche Sorten Bergkäse.
Als sie sich erkundigte, ob bei den Gästen denn alles in Ordnung sei, ging sie wieder in ihre Hütte hinein in die Hütte und an den Computer ... vermutlich, um ihren Facebook-Status zu aktualisieren.
„Sag", fragte Gretl, um eine Diskussion zu beginnen, „hast du eigentlich studiert? Oder arbeitest du?"
„Habe nun, ach, Juristerei, Medizin, Soziologie ..."
Mephisto seufzte genervt: „Jetzt geht das schon wieder los!"
„Ja, wenn es so ist!"
„Ach," Gretl wandte sich zu Mephisto, der gerade den Kopf eines Schoko-Nikolos abbiss, „und du bist ja der Geist, der stets verneint?"
"Ja!"
***
Als sich Mephisto schon innerhalb einer halben Stunde so satt gefressen hat, dass er sich frühzeitig ins Bett bequemen musste, ließ er die beiden alleine ... allerdings nicht, ohne zuvor noch Faust verschmitzt zuzuzwinkern. Ein Zwinkern, welcher so viel sagt wie: „Hol sie dir!".
Gretl sah Faust in die Augen. Ein solch schönes Grün, als schien er darin zu eintauchen und ertrinken zu wollen.
Sie sah gedankenverloren in den Garten und wurde sehr persönlich: „Ich bin eigentlich gar nicht hier aufgewachsen, Herr Faust. Ursprünglich habe ich mit meinem Bruder bei unseren leiblichen Eltern gelebt, ehe sie uns verstoßen hatten, weil sie ein Bordell eröffnen wollten." Ihre Augen wurden feucht ... spätestens jetzt wäre Faust darin wohl ertrunken.
„Genug der Förmlichkeiten, lass uns duzen! Sag einfach Heinrich zu mir! Doch, erzähle mir: wo ist dein Bruder? Ich habe ihn hier noch nicht zu Gesicht bekommen."
„Der," ihre Augen füllten sich mit mehr Tränen, „wurde gegessen!" Eine Antwort, die man eigentlich nicht so oft auf diese Frage bekommt.
Des Fausts Augen wurden dementsprechend groß: „Gegessen? Das ist ja schrecklich! Von wem?"
„Von ihr", sagte Gretl leise und machte eine Handbewegung in die Hütte.
„Heißt es in den Märchen nicht, dass ihr euch mithilfe einer ausgefuchsten Finte befreien konntet?"
Gretl verdrehte ihre feuchten Augen und seufzte: „Pff, Märchen. Das war die jugendfreie Version. Die wollen nur, dass ihr das denkt!"
Das leuchtete Faust ein, hat er doch schließlich auch Politik studiert.
Die Sonne war nun zur Gänze verschwunden, gleich wie die Hexe Gertrude in der Hütte, die sich von ihrem Facebook-Profil ausloggte, den Computer ausschaltete und ebenfalls ans Bettgehen dachte. Die Berge vor ihnen nahmen die abendrötliche Farbe an, die die Sonne dreist abwies ... Resteverwertung!
Diese Szene hatte er aus Liebesfilmen immer als kitschig und schmachtend empfunden, aber im echten Leben würde der Mann den Film am liebsten pausieren. Augenblick, verweile doch, du bist so schön, dachte er und grinste. Gretl näherte sich Faust, Faust näherte sich Gretl. Unbewusst. Die beiden ließen sich nur von ihren Gefühlen geleiten. Dann waren sich die beiden so nahe, dass der Doktor ihren Erdbeerlippenstift riechen konnte. Noch etwas näher und er würde daran schmecken können.
„Sag", flüsterte Gretl und schloss ihre Augen, „wie hast du's mit Erdbeeren?"
Immer diese Gretlfragen, dachte der Doktor lachend.
Dann kamen sie sich näher...
***
In den nächsten Tagen passierte allerdings nichts Besonderes, außer, dass Faust in den letzten 45 Stunden bei Gertrude dank massiver Anti-Diät, welche aus Süßigkeitenzufuhr bestand, mindestens maximal acht Kilo zugenommen hatte. Grundsätzlich fühlte sich Faust wie im siebten Himmel: die täglichen Almspaziergänge taten seiner Seele gut, die Liebkosungen mit Gretl nicht unbedingt weniger und in wenigen Stunden würde sein Verjüngungstrank fertig sein, den er doch so dringend nötig hatte...
Auf der Terrasse im Eingangsbereich des Lebkuchenhauses, indem sich Mephisto und Faust gegeneinander beim Quizduell herausforderten. Es fehlte Faust nur noch eine Frage auf den achten Sieg in Folge (da sich die Fragen alle auf seine Welt bezogen, hatte Mephisto so gut wie keine Chance), da hörten sie einen lauten Schrei aus der Hütte, sodass einige Vögel mindestens gleich kreischend von den Dächern flogen. Wer konnte so geschrien haben? Gertrude? Gretl? Die Lebensmittelpolizei? Besorgt wollte Faust aufstehen, doch eine schwitzend-hysterische Gretl lief mit einem weißen Streifen auf Faust zu. Panisch sagte sie: „D-doktor. Wir müssen fliehen! Sofort!"
„Gretl? Was ist los? Warum?" Das Mädchen ließ sich neben Faust fallen.
„Du-du hast mir einen Braten in den Ofen geschoben!" Ruhe. Der Doktor konnte es nicht glauben und müsste diese Nachricht verdauen. Konnte das sein? Oder war es nur ein Traum? Ein Albtraum von zu viel Schokolade? Er hoffte entweder das, oder, sich verhört zu haben.
Nur Mephisto kam mit den Metaphern der Menschheit noch nicht so richtig zurecht, denn er musste stirnrunzelnd nachfragen: „Er hat was? Das wäre ja gut! Teufelsbraten ist mir am liebsten..."
Gretl hielt die Hand vor ihrem Gesicht, unwissend, ob sie sich freuen oder in Panik ausbrechen soll: „Nein, er hat meine Blüten bestäubt!"
Mephisto war immer noch blank.
„Ich bin schwanger!"

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