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7xhab ich gern gelesen
geschrieben 2022 von die Juditha.
Veröffentlicht: 13.05.2022. Rubrik: Menschliches


Der gruselige Mann im Wald

Auf der Suche nach meinem Hund streife ich durch das dichte Unterholz des Waldes vor unserer Stadt. Er hat sich losgerissen, als er einen Hasen sah. Nun suche ich schon seit einer halben Stunde in diesem Gestrüpp. "Hachherrjee!" rufe ich vor Schreck mit einer viel zu hohen Stimme für mich laut aus und mache einen Schritt zurück, wobei ich Aaron (so heißt mein Hund) augenscheinlich auf die Pfote trete, denn er jault auf. Vor steht eine Gestalt, wie ich sie noch nie zuvor gesehen habe. Das Gesicht ist komplett entstellt. Nichts ist da, wo ich Augen, Nase und Mund als erstes vermuten würde. Der Kopf ist viel zu groß für seinen Körper und die Augen quellen hervor. Sein Körper ist verdreht und zeigt auf die Lichtung mit der Holzhütte, wo unser Motzki wohnt. (Ein Emirit, dem die meisten – eigentlich alle – meiner Bekannten aus dem Weg gehen.) Seine Beine sind so stark behaart, dass sie mit Fell bedeckt scheinen. Seine Füße so klein, als wären sie Hufe. Voller Herzrasen nehme ich Aaron wieder an die Leine. Dafür brauche ich drei Versuche. Meine Hände zittern so sehr, dass ich den Karabiner nicht geöffnet bekomme. Ich zeige Aaron, dass ich mich freue, dass er wieder da ist, indem ich ihm kurz hinter den Ohren kraule. Dafür musste ich vorher tief durchatmen, mein lautes Herzpochen sich beruhigen lassen und das Zittern am ganzen Körper auch. Als ich wieder aufblicke, erkenne ich, dass es eine Statue aus bemaltem Holz ist. Voller Schwung, wie in der Bewegung angehalten. Davon nun wieder beeindruckt gehe ich mit Aaron zur Hütte und begrüße Motzki: "Guten Tag Herr Lehmann, kennen Sie schon die unglaubliche Statue am Eingang der Lichtung?" "Selbstverständlich! Die hab ich gehauen." grummelt er. "Warum so ein gruseliges Fabelwesen?" frage ich zurück. "Man kann ja wohl schlecht nur Elfen hauen, oder?" motzt er zurück. "Wie ich sehe, haben sie meinem Hund Wasser gegeben." wechsle ich höflich lächelnd das Thema und weise mit der linken Hand auf den Hunde-Trinknapf. "Das war sehr freundlich von Ihnen." Motzki schaut mich an, legt den Kopf dabei schief. In seinem Blick liegen Argwohn, Zweifel und Hoffnung gleichermaßen: "Mit Bildhauerei vertreibe ich mir die Zeit, wenn ich gerade nicht bete oder meditiere. Wollen Sie noch mehr sehen?" Freudig überrascht über eine spontane Kunstführung stimme ich zu und wir gehen hinter seine Werkstatt. Als Ausstellungsraum dient ein riesiger Pavillon mit Plexiglasdach. Dort gibt es gelbe, grüne, blaue, violette Feen, Nixen, Zentauren, Greife, dass Joan K. Rowling neidisch geworden wäre. So etwas Phantasievolles hab ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen. Zwischen den Figuren sind Windspiele aus gläsernen Muscheln und Steinen. Schon eine seichte Brise lässt die Fäden tanzen und den ganzen Raum in Glanz strahlen, schillern und flackern. Kurz kommt es mir so vor, als würden sich die Figuren bewegen und miteinander kommunizieren. Und ihre Gesichter sind stolz, erfreut, traurig oder neugierig. Ich wag es kaum zu atmen vor Begeisterung. Dieses eindrucksvolle Schauspiel lässt mich staunen, schweben und mich erden. Alles gleichzeitig. Für mich ist Herr Lehmann jetzt Herrn Lehmann, der begnadete Bildhauer und nicht mehr der Motzki.

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von Ohnelly am 13.05.2022:
Kommentar gern gelesen.
Die Szene im Pavillon hast du zauberhaft beschrieben, ich stand in meiner Vorstellung wirklich mittendrin, um mich herum Gefunkel. Hatte schon überlegt, ob er den verdrehten Kerl im Wald zur Abschreckung so gestaltet hat. Manchmal wollen Eremiten ja einfach nur ihre Ruhe haben. Lieben Gruß! Conny




geschrieben von Gari Helwer am 14.05.2022:
Kommentar gern gelesen.
Schöne Geschichte! Man darf die Leute eben nicht zu schnell in eine Schublade stecken (bildlich natürlich...), manchmal sind sie ganz anders, als wir dachten! ;-)




geschrieben von die Juditha am 16.05.2022:

vielen Dank Ohnelly. Das freut mich sehr. vielen Dank auch dir, Gari Helwer. Ich bin sehr froh, dass diese Eindrücke in euch geweckt wurden. Darauf wollte ich auch hinaus.

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