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geschrieben von Bernhard Montua.
Veröffentlicht: 27.10.2022. Rubrik: Unsortiert


Selbstfindung

Die Selbstfindung
von
Bernhard Montua

Kennen sie das merkwürdige Gefühl, wenn der Friseur seine Arbeit mit Ihren Haaren beendet hat und ihnen mittels eines Spiegelbildes von ihnen, das Ergebnis seiner Arbeit auf ihrem Hinterkopf präsentiert? Ja ich glaube, sie kennen das.
Sie meinen zu wissen, dass dieser gezeigte Hinterkopf der Ihrige ist, aber er kommt ihnen fremd vor. Es könnte auch sein, das es ein anderer Hinterkopf ist und sie würden es nicht merken, weil sie diese Seite ihrer Person nicht so oft zu Gesicht bekommen.
Es wäre möglich, dass der Friseur ihnen nur ein Bild eines aller Welthinterkopfs zeigt. Ähnlich, wenn auch nicht so stark, verhält es sich mit der Betrachtung ihres Profils. Es kommt ihnen zwar bekannter vor als ihre Rückseite, doch auch dabei bleibt ein Restzweifel bestehen, ob dieses seitliche Bild wirklich ihre rechte- oder linke Seite zeigt. Ganz zu Schweigen von der Vogelperspektive, oder der Sicht von unten auf ihre Person, da sinkt der Wiedererkennungswert gegen null. Mich begann diese Unsicherheit, mehr und mehr zu beunruhigen. Ich beschloss, mich nicht mehr auf die gelegentlichen gezeigten Spiegelbilder meines Friseurs zu verlassen, sondern meine unbekannten Seiten selbst zu erforschen und mich als komplettes Wesen kennenzulernen.
Dieser Entschluss war überfällig denn ich war mir meiner selbst nicht mehr sicher.
Ich hatte es immer wieder herausgezögert, ahnte ich doch, dass die Umsetzung einer solchen Entscheidung, weitreichende Konsequenzen haben würde. Ein weiteres Problem war, konnte ich diesen Spiegelbildern überhaupt trauen? Mir fiel ein, dass ich gelesen hatte, dass Spiegelbilder die Wirklichkeit seitenverkehrt wieder geben, also falsch sind! Und schließlich weiß jedes Kind, dass man einer Eulenspiegelei nicht trauen kann, und sagt man nicht auch, es ist nur eine Spiegelung, also eine Fata Morgana. Die Vorstellung, dass mein Abbild nur eine unwirkliche Luftspiegelung ist, behagte mir partout nicht.
Dann machte ich eine wirklich albtraumhafte Erfahrung. Bei dem Besuch eines Jahrmarktes sah ich das Schild, »Das Spiegelkabinett des Schreckens.« Was ich dort sah, war so entsetzlich, das es mir schwerfällt davon zu berichten, ich will es für sie, denn noch tun. Wenn diese Spiegelbilder, die ich dort von mir sah, die Abbilder meiner selbst gewesen sind, dann bleibt mir nur der Unverzügliche Freitod.
Mal war ich dreimal so dick dargestellt, mal dünn wie eine Nadel und ein anderes Mal war nur noch ein komplettes Zerrbild von mir zu sehen. Dieses Spiegelkabinett hatte mir den Spiegel des Grauens vor das Gesicht gehalten. Verängstigt und schweißgebadet verließ ich das Kabinett und fuhr nach Hause, dabei schaute ich ständig in alle drei Rückspiegel. In mir wuchs der Verdacht, dass man diesen Spiegeln nicht trauen kann. Dann erinnerte ich mich an die Geschichte von dieser eitlen Königin, die ihren Spiegel befragte, wer wohl die schönste im Land sei. Der Gedanke, dass mein Spiegel entscheiden soll, wer wie aussieht, gefiel mir überhaupt nicht.
In den nächsten Tagen achtete ich verstärkt auf Spiegel aller Art in meiner Umgebung. Ich betrachte mein Spiegelbild, in Schaufensterscheiben, in den Scheiben der parkenden Autos und im Wasserspiegel des kleinen Sees im Stadtpark; das aber in dem Moment verschwand, als ein Junge einen flachen Kieselstein in ins Wasser warf. Auch keine schöne Vorstellung, dass ein kleiner Stein ausreicht, um mein Antlitz auszulöschen.
Ich traf einen Mann mit einer verspiegelten Brille und sah mich selbst in ihm. Das hatte schon etwas von großer Philosophie. Jetzt verstand ich auch, warum die Indianer, als sie kleine schlechte Spiegel, gegen wertvolle Biberpelze getauscht hatten und sich in den Spiegeln betrachteten konnten, sich hemmungslos von der anderen getauschten Ware, dem Feuerwasser, betranken.
Mir war, wie ihnen, auch bekannt, dass Frauen besonders neugierige und misstrauische Wesen sind und deshalb, öfter als Männer, in den Spiegel schauen. Aber als ich gelesen habe, dass die Keltinnen in der Antike, mit einem Spiegel als Grabbeigabe, beigesetzt wurden, war ich doch ein wenig überrascht. Eitel selbst im Tode! Aber was um Himmelswillen erhoffen sich diese Damen, dann dort zu sehen? Ob die Knochen richtig liegen?
Ich beschloss nicht nur mein äußeres Spiegelbild zu ergründen, sondern auch mein Inneres. Ich meldete mich zu einer Magen- und Darmspiegelung an. Die dabei entstandenen Spiegelbilder, entsprachen auch nicht wirklich meiner Vorstellung von mir.
Dann sollte Hightech weiter helfen und ich machte im MRT für einen unverschämt hohen Preis, einen Körper Scann. Ich kann ihnen aber sagen, das waren Bilder!! Nur unscharfe Knochen, einfach nur schrecklich.
In meiner verzweifelten Suche, nach meiner 360 Grad Ansicht, fragte ich meine Frau, wie ich denn von hinten und überhaupt so aussehen würde? Etwas verwundert sagte sie zärtlich: »Du siehst mal wieder, richtig gut aus, mein Schatz.«
Aha, also war es ein Ausnahmezustand, dass ich »mal wieder« gut aussah. Zwei Tage später, ich hatte mich nicht rasiert, stellte ich die gleiche Frage und bekam zur Antwort:
»Du siehst wie ein Penner aus«, bekam ich knapp mitgeteilt.
Das hieß doch, dass mein Erscheinungsbild von dem jeweiligen Gemütszustand meiner Frau und der Verfassung unserer Zweierbeziehung abhing. Auch nicht wirklich eine zuverlässige Quelle. Also Schluss mit der Spiegelfechterei. Ich zog mein Fotoalbum zurate. Über die Jahrzehnte war eine Vielzahl von Abbildungen von mir zusammengekommen. Da waren Bilder aus einer Zeit, von der man mir glaubhaft versichert hatte, dass ich dieser kleine sabbernde Knirps sei, der dort abgebildet war, natürlich nur frontal aufgenommen. Es waren keine Fotos von meiner Rückseite und nur wenige schemenhafte Fotografien von meinen Seiten zu finden. Ganz zu schweigen, von Aufnahmen aus der Vogel- oder Froschperspektive.
Zum Schluss meiner Recherche, stellte ich mir die Frage, wo bleibe ich, wenn das Licht verlöscht? Eine grade zu, existenzielle Fragestellung, finden sie nicht auch?
Ich wagte ein Experiment. Ich setzte mich vor den großen Spiegel im Schlafzimmer und wartete. Es wurde langsam dämmrig draußen und meine Konturen wurden unscharf. Kurz bevor das Licht völlig erlosch, wurde ich durchsichtig, um dann völlig in dem schwarzen Spiegel zu verschwinden. Ich schrie laut um Hilfe, so das meine Frau kam und das Licht anknipste. Seither kann ich nicht mehr Dunklen einschlafen. Ich gehe nicht mehr zum Friseur; meine Frau schneidet mir meine Haare. Ich vermeide jeden den Blick in einen Spiegel, was gar nicht so leicht ist, wie sie vielleicht glauben mögen. Die Leute sagen, ich wäre ein wenig sonderbar geworden und einige tuscheln:
»Der war schon immer etwas seltsam.«
Diese Leute wissen ja nicht, was ich weiß und ich rufe ihnen zu:
»Traut euren Spiegeln nicht.«
»Traut euren Spiegeln nicht.«

~Ende~
2021

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