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2xhab ich gern gelesen
geschrieben von rubber sole.
Veröffentlicht: 01.09.2023. Rubrik: Persönliches


Fremdscham

Es sind seine letzten Tage auf Bali, der Insel der Götter. Von den Ceking Rice Terraces in den idyllischen Ort Ubud sind es nur noch wenige Kilometer. Der Weg führt durch üppig wuchernden Tropenwald. Bald ist das Dorf erreicht. Der junge Traveller steuert einen schattigen Platz vor einem Coffee-Shop an. Der Weg hierher war körperlich überaus anspruchsvoll. Gleichwohl, ein sinnliches Erlebnis, dieser Marsch durch diese tropische Traumlandschaft. Nun der Wunsch nach Erfrischung. Er erholt sich schnell. Wohlgefühl stellt sich ein. Die Erschöpfung ist bald vergessen.

Dann dringen Geräusche aus der nahen Ortschaft an sein Ohr. Erst verhalten. Dann nähern sich rhythmische Laute. Der Klang von Zimbeln und Blasinstrumenten ist deutlich zu vernehmen. Und nun sieht er es: Ein festlich geschmückter Umzug nähert sich. Die Begleiter summen und murmeln andächtig feierliche Gebete. Dazu rhythmische Bewegungen. Die geben der Darbietung eine besondere Aura. Opulente Festlichkeit. Eine exotische Komposition der Sinne.

Es sind die letzten Meter einer Bestattungszeremonie. Das Ziel ist der üppig geschmückte Platz der Kremation. Der Reisende schaut gefesselt der Darbietung zu. Fasziniert von der feierlichen Stimmung des Trauerzugs. So ganz anders als Zuhause. Eine würdevolle Stimmung der besonderen Art. Dabei fast heiter. In der Mitte des Zuges ein offener Sarkophag. Die Teilnehmer der Zeremonie richten letzte stumme Grüße an den Verstorbenen. Dezente Gesten des Abschieds. Und mittendrin vier Europäer. Zwei Paare bewaffnet mit einer Videokamera. Sie begleiten die Zeremonie viele Schritte. Immer dicht am Sarg. Die monströse Kamera ist permanent auf den Toten gerichtet. Leichtes Gerangel um die besten Positionen. Kein Einheimischer gebietet Einhalt. Das wäre gegen die Gastfreundschaft. Die aufgeregte Begeisterung der Fremden dominiert die Szene. Einmaliges Erlebnis. Authentisch. Das sind die häufigsten Begriffe. Und deutlich herauszuhören ihre sprachliche Herkunft. Zweifelsfrei deutsche Idiome, die zum stillen Beobachter herüberdringen. Nie ist ihm der Begriff Fremdschämen klarer bewusst gewesen.

Und dieses Gefühl kommt erneut in ihm hoch. Wochen nach der Rückkehr in Deutschland. Ein Bericht in einem Reisejournal. Von unverfälschten Ritualen auf Bali wird berichtet. Authentisch. Urtümliche Einheimische. Exotik pur. Faszinierende Rituale. Und wie offen die Menschen dort gegenüber Fremden sind. Selbst in sehr privaten Situationen.

Keine zwölf Monate später werden in Deutschland Pauschalarrangements dorthin angeboten. Strandurlaub mit Teilnahme an unverfälschten Totenzeremonien der Einheimischen. Mit Erfolgsgarantie.

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von Marlies am 27.11.2023:
Kommentar gern gelesen.
Puh nur beim Lesen habe ich den Kopf eingezogen so nach dem Motto da gehöre ich nicht zu. Eindrucksvoll beschrieben




geschrieben von rubber sole am 27.11.2023:

Ja, Marlies, so etwas beobachtet man nicht gerne. Die Beschreibung gehört zu einer Reiseerinnerung aus den Achtzigerjahren. Solche Erlebnisse gehörten damals zum 'normalen' Erlebnisstandard einiger westlicher Touristen. Die Termine der Bestattungszeremonien auf Bali wurden irgendwann nicht mehr öffentlich bekanntgegeben, und soweit ich weiß, sind sie für Außenstehende nicht mehr zugänglich. Danke für deinen Kommentar.
lgrs

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