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3xhab ich gern gelesen
geschrieben 2022 von Christine Todsen.
Veröffentlicht: 14.04.2022. Rubrik: Nachdenkliches


Gebürtig

Früher, als Hausgeburten die Regel waren, war alles klar. Man wurde in dem Ort geboren, in dem die Eltern wohnten, und wuchs dort auch auf. Also zum Beispiel in Altdorf oder in Neustadt. Und dann war man gebürtiger Altdorfer (m/w/d) beziehungsweise Neustädter (m/w/d).

(Warum die eine Ortsnamen-Ableitung mit Umlaut gebildet wird und die andere nicht, weiß ich nicht, aber das tut auch nichts zur Sache.)

Heute dagegen kommen die allermeisten Babys in Kliniken zur Welt. Diese befinden sich oft nicht am Wohnort der Familie, sondern in einer kilometerweit entfernten Stadt, zu der die Kinder nach der Geburt nie wieder eine Beziehung haben werden.

Wenn das Kind eines Altdorfer Ehepaares im Krankenhaus von Neustadt geboren wird und danach seine ganze Kindheit und Jugend in Altdorf verbringt – ist es dann trotzdem gebürtiger Neustädter (m/w/d)?

Als Geburtsort wird es auf jeden Fall immer Neustadt angeben müssen, also den Ort, der auf seiner Geburtsurkunde steht.

Schwieriger ist es mit dem Begriff „gebürtig“, der noch aus der Zeit stammt, in der Geburtsort und elterlicher Wohnort identisch waren. Da er rein sprachlich von „Geburt“ kommt, muss er sich logischerweise auf den Geburtsort beziehen. Vom Inhalt her bezieht er sich jedoch mindestens ebenso auf das Umfeld, aus dem jemand stammt.

Da der Wohn- und der Geburtsort heute zwar oft nicht identisch sind, aber doch meistens in derselben Region liegen, kann jemand, der zum Beispiel in der Klinik Husum geboren wurde und im nahegelegenen Heimatdorf der Eltern aufwuchs, problemlos sagen: „Ich bin gebürtiger Nordfriese.“ Hier ist „gebürtig“ unproblematisch, da beide Orte in Nordfriesland liegen.

Widerstrebt es dagegen dem lokalpatriotischen Spross einer Altdorfer Familie, sich als „gebürtigen Neustädter“ zu bezeichnen, dann kann er eine entsprechende Frage vielleicht wie folgt beantworten: „Ich bin Altdorfer, obwohl ich im Krankenhaus von Neustadt geboren werden musste, weil Altdorf leider keine Klinik hat!“

Gerade wegen dieser Probleme vermute ich, dass das Wort „gebürtig“ in Zukunft entweder ganz aus dem Sprachschatz verschwindet oder nur noch auf Regionen oder Staaten bezogen wird. Wenn das Kind einer Afroamerikanerin und eines Asiaten in Europa geboren wurde und in Australien aufwächst, dann ist es halt „aus der Welt gebürtig“!

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