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4xhab ich gern gelesen
geschrieben von Bernhard Montua.
Veröffentlicht: 07.11.2022. Rubrik: Unsortiert


Die Anderen

                Die Anderen
von
Bernhard Montua

Ich betrat die Hütte, die nur wenige Kilometer vom Fluss entfernt, im tropischen Regenwald stand. Ich war in einem Kanu an diesen entlegenen Ort gelangt. Danach hatte mich der junger Einheimischer, der auch das Kanu gesteuert hatte, durch den Dschungel geleitet. Als sich meine Augen an das trübe Licht in dem Raum gewöhnt hatten, sah ich eine Gestalt, die in der hintersten Ecke der Wellblechhütte auf einem alten Feldbett saß, sie war kaum zu erkennen. Sie trug einen zerfransten, breitkrempigen Strohhut, den sie tief in ihr Gesicht gezogen hatte. Die Augen waren hinter einer großen, dunklen Sonnenbrille verborgen, obwohl in der Hütte ein grünlich dunstiges Dämmerlicht herrschte. Draußen vor der Tür der Wellblechhütte, die aus ehemals bunten Schnüren bestand, schwitzte der Wald den Regen aus, der sich in Bächen über ihn ergoss, und trommelte ein lautes, stumpfsinniges Trommelsolo auf das Blechdach. Eine kehlige, dumpf klingende männliche Stimme fragte:
»Was wollen sie von mir.«
»Ich bin auf der Suche nach ungewöhnlichen Geschichten und man erzählt sich, dass ihre Lebensgeschichte sehr besonders sein soll«, erklärte ich freundlich und versuchte ein Lächeln.
Der Mann auf dem Feldbett sagte, nach einer langen Pause:
»Setzen sie sich dort auf das Ölfass dort.«
Er zeigte mit der Hand auf eines, an vielen Stellen vom Rost zerfressenes Fass, welches sich in der Mitte des Raumes befand. Ich setzte mich auf das wacklige Fass und wartete.
Wir saßen uns jetzt gegenüber. Zwischen uns lagen Reste eines Feuers, aus dem eine kleine Rauchfahne aufstieg und die Luft in der Hütte mit dem Geruch nach verkohltem Holz erfüllte.
Es entstand eine lange Pause, in der ich den Mann etwas genauer betrachte. Er schien alt zu sein. Er trug ein ausgeblichenes Hawaiihemd und eine ehemals beigefarbene Hose. Seine sehnigen Füße steckten in Gummisandalen.
»Warum zum Teufel, sind sie auf der Suche nach Lebensgeschichten, wen soll das Interessieren«? Fragte knurrig der Alte. »Ich bin Journalist und die Leser der Zeitung, für die ich schreibe, sind süchtig nach solchen besonderen Geschichten«, antwortete ich.
»Wenn ihre Geschichte so besonders ist, wie ich hoffe, bin ich bereit ihnen ein angemessenes Honorar zu zahlen.«
»Was bedeutet angemessen«? Krächzte der Alte und steckte sich eine Zigarre an. Das Streichholz warf einen kleinen Lichtschein auf sein Gesicht. Der Anblick ließ mich erstarren. Der Mund des Mannes bestand aus einer Reihe großer, tabak- gelber, spitzer Zähne, die Lippen waren nur zwei rote unregelmäßige Striche. Der Zigarrenrauch entwich diesem Haifischmaul wie durch die Gitterstäbe eines Käfigs und schwebt in vielen einzelnen Rauchfäden an die Decke. Der Alte nahm die Sonnenbrille ab, entzündete ein weiteres Streichholz und hielt es vor sein Gesicht. Oberhalb des Haifischmauls, dort wo eine Nase sein sollte, war nur ein ausgefranstes Loch. Die Haut erinnerte an eine alte gräuliche Betonwand, aber das grausigste waren seine Augen. Sie wölbten sich weit aus den Höhlen. Die Augäpfel hatten eine weißlich graue Farbe und waren durchzogen von blutig roten Adern. Die Pupillen grün wie der Dschungel vor der Hütte.
»Na, ist das besonders genug?«
»Was ist nun angemessen?«
Sagte der Mann grinsend, dabei verbreiterten sich die Lippenstriche bis zu seinen spitzen Ohren und entblößten weitere Haifischzähne, zwischen denen die Zigarre einen rot glühenden Punkt setzte.
Ich wollte nur raus aus der Hütte, weg von diesem Monster. Ich stotterte:
»Sicher, sicher das ist viel,viel mehr als besonders!«
»Wen ich Bilder machen kann, denke ich das ein Vorschuss von 5,000 $ angemessen ist«
»Wenn sie einverstanden sind, gehe ich sofort und besorge das Geld«
Der Mann nahm seinen Strohhut ab und kratzte sich, die von Eiterpusteln übersäte Kopfhaut, danach sagte er:
»10,000 $«
Eigentlich hätte ich versucht zu handeln, aber ich wollte nur weg und antwortete:
»Okay ich glaube auch das bekomme ich durch«
Zufrieden nickte der Alte und meinte, dass ich mir Zeitlassen könne mit dem Vorschuss. Ich stand auf, hob grüßend die rechte Hand und ging zur Tür. Draußen hatte der Regen so plötzlich aufgehört, wie er begonnen hatte und der vielstimmige Gesang des Waldes war zurückgekehrt.
Hinter mir vernahm ich die Stimme des Alten, der röchelte:
»Meinen sie, sie finden den Weg zurück zu ihrem Kanu?«
Seine Frage war begleitet von einem höhnischen Lachen, das wie ein Hustenanfall klang.
Ich musste mir eingestehen, dass ich noch nicht einmal die ungefähre Richtung aus der ich gekommen war, hätte bestimmen können. Ich schwitzte, schwieg und Panik machte sich in mir breit.
»Kommen sie, ich bringe sie zu den anderen«, hörte ich die kehlige Stimme des Alten, der aus der Hütte zu mir getreten war.
»Was, was für andere stotterte ich«.
Der Alte antwortet nicht, sondern ging mit wackligen Schritten in den Wald.
Ich folgte ihm zögernd. Nach mehr als zwei Stunden, in denen ich kreuz und quer durch den Dschungel hinter dem Alten her getaumelt war, bat ich ihn um eine Pause. Er drehte sich nach mir um und sagte:
»Wir sind bald da, halten sie noch ein wenig durch«
Dann ging er weiter und ich folgte ihm leise fluchend.
Das Gelände wurde steiler und jeder Schritt wurde zur Qual. Nach einer weiteren Stunde erreichte wir eine Lichtung an dessen Ende ein kleiner See war, der von einem vielleicht zehn Meter hohen Wasserfall gespeist wurde. Ich hatte keinen Blick für die Schönheit dieses Ortes, sondern fiel völlig erschöpft, am Rande des Sees auf die Knie und ließ mich in das kühle Wasser fallen. Als ich wieder auftauchte, saß der Alte neben mir am Ufer. Er hielt mir eine Wasserflasche hin und sagte:
»Trinken sie und hören sie zu.«
Man nennt mich John Doe. Mein Leben verlief bis zu dem Tag vor 20 Jahren, in völlig normalen Bahnen.« Ich war 31 Jahre alt und war seit zwei Jahren verheiratet. Wirtschaftlich ging es uns gut. Von meinem Gehalt als Buchhalter und dem Gehalt meiner Frau Anna, die in der gleichen Firma als Sekretärin tätig war, wir hatten uns in der Firma kennengelernt, konnten wir auch noch ein wenig zurücklegen. Wir waren zwei glückliche junge Leute, die gerne mit Freunden feierten. Halloween stand bevor und alle rätselten seit Wochen, mit welchem Kostüm man zu den Partys gehen sollte. Ich entdeckte im Internet eine vielversprechende Anzeige. Diese bewarb Halloween Masken, die so täuschend echt wirken sollten, als seien sie das eigene Gesicht. Das Unternehmen beschrieb den Rohstoff, aus dem die Masken bestehen, als neues biologisches Material. Es war entsprechend sehr teuer, aber was tut man nicht alles für einen spektakulären Auftritt. Ich wollte zwei Biomasken bestellen, aber Anna sagte sie möchte zuerst sehen, ob die Versprechungen der Firma auch der Wahrheit entsprachen. Ich orderte also nur für mich eine dieser Masken. Einen Tag vor Halloween traf die Maske ein. Neugierig öffnete ich das Paket. Es enthielt einen Vakuumbeutel, in dem sich eine bunte schleimige Masse befand. In der Bedienungsanleitung stand, dass man die Maske am Morgen vor der Party auf das gereinigte Gesicht legen sollte. Sie würde dann während der Trockenphase sich dem Gesicht anpassen. Danach würde es möglich sein, die Maske mit einer eigenen Mimik lebendig erscheinen zulassen. Am Morgen des 31 Oktober legte ich mir die geleeartige, bunte Masse auf mein Gesicht. Es fühlte sich angenehm kühl an. Da die Anleitung verbot während der Trockenphase zu essen oder zu trinken, döste ich auf der Couch ein. Anne weckte mich gegen Mittag. Sie starrte mich an, ich starrte zurück und fragte: »Na und wie ist es?«
»Unglaublich, einfach unglaublich, es wirkt so echt, wirklich unheimlich«, sagte sie begeistert aber auch leicht verunsichert. Ich bemerkte die Maske auf meinem Gesicht nicht im geringsten. Der Spiegel in Badezimmer zeigte mir mein Horrorantlitz, das mein gewohntes Minenspiel mitmachte. Ich war ebenso begeistert wie Anna von der Echtheit des Ausdrucks. Bei der abendlichen Party war ich der viel bewunderte Maskenkönig. Der Alkohol floss in Strömen und ich war Sternhagel voll an diesem Abend. Anna musste mir helfen aus dem Taxi zusteigen. Ich schleppte mich in die Wohnung und legte mich so, wie war ins Bett. Am nächsten Morgen ging es mir entsprechend schlecht. Ich wankte ins Bad und wusch mir das Gesicht mit kaltem Wasser, dabei verletzte ich mich an den Rasiermesser scharfen Zähnen in meinem Mund. Erschrocken sah ich in den Spiegel. Ich hatte immer noch die Halloween Maske auf. Mit beiden Händen versuchte ich die Maske abzunehmen, was mir trotz heftigem Ziehen und Reißen nicht gelang. Ich bat Anna um Hilfe aber auch sie hatte keinen Erfolg. Die Maske hatte sich völlig mit meiner Haut verbunden. Direkt nach Allerheiligen machte ich einen Termin bei einem Hautarzt. Der Arzt versuchte es zuerst mit chemischen Mitteln, die Substanz von meiner Haut abzulösen, als das nicht half, nahm er einen Laser zu Hilfe, um festzustellen, dass die Maskenhaut zu meiner eigen geworden war. Verzweifelt versuchte ich Rat von dem Hersteller der Maske zubekommen aber die Seite war im Internet nicht mehr zu erreichen. Ab diesem Zeitpunkt begann der Albtraum für mich. Anna hielt meinen Anblick drei Monate aus, dann verließ sie mich. Ich konnte sie verstehen. Mein Arbeitgeber kündigte mir mit außerordentlichem Bedauern und einer Abfindung. Nur in der Nacht oder am Tag mit einem Motorradhelm konnte ich aus dem Haus gehen. Die Leute, die die Maske noch vor Kurzem lustig gefunden hatte, fürchteten sich nun und liefen schreiend davon. Nach einem halben Jahr dachte ich Selbstmord, so konnte und wollte ich nicht weiter Leben. Während solcher hoffnungslosen Überlegungen kam mir der Gedanke, dass es ja noch andere geben musste, die ebenfalls diese Masken gekauft hatten. Hecktisch recherchierte ich im Internet und fand eine Seite einer Selbsthilfegruppe. Die Erfahrungen, die diese Betroffenen miteinander austauschten, glichen den meinen. Eine Lösung hatten sie alle nicht. Ich wollte schon resigniert aufgeben da stieß ich auf eine Seite, die sich »Die Andern oder ein Leben mit der Maske« nannte. Ich schrieb dort hin und schilderte meine Situation. Nach zwei Tagen bekam ich eine Antwort, die besagte, dass ich mich zu einer Adresse in Saul Paolo in Brasilien begeben sollte, dort würde ich weitere Instruktionen erhalten.Verzweifelt, wie ich war, kaufte ich mir ein one way Ticket und flog nach Brasilien; was hatte ich schon zu verlieren. Nach einer Woche stand ich in einer dieser Favelas am Rande der Stadt. Ich hatte mich durch ein Gewirr von Gassen und Hinterhöfen durchgeschlagen und klopfte nun an die Tür einer grün gestrichenen Hütte. Nach einer geraumen Weile öffnete sich die Tür und eine unglaublich dicke schwarze Frau, die eingehüllt war in einen gelben Sarong, sah mich misstrauisch an. Ich zog die riesige Sonnenbrille aus, schob die Kapuze zurück und hob den Kopf. Sie wich einen Schritt zurück, dann streckte ihre Hand aus und verlangte 100 Real. Ich gab ihr das Geld und sie zeigte auf eine Bank, die neben der Hütte stand, und verschwand im inneren der Behausung. Ich setzte mich und schob, trotz der schwülen Hitze, die Kapuze über den Kopf und wartete. Nach einer halben Stunde hielt knatternd ein Motorrad vor mir. Der Fahrer gab mir gestenreich zu verstehen, dass ich auf dem Sozius Platznehmen sollte. Ich nahm meinen Rucksack und stieg auf. Nach vielen Stunden fahrt, über kleine Straßen und Feldwegen, stoppte das Motorrad an einem Fluss und die Fahrt ging mit Kanu weiter. So gelangte ich zu der Hütte, in der ich dich empfangen habe.
Ich hatte dem Alten aufmerksam gelauscht und ihn nicht mit Fragen unterbrochen. Die mussten warten. Doch die Anstrengungen der letzten Stunden machten es für mich immer schwieriger seinem Bericht zu folgen. Schließlich fielen mir die Augen zu und ich schlief, einer Ohnmacht gleich, ein. Als ich erwachte, lag ich auf dem Rücken am Ufer des Sees und schaute in den nächtlichen Himmel, von dem ein riesiger Vollmond die Baumwipfel beleuchtete. Bis zum Boden gelangte das Licht jedoch nicht. Um mich herum herrschte eine schwarze, kreischend, zirpende und knurrende Dunkelheit. Ich richtete mich auf und sah mich ängstlich um. Der Wasserfall wirkte, beschienen vom Mondlicht, wie ein silbrig glänzender Strom der sich in den dunklen See ergoss. Für einen Moment vergaß ich meine Angst und genoss den Anblick. Dann vernahm ich ein Murmeln, das nicht zu den Geräuschen des Dschungels passte. Meine Augen gewöhnten sich ein wenig an die Dunkelheit und ich sah, dass ich nicht allein war. Ich befand mich in der Mitte einer großen Gruppe von Schatten. Kurz danach flammte die erste Fackel auf. Das flackernde Licht enthüllte das Grauen. Immer mehr Fackeln wurden entzündet und schnitten aus der Dunkelheit Gestalten, wie sie nur ein schrecklicher Albtraum erschaffen konnte. Ich erkannte mörderische Clowns, Hexen, Vampire und Werwölfe. All diese Monster murmelten und stampften mit den Füßen einen monotonen Rhythmus. Unfähig mich zubewegen, starrte ich auf die Gruppe, die einen großen Kreis um mich gebildet hatte, der mit jedem Stampfen der Füße enger wurde. John Doe trat aus dem Kreis und trat vor mich hin und krächzte: »Darf ich vorstellen, er machte mit den Armen eine ausholende Bewegung das sind - Die Anderen -.«
»Und du mein Freund hast nun die Ehre Mitglied dieser Gemeinschaft zu werden.« Auf eine Handbewegung hin traten zwei Werwölfe hinter mich und zogen mich auf die Beine und hielten mich fest. John Doe stand nun dicht vor mir. Er bekam von einer Hexe eine Schatulle gereicht, die er langsam öffnete. Dann lag in seinen Händen eine weißliche, schleimige Masse, die im Fackelschein glänzte. Das Murmeln der umstehenden Monster verwandelte sich in einen kehligen Gesang und das Stampfen wurde immer heftiger. Ich ahnte, was mit mir geschehen sollte. Ich versuchte, mich loszureißen aber der Griff der Werwölfe umklammerte meine Arme mit eiserner Gewalt. Verzweifelt schrie:
»Nein bitte, bitte nicht.«
»Warum willst du das tun, ich hab dir und den Anderen nichts getan«, wimmerte ich.
»Weil wir neues, frisches Blut für unsere Gemeinschaft brauchen«, sagte John und legte mir die Maske auf das Gesicht.
Ein Jahr später saß ich während eines heftigen Tropenregens in einer Wellblechhütte, nur wenige Kilometer vom Fluss entfernt und wartete auf den Journalisten, der sein Interesse an meiner Lebensgeschichte bekundet hatte.

~Ende~
2019

counter4xhab ich gern gelesen

Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von Onivido kurt am 07.11.2022:

Grausig




geschrieben von Gari Helwer am 10.11.2022:

Dito!

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