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1xhab ich gern gelesen
geschrieben 2022 von Erzähloma.
Veröffentlicht: 21.09.2023. Rubrik: Historisches


Flimmerkasten

Es begann damit, dass mein bedachter Vater seine heiratssüchtige Viola nach zehnjähriger Liebschaft endlich zur Frau und Gemahlin genommen hatte. Zu einer richtigen Hochzeitsfeier war er eh nicht zu bewegen, also hatte sie im Gegenzug darauf bestanden, in einer barocken Wallfahrtskirche den kirchlichen Segen zu erhalten. Orgelspiel und eine Heilige Messe hatte sie bestellt, anstatt einer einfachen, angebrachteren Trauungszeremonie. Währenddessen wurde ihr andauernd übel, war sie doch guter Hoffnung mit mir und außerdem zu spätvormittäglicher Stunde noch nüchtern, durfte man doch den Herrn bei der Heiligen Kommunion, aus Respekt, nur auf leeren Magen empfangen. Ja, so war sie, meine Mutter, die kesse Viola, einerseits ein gerissenes Weibsstück, jederzeit durchaus zu einer Notlüge bereit, andererseits aber an konkreten Einzelheiten stur festhaltend, auch wenn ihr noch so schlecht wurde.

Jedenfalls war ihnen beiden klar, dass die lustige, lebensfrohe Zeit mit Ankunft des Babys vorbei war, und sie kauften vorsorglich einen Fernseher, der damals nur ein einziges Programm, die ARD ausstrahlte. Ein bisschen später kam der Bayerische Rundfunk dazu. Erst ein paar Jahre später bekamen wir ein graues, elektrisches Zusatzkasterl, das uns das Zweite Programm sicherte. Ja, und den Österreicher bekamen wir von Haus aus rein, zwar grieslich, da heißt, arg geflimmert, auf dem ich den Kasperl schauen durfte. Wenn dann alle Kinder dann in der Flimmerkiste nach dem Kasperl um Hilfe riefen, weil das Krokodil oder das Teufelchen den naiven Sepperl wieder einmal austricksten, dann schrie ich, ganz allein auf unserem Divan sitzend, mit. Mein Bruder war noch zu klein. Eigentlich war die unsrige eine traurige Kindheit, die ich alleine, später zu zweit mit meinem Bruder, jedenfalls ohne andere Kinder, vor dem Fensehkasten oder verloren in unserem großen Garten verbrachte. Doch wir kannten es nicht anders, uns war nicht traurig zumute. Oder war da doch eine stille, unbekannte Sehnsucht? Denn immer spürte ich und verspüre noch heute einen leisen, innerlich ziehenden Schmerz, wenn ich passen muss, während andere von ihrer frohen Kindheit schwärmen, von der Kinderschar, die draußen unbefangen miteinander herumgetollt ist. Stattdessen weiß ich noch genau, wie das Fernsehprogramm von einst sich gestaltete, darin unterscheiden sich meine Erinnerungen von den meisten der anderen.

Insbesondere erinnere ich mich an das „Spiel ohne Grenzen“, vor dessen Ausstrahlung die Eurovisions- Fanfare gespielt wurde. Ich traue mich wetten, ein jeder meiner Altersklasse erkennt sie auf Anhieb wieder; es handelt sich um das Te Deum von Marc-Antoine Charpentier, das als besondere Erkennungsmelodie für internationale Sendungen gespielt wurde. Sie war uns wichtig, wir hörten sie begeistert. Direkt nach der Übertragung handelten wir zwei Kinder noch den Nachspann und eben diese Hymne aus, solange durften wir aufbleiben. In gewisser Weise kam auch die Bildung bei dieser Sendung nicht zu kurz, denn wer hätte bei uns sonst schon die Kleinstadt Radevormwald gekannt? Wir lachten vor dem Kasten, wie eine Stadt nach dem Radi, dem Rettich, der offenbar auf einem Feld vor einem Waldesrand angebaut wurde, heißen konnte.

So also begann meine tv-Zuschauer-Karriere, zu Beginn der Sechzigerjahre. In unserer Familie hat sie sich noch jahrelang weiter so hingezogen. Die Fernsehshows wechselten, wir schauten begeistert Hans-Joachim Kulenkampff, Wim Thoelke, Hans Rosenthal, und natürlich Peter Alexander, den Tausensassa, der singen konnte, notdürftig schauspielern und sich charmant mit seinen prominenten Gästen unterhalten; so ähnlich wie künftig Thomas Gottschalk, bloß der kann nicht singen.

Die „Peter Alexander Show“ wurde in meiner Familie hoch in Ehren gehalten. In der Zwischenzeit war ich trotz aller Widrigkeiten von zu Hause her in die Oberstufe eines Gymnasiums gelangt; der häusliche Fleiß war vorhanden, wie mein Ehrgeiz benannt wurde, mein Bestreben, eine gewisse Bildung zu erlangen, entgegen den Ansichten meiner Eltern. Entsetzt waren sie, dass ich meine Bücher, die Aufgaben auf meinem Schreibtisch, der gemeinsamen familiären Runde vor dem Fernseher, unserem heiligen Gral, vorzuziehen wagte. Mein Vater kam höchstpersönlich den langen Gang mit der kleinen Zwischentreppe herüber gelaufen, um mich zu ermahnen. Doch auch seine väterliche Sorge konnten mich nicht vom Vokabel Lernen abhalten; vom Lernen, das mir so wichtig war, dass ich mich sogar dem Peter Alexander widersetzte.

Soviel hätten sie mitgemacht mit uns Gören, als wir in der Pubertät waren, beklagten sich meine Eltern bitter bis ins hohe Alter hinein.

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von rubber sole am 21.09.2023:
Kommentar gern gelesen.
> Erzähloma:
Lese ich immer wieder gerne, deine Niederschriften einer 'Chronistin'. Dies hat wohl damit zu tun, dass deine Geschichten als Beispiele nahe an meinen Erinnerungen aus Kindheit und Jugend angesiedelt sind: gleiche Zeit, ähnliches Milieu, allerdings bummelige tausend Kilometer weiter im Norden. HG




geschrieben von Erzähloma am 22.09.2023:

Freut mich, rubber sole, dass dich meine Erinnerungen ansprechen! Ja, ich erzähle gerne von früher, wie es damals bei uns hier war.

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