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geschrieben 2022 von AnnieVomAmt.
Veröffentlicht: 29.05.2022. Rubrik: Unsortiert


Hallo

Sie saß da und schaute ins Leere.
Ihre Arme und Beine wurden langsam kalt.
Ihr Blick fiel kurz auf ihre Hände.
Irgendwie wirkten die grade sehr weiß.
Sie suchte in ihren Gedanken nach Vergleichen für diesen Farbton, um sich von dem Gegenstand abzulenken, den ihre Hände hielt.
Trotzdem registrierte ein kleiner Teil ihres Gehirn, dass dort zwei Striche zu sehen waren.
Ein hysterisches Lachen stieg in ihr auf… ein Lachen ohne Freude, oder nicht?
__
Sie waren drei Jahre zusammen, als sie begannen über eine gemeinsame Zukunft zu sprechen.
Drei Jahre gefüllt mit Lachen, Lieben und Reisen.
Sie wollten beide alles… alles Sehen, alles Schmecken, alles Fühlen, alles Erleben.
Sie waren jung. Ihnen gehörte die Welt.
Doch mit diesem Gespräch über die Zukunft änderte sich etwas.
Er liebte den Work hard, Play Hard Lifestyle und die Freiheit, die er dabei spürte.
Er mochte ihr Leben sehr und wollte genauso weitermachen.
Doch in ihr wuchs der Wunsch nach Ruhe, nach einem Hafen für sich und ihre Familie. Ja, sie wünschte sich eine Familie mit all den kitschigen Bildern, die sie seit frühster Kindheit kannte, mit Haus und Hund und mit … Kindern.
___
Es überraschte sie selbst wie stark ihr Wunsch nach einem eigenen Kind in ihr erwachte.
Sie war nie die häuslichste gewesen.
Während ihre Freundinnen mit Mitte zwanzig alle heirateten und Kinder bekamen, nur um mit Mitte dreißig dann mit Kind, aber ohne Mann dazustehen., hatte sie sich insgeheim überlegen gefühlt mit ihrer blühendem Karriere.
Nach dem Studium arbeitete sie 80-100 Stunden die Woche, baute sich ihr Netzwerk auf und machte sich einen Ruf als knallharte Verhandlerin.
In den paar Jahren, die die Ehen ihrer Freundinnen hielten, lebte sie in Spanien, auf Cuba, in Japan und in Tunesien.
Sie war erst einige Monate in der alten Heimat, um tatsächlich seit einer Ewigkeit wieder einige deutsche Projekte zu betreuen, als sie ihn traf.
___
Er war Geschäftsführer eines Start- Ups mit dem Sie einen Exit verhandelte.
Er war selbstbewusst ohne arrogant zu sein.
Seine ruhige, überlegte Art wurden von dem Funkeln in seinem Augen lügen gestraft.
Vom Anfang an, sah er sie als ebenbürtige Partnerin an, nicht als Bedrohung oder kleines Mädchen.
Das gefiel ihr.
Außerdem ergänzten sie sich so gut.
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Nach dem Gespräch ging es sehr schnell bergab zwischen ihnen.
Plötzlich störte sie eigentlich alles an dem jeweils anderen.
Es verletzte sie, wie dramatisch diese Veränderung zwischen Ihnen verlief.
Vor einer Woche trafen sie dann ihr letzte gemeinsame Entscheidung… oder?
___
Sie erwachte aus ihrer Starre als sie spürte, dass ein Tropfen auf ihrem Oberschenkel aufschlug.
„Oh Gott, wie lange sitze ich jetzt auf der Toiletten? Bin ich festgefroren? Und warum weine ich?“, überschlugen sich ihre Gedanken.
Instinktiv schüttelte sie ihren Kopf, dann hielt sie überrascht inne.
„Glaube ich das nicht zu schaffen? Natürlich schaffe ich das. Das weiß ich“. Die letzten zwei Sätze sprach sie laut aus.
Das riss sie endgültig aus ihrer Starre.
Es gab weder Grund noch Zeit für Trübsal. Sie musste einen kühlen Kopf bewahren. Zuerst galt es einen Termin beim Frauenarzt zu machen, danach musste sie ihre Optionen auflisten und am Nachmittag stand eine Vertragsverhandlung an, die nach einer entspannten, aber effektiven Leitung verlangte.
___
Im Verdrängen des rosa Elefanten in ihrem Leben wurde sie sehr schnell zu einer Meisterin.
Der Termin beim Frauenarzt konnte erst in drei Wochen sein stattfinden. Vorher, so hatte man sie informiert, könnten es keine aussagekräftigen Ergebnisse festgestellt werden.
Daher warf sie sich wieder in ihr bekanntes Leben. Die Verhandlung lief reibungslos und brachte ihr sogar noch Folgeaufträge, die sie sehr auf Trab hielten.
Erst in dem Wartezimmer ihres Frauenarztes wurde ihr bewusst, dass sie dieses Gespräch gedanklich immer weggeschoben hatte. Sie war nicht vorbereitet.
Schnell griff sie zum Handy und googelte „6. Schwangerschaftswoche“.
Da stand, dass in der 6. Schwangerschaftswoche bereits ein Herzschlag festzustellen ist.
Ein Herzschlag?
Ihre Gedanken begannen zu rasen.
Das Herz… das ist doch gleich bedeutend mit dem Leben. Es ist das Symbol des Liebe. Was würde er dazu sagen? Wie kann er gegen das Herz diskutieren? Wie könnte er das Herz abstreiten? Wie wollten sie das gemeinsam aber getrennt schaffen? Wieso sollten sie das gemeinsam schaffen?
Sie merkte wie die Panik in ihr aufstieg, da wurde sie zum Arzt gerufen.
___
Sie saß auf der Couch – regungslos.
Um sie herum senkte sich die Nacht.
In ihrem Kopf wirbelten zwei Fragen in Dauerschleife „Was nun? Wie sage ich es ihm?“
Sie wusste nicht, wie sie nach Hause gekommen war.
Es war ihr auch schleierhaft, ob das wichtig war.
Wichtig war eigentlich grade … nichts.
Es gab nicht, also nicht nichts, aber es gab keinen Herzschlag, also keinen richtigen, oder ach sie wusste es auch nicht.
Irgendwas hatte ihr Frauenarzt schon festgestellt, aber das war kein Herzschlag, wie sie sich einen solchen vorgestellte hatte; kein Dungedung oder dadong oder so was.
Vielleicht lag es ja an ihr. Vielleicht hatte sie es einfach nur falsch verstanden. Vielleicht gehörte sich das ja so.
Ihr Arzt sagte, dass sei jetzt noch keine definitive Aussage zu irgendwas und das sei auch normal.
Er entließ sie mit einer Krankschreibung und dem Hinweis, dass sie in zwei Wochen nach dem nächsten Termin schlauer sein werden.
Auf ihren Einwand bekräftigte der Arzt nochmal, dass diese Vorsichtsmaßnahme die beste Entscheidung sei.
Konnte sie aus Vorsicht zwei Wochen still auf der Couch sitzen bleiben?
___
Sie hatte nie verstehen können, was Menschen meinten, wenn sie sagten, dass es eine Phase in ihrem Leben gab, in der sie nur existierten.
Diese Formulierung war von ihrem Leben soweit weg wie die Sonne vom Pluto.
Sie hielt diese Menschen für melodramatisch. Manchmal hatte sie sich beim inneren Augenrollen ertappt und ihr schoss auch der Gedanke durch den Kopf, dass sich diese Leute doch einfach Happy- Pills verschreiben lassen sollten.
Denn sie war davon überzeugt, dass das Leben mit allem, was es zu bieten hatte, jeden aus seinem Blues rausholen könnte.
Man müsse es nur wollen.
Sollte es solche Pillen tatsächlich geben, dann waren sie in ihrem Leben nicht erhältlich.
Ihre Überheblichkeit kam ihr mittlerweile so falsch und unwissend vor.
___
Sie fühlte sich als hätte sich in der Arztpraxis vor zwei Wochen eine dicke Watteschicht um sie herum gelegt, die verhinderte, dass sie auch nur einen klaren Gedanken fasste oder irgendwas außer essen und schlafen tat.
Zwei Wochen in denen ihr Leben irgendwie auf Pause stand.
„Das mit der Schonung habe ich auf Pro Level erledigt“, dachte sie mit einem traurigen Lächeln als sie die Arztpraxis wieder betrat.
___
„Ich muss es ihm sagen! Aber muss ich es ihm wirklich sagen?“ immer und immer wieder gingen ihr die Fragen im Kopf herum.
Das machte sie verrückt, aber vor allem ärgerte sie sich über sich selbst, dass sie überhaupt darüber nachdachte.
Sie hatte sich immer für eine moralisch sehr integre Person gehalten.
Für sie war es eine unbestreitbare Tatsache, dass Mann und Frau zu ihren Verantwortungen stehen müssen.
Und ihr gingen die Wahrung von Rechten aller, Frauen, Männern und Kinder über alles.
Ja, es konnte Umstände geben, bei denen es besser ist, nicht als Familie zusammen zu bleiben.
Ja, für manche Kinder ist eine Adoption tatsächlich das Versprechen für eine bessere Zukunft.
Doch das entband die Eltern nicht den Kindern Zugang zu ihren Wurzeln zu geben.
Jeder, der Kinder in diese Welt setzt, sollte bei Geburt einen Brief, ein Video oder eine Kassette für das Kind hinterlegen, um genau dieser Verantwortung nachzukommen.
Aber dieser Gedanke würde nur dann funktionieren, wenn auch immer beide Elternteile von dem Kind wussten.
Und das grade sie sich jetzt vor einem Gespräch mit ihm drückte, gab ihr das Gefühl scheinheilig zu sein.
In den letzten Wochen hatte ihr Gedanken so oft ihre so sicher geglaubten Überzeugungen in Frage gestellt.
Sie hatte eine Seite von sich entdeckt, von der sie nicht wusste das sie existierte. Sie hatte viel über sich nachgedacht.
Und genau deswegen konnte und wollte sie sich selbst nicht enttäuschen.
Also griff sie zu Stift und Zettel:
Hallo,
ich weiß zwar grade nicht, wo wir stehen.
Trotzdem muss ich dir etwas mitteilen.
In den letzten Tagen unserer Beziehung haben wir sehr klar gesehen, dass die Erfüllung meines tiefsten Wunsches dein größtes Grauen wäre… ich schwanger von dir, unser gemeinsames Kind.
Beinahe hatte sich mein Wunsch erfüllt, doch heute habe ich erfahren, dass unser Kind nicht am Leben ist, ich habe es verloren...

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von Nordlicht am 31.05.2022:
Kommentar gern gelesen.
Schön geschrieben. Die Zweifel und inneren Diskussionen sind anschaulich und verständlich rübergekommen.




geschrieben von AnnieVomAmt am 31.05.2022:

Dankeschön.

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