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geschrieben 2023 von Weißehex.
Veröffentlicht: 02.09.2023. Rubrik: Aktionen


Finley und Carol

Geschichte zur September-Aktion: „Die letzten Tage des Sommers"

Cromer (Norfolk, Großbritannien, in East Anglia im Osten von England), Nordsee

Carol stand auf dem kleinen Balkon ihres Hotels und genoss den Ausblick. Die Sonne spiegelte sich in leuchtendem Gold im Meer. Menschen schlenderten am Strand umher; einige konnte sie in den Wellen ausmachen. Sie beschloss, schwimmen zu gehen. Es war eine gute Idee, hierherzukommen, dachte sie, trotz der vielen Erinnerungen. Oder vielleicht gerade deshalb.
Hier, in Cromer, hatten Finley und sie oft ihre Ferien verbracht, schon als sie noch Kinder gewesen waren, damals allerdings noch voneinander getrennt, jeweils mit ihren Eltern. Keiner hatte gewusst, dass der andere überhaupt existerte, gut möglich, dass sie sich zufällig einmal am Strand über den Weg gelaufen waren. Später, als sie ein Paar waren und ab und zu ihre Kindheitserinnerungen austauschten, hatte Finley den Küstenort Cromer in Ostengland, Norfolk, erwähnt, und verblüfft hatte Carol ausgerufen: „Was? Du warst immer zur gleichen Zeit dort wie ich?“ Spontan hatten sie beschlossen, ihre Sommerferien in Cromer zu verbringen, und von da an waren sie jedes Jahr dort gewesen, fünf Jahre lang. Im sechsten Jahr ihres Zusammenseins war Finley bei einem Bootsunfall tödlich verunglückt. An diesem Wochenende Ende August war sein Tod genau vier Monate her.

Ehe die Traurigkeit sie überwältigen konnte, schnappte Carol sich ihre Badetasche, schlüpfte in ihren Badeanzug und rannte fast zum Strand. Dort hielt sie inne, ließ ihre Badetasche achtlos in den Sand fallen und schaute auf das Meer hinaus. Es war nicht sehr gut besucht, was bei 16 oder 17 Grad Wassertemperatur nicht verwunderlich war. Es war ihr egal, wie kalt das Wasser war. Langsam watete sie in das Meer, bis sie sich schließlich hineingleiten lassen konnte. Sie schwamm einige Meter - viele Meter - bis sie ziemlich weit vom Strand entfernt war. Sie holte tief Lut, tauchte unter und langsam wieder auf. Das wiederholte sie einige Male, bis eine freundliche Stimme neben ihr sagte: „Ist es nicht zu kalt?" Verwirrt schaute sie sich um. Niemand war zu sehen. An dieser Stelle konnte sie nicht mehr stehen, also konnte es ein anderer auch nicht, außer er wäre über 2 m groß. Carol maß immerhin 179 cm.
Ein Kopf mit dunklen Haaren tauchte neben ihr auf. Carol schrie vor Schreck auf, nicht nur, weil sie damit gerechnet hatte, hier allein zu sein, sondern auch, weil der Taucher Finley verdammt ähnlich sah
„Entschuldigung, ich wollte Sie nicht erschrecken", sagte der Fremde. „Ich habe hier getaucht - genau wie Sie - und dann gemerkt, dass ich nicht alleine bin. Ich dachte, ich mache mich besser bemerkbar. Alles andere wäre unhöflich gewesen."
Carol brachte nicht mehr als ein leises „Ja, stimmt" heraus und betrachtete ihn genauer. Er hatte dunkle Haare und blaue Augen wie Finley. Jetzt stellte sie fest, dass die Ähnlichkeit sich damit erschöpfte. Der Fremde hatte eine ganz andere Nase als Finley, und auch seine Stimme hörte sich anders an.
„Ich bin James", stellte er sich vor. „James Harrington." Da Carol keine Anstalten machte, sich ebenfalls vorzustellen, fügte er hinzu: „Ich bin in Urlaub hier. Und Sie?"
„Oh ... Ich auch, Mr. Harrington."
„Sollen wir zurück schwimmen?", fragte er. „Ich denke, noch weiter hinausschwimmen ist gefährlich, und man sollte sich auch nicht zu lange in so kühlem Wasser aufhalten."
Jetzt musste Carol lachen. „Sie hören sich an wie meine Mutter."
Mr. Harrington lachte ebenfalls. „Ich mache mir eben Gedanken. Kommen Sie mit zurück an den Strand?"
Den werde ich doch nicht mehr los, dachte Carol und nickte ergeben. Andererseits fand sie es nett, dass er nicht einfach umdrehte, sondern sich Gedanken um sie machte.

Am Strand verabschiedete sich Mr. Harrington.
„Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend. Ich würde Sie gerne zum Abendessen einladen, aber ich glaube, das schickt sich nicht so kurz nach dem Kennenlernen", sagte er. „Aber vielleicht trifft man sich am Strand wieder?"
„Vielleicht", sagte Carol. „Ich wünsche Ihnen auch einen schönen Abend."
Hätte Mr. Harrington einen Hut aufgehabt, er hätte sicher daran getippt, dachte sie. So machte er eine kurze Verbeugung in ihre Richtung und schlenderte davon.
Carol setzte sich in den Sand, betrachtete das Meer und fühlte sich zum ersten Mal nach Finleys Tod auf merkwürdige Weise getröstet.

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