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geschrieben von Federteufel.
Veröffentlicht: 25.12.2022. Rubrik: Unsortiert


Pappe und Bock – eine Weihnachtsgeschichte

Heiland stieg die Eisentreppe hoch und klopfte. „Wer is da?“ rief eine rauchige Frauenstimme von innen.
„Ausländerbehörde!“
„Wat woll´n Se denn?“
„Öffnen Sie bitte!“
„Na dann komm Se doch rin, Meesta! Die Tür is offen!“
Heiland stieß die Tür auf und trat ein.
Das Abteil war durch eine Campingleuchte und mehrere Kerzen nur spärlich erleuchtet. An einem Tisch saßen zwei Männer und eine Frau. Auf dem glühenden Kanonenofen stand ein großer, dampfender Topf. Es roch nach heißem Glühwein und kaltem Zigarettendunst.
Heiland zog seinen Ausweis und nannte Namen und Dienstgrad.
„Wat, Sie heißen Heiland?“ rief einer der Männer. Er war ziemlich korpulent. „Ich werd´ nich wieder! So´n Zufall!“ Er verbeugte sich im Sitzen und sagte: „Herr Inspekta Heiland, stets zu Diensten!“
„Herr Inspektor“, meldete sich der zweite Mann, der bisher geschwiegen hatte. Er sah Heiland mit sonderbar dunklen Augen an. „Weswegen sind Sie überhaupt hier, wenn die Frage erlaubt ist?“
Der Mann kam Heiland bekannt vor. Diese Locken … Doch er konnte sich jetzt nicht erinnern, wem er so ähnlich sah.
Heiland sagte: „Die Frage ist erlaubt. Hier soll eine junge Frau untergekommen sein. Nennt sich Maria. Ihr Nachname ist unbekannt. Sie ist etwa eins fünfundsechzig groß und hat strohblonde dünne Haare.“
„Ach Sie meinen die Monika“, sagte die Frau. „Nee, junger Mann, da kommen Se zu spät, die is vor drei Tagen wieder weg!“ Sie sah Heiland mit traurigen Augen an. „Was hat se denn ausgefressen?“
Heiland biss sich auf die Lippen. „Es handelt sich um eine erkennungsdienstliche Ermittlung“, sagte er ausweichend.
„Wat denn, wat denn“, kodderte der andere Mann, der ziemlich korpulent war, „machen Se eigentlich nie Feierabend? Heute ist Weihnachten!“
„Ich kam zufällig vorbei, und da –“
Der Dicke winkte ab. „Geschenkt!“ Dann kodderte er weiter: „Der hat´s hier wohl nich gefallen. Waren ihr wohl nich fein genug, der Dame."
„Nun reg´ dich mal ab, Egon“, sagte die Frau. „Es können doch nicht alle so leben wie du!“
Heiland schaute sich unauffällig um. Das Wagoninnere machte keinen ungepflegten Eindruck. Nirgendwo lag Unrat herum. Auf den Bänken eines noch gut erhaltenen Abteils standen verschiedene Schüsseln mit Esswaren und ein Kasten Bier, etliche Schnapsflaschen, ein Kübel mit einer weihnachtlich geschmückten Zuckerhutfichte. Der hintere Teil des Wagens war mit Tüchern und Decken abgetrennt.
„Unsa Weihnachtsbaum“, sagte die Frau. Sie hatte Heilands forschenden Blick bemerkt. „Sie wern´s nich glauben, Herr Oberinspekta, aba Weihnachten bedeutet uns was!“
Hinter dem Vorhang erklang jetzt das zart-zitternde Gegreine eines neugeborenen Kindes.
„Det is unser Jesus“, sagte die Frau, „und der da is der Vata.“ Sie wies auf den jungen Mann mit den Locken.
Jetzt war es Heiland, der Verblüffung zeigte. „Jesus?“, fragte er ziemlich dümmlich.
„Herr, warum denn nicht?“, sagte der junge Mann. „Der Kleine kam heute früh kurz nach Mitternacht zur Welt.“
Plötzlich wusste der Hauptkommissar, wieso ihm das Gesicht des jungen Mannes so bekannt vorkam. Es hatte starke Ähnlichkeit mit dem Gesicht des Joseph vom rechten Seitenaltar in der Nikolaikirche. Nur war es erheblich jünger.
Die Frau setzte Pappteller mit Bockwürstchen und Kartoffelsalat auf den Tisch.
„Herr Inspektor“, sagte sie, „wolln Se vielleicht nicht auch ein Würstchen? Der Egon hier, der ist gleich fix und fertig. Dann wird sein Platz frei.“
Heiland dachte: Pappe und Bock – warum nicht? Weihnachten mal anders! Irgendwie strahlt dieser Ort eine gewisse gemütliche Geborgenheit aus, und die Frau menschliche Wärme. Ist doch gut, dass der Senat diese Blechsiedlung duldet. Er verbeugte sich leicht und sagte: „Ich nehme dankend an.“
„Na seh´n Se“, sagte die Frau, „det is fanünftig. Sven, rück mal ´n Stück, damit sich unsa Jast setzen kann. Woll´n Se ´n Glühwein?“
Sie setzte Heiland einen Teller mit Würstchen und Kartoffelsalat und eine Becher Glühwein vor. Dann nahm sie neben Egon Platz.
„Ich bin die Erna“, sagte sie, „und das is Sven. Den Egon kenn´ Se ja schon.“ Sie wartete.
„Und ich bin der Heinrich“, sagte Heiland. Es fiel ihm noch nicht einmal besonders schwer.
„Herz-lich will-hicks-kommen in unsere Ru-unde“, nuschelte Egon und stieß heftig auf.
„Schmeckt´s?“, frage Erna. Sichtlich vergnügt beobachtete sie Heiland beim Essen. „Der Kartoffelsalat is selbajemacht."
„Ja, doch, sehr gut.“
„Das freut mich.“ Sie blickte Heiland an. „Heinrich, ich seh´s dir an der Nasenspitze an, du hast da eine Frage.“
Heiland lachte. „So eine wie dich könnte ich in meinem Team gebrauchen!“
„Nee, nee, lieba nich! Also?“
„Wo ist die Mutter dieses Kindes? Und ist das Kind wohlauf?“
„Maria“, rief Erna über den Tisch hinweg, „komm doch mal her und zeig unsam Jast det Kind!“
Maria erschien mit dem Kind im Arm. Sie hatte schütteres strohblondes Haar und ein schiefes Gesicht. Die Strapazen der Geburt waren ihr noch anzusehen.
Heiland erkannte sie sofort: Die junge Frau war die Gesuchte, eine Ausreisepflichtige, die untergetaucht war. Die Geburt änderte natürlich einiges.
„Is er nicht süß, der kleine Wonneproppen?“, flötete Erna, „und diese blonden Löckchen! Wirklich, ein kleiner Jesus!“
Heiland schluckte seinen Ärger hinunter. „Und Sie wollen das Kind wirklich Jesus nennen?“, fragte er die Mutter.
„Ja warum denn nicht?“, sagte Erna. „Es gibt tausende junge Männer auf der Welt mit diesem Namen!“
„Na ja, wir sind hier aber nicht auf der Welt, sondern in Ostberlin“, sagte Heiland.
Sven lachte herzhaft. „Dann werden sich die Leute eben dran gewöhnen! Die haben sich hier noch an ganz andere Namen gewöhnt.“
Heiland blickte in das braune verschrumpelte Gesicht des Kleinen und in seine himmelblauen Augen. Was jetzt geschah, konnte er sich hinterher nicht erklären. Es war einfach so über ihn gekommen.
„Sagen Sie mal, Maria –“
„Sie spricht kaum deutsch,“ erklärte Sven. „Sagen Sie es mir.“
„Gerne. Hat das Kind eigentlich schon einen Paten?“
„Na woher denn?“, mischte sich Erna ein und schlug die Hände über dem Kopf zusammen, „hier hat doch keener nich das Schwarze unterm Nagel!“
„Dürfte ich die Patenschaft übernehmen?“
„Ich gloob´s nich“, knödelte Egon, „der Herr Heiland wird Pate vom Jesuskind! Na sowat!“ Sein mächtiger Leib schüttelte sich. Er weinte. Er weinte vor Freude. Na ja, wohl auch, weil er ziemlich duhn war.

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