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5xhab ich gern gelesen
geschrieben 2022 von Christine Todsen.
Veröffentlicht: 10.06.2022. Rubrik: Menschliches


Der Geistesblitz der Standesbeamtin

„Warum wollen Sie den Vornamen Ihres Töchterchens denn ändern lassen, Frau Grosse?“, fragte die Standesbeamtin. „Sophie ist doch schön.“

Miriam Grosse, die den Kinderwagen mit dem Baby neben sich gestellt hatte, seufzte. „Ja, aber… Die Sophie, nach der ich die Kleine genannt habe, war meine beste Freundin – dachte ich! – und ist in Wirklichkeit das falscheste Biest, das man sich vorstellen kann! Erst jetzt habe ich herausgefunden, dass sie während meiner Schwangerschaft ein Verhältnis mit meinem Partner angefangen hat! Deshalb war er gleich einverstanden, als ich den Namen Sophie für unser Kind vorschlug! Natürlich habe ich ihn sofort rausgeworfen, als ich dahintergekommen bin. Ich ziehe die Kleine jetzt eben allein groß. Und da möchte ich, dass sie einen anderen Namen bekommt!“

„Hm…“ Die Standesbeamtin überlegte einen Augenblick, bevor sie weitersprach. „Als Frau kann ich Sie absolut verstehen! Aber das deutsche Namensrecht ist sehr streng und erlaubt Namensänderungen nur in Ausnahmefällen. Könnten Sie vielleicht versuchen, bei dem Namen Sophie nicht mehr an dieses Biest zu denken, sondern an eine bewundernswerte Persönlichkeit? Zum Beispiel Sophie Scholl?“

„Das habe ich schon versucht. Aber es nützt nichts. Ich hatte das Kind ja gerade nach meiner angeblichen Freundin genannt. Sie sollte auch Patin werden. Der Name ist für mich untrennbar mit dem Biest verbunden!“

Die Standesbeamtin war hin- und hergerissen. Im Geiste überflog sie die Möglichkeiten. Bestand die Gefahr, dass die Mutter das Kind wegen des Namens nicht würde lieben können? Das wäre vielleicht einer jener Ausnahmefälle, die eine Änderung zulassen. Andererseits: was war mit dem Vater des Kindes? Hatte er beim Vornamen ein Mitspracherecht? Aber wenn ja, und wenn er den Namen Sophie würde beibehalten wollen, dann würde die Mutter gewiss argumentieren, dass er dies nur wegen seiner Affäre tue…

Plötzlich kam der Beamtin ein Geistesblitz. „Frau Grosse, der Name Sophie kommt doch von Sophia. Das ist Griechisch für ‚Weisheit‘. Sagen Sie sich einfach: ‚Das Biest, das mich auf so unfassbare Weise hintergangen hat, trägt den Namen Sophie zu Unrecht! Ich will meine eigene kleine Sophie so erziehen, dass sie ihrem Namen Ehre macht!‘“

Überrascht schaute Miriam Grosse sie an. „Ja, was Sie da sagen… so könnte man es vielleicht sehen…“

„Nicht wahr?“ Die Standesbeamtin war merklich erleichtert, hatte sie doch schon eine Unmenge an Arbeit auf sich zukommen sehen. Sie beugte sich zu dem Baby im Kinderwagen hinunter. „Alles Gute, kleine Sophie – mögest du mindestens so alt werden wie deine Namensvetterin Miss Sophie in Dinner for One – Der 90. Geburtstag!“

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von Stephan Heider am 10.06.2022:
Kommentar gern gelesen.
Die Standesbeamtin könnte auch eine Sophie sein. Sehr gern gelesen. LG Stephan




geschrieben von Gari Helwer am 11.06.2022:
Kommentar gern gelesen.
Eine wahrhaft weise Standesbeamte! ;-)

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