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1xhab ich gern gelesen
geschrieben von Sun-Go.
Veröffentlicht: 18.01.2024. Rubrik: Nachdenkliches


Das zweischneidige Schwert "Vergebung".

"Richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet. Verdammt nicht, so werdet ihr nicht verdammt. Vergebt, so wird euch vergeben." [Lukas 6:37]

Es ist leicht, andere zu verurteilen. Man hebt sich dadurch über einen anderen Menschen, fühlt sich dadurch besser als dieser Mensch. "Ich hätte das niemals so gemacht. Du bist der schlechte." Was ein Witz. In Wahrheit wissen wir doch nicht, wie wir in einer Situation gehandelt hätten. Leute schauen auf meine Kindheit, wie mein Bruder und ich in manchen Momenten von unseren Eltern gequält wurden. Mit Schlägen, mit Worten, mit Liebesentzug. "Dein Leben ist wertlos". . . ja, das tut weh. Vermutlich mehr als alle Schläge zusammen, welche ich im Leben gespürt habe. Es tat mehr weh, als an dem Tag wo ich mir drei Rippen gebrochen habe und ich nicht atmen konnte. Es brennt sich ein, es ist ab diesem Zeitpunkt eine der vielen Wahrheiten, welche Du von einer Person kennst. Und dennoch gebe ich niemandem die Schuld. Nicht meinen Eltern, nicht ihren Eltern, nicht mir selbst. . . naja zumindest nicht mehr, haha. Im Endeffekt werden wir alle plötzlich in ein Bewusstsein geworfen und müssen in irgendeiner Situation klarkommen.
*

Urteilen ist einfach. Vergeben ist schwer. Verstehen am schwersten. Ich versuche immer den schwersten Weg zu gehen. Aber warum sind Vergeben und Verstehen eigentlich so schwer? Es zwingt einen selbst, das bereits gefällte Urteil zu hinterfragen. Es ist einfach zu denken: "Der ist schlechter, weil er etwas schlechtes getan hat." Es ist aber schwer daraufhin zu fragen: "Stimmt das denn überhaupt?"
Wenn man anfängt, weniger die Aktion zu betrachten, sondern die Intention von anderen, so ist diese schnelle fixe Meinung welche wir aufbauen plötzlich sehr schnell brüchig. Und davor haben wir Angst, es bedeutet, dass das Weltbild welches man hatte, schon immer aufgebaut hat, nicht mehr wahr ist. Also ignorieren wir die Intention, verurteilen die Aktion und fühlen uns gut dabei.
*

Der Weg des Verstehens und Vergebens ist hart, man tut sich oftmals selbst dadurch weh. Aber wie alle harten Wege, ist es auch ein sehr dankbarer Weg. Es ermöglicht eine Form von Zufriedenheit, welche nicht von sich selbst abhängig ist, sondern von der Akzeptanz des Seins. Jedoch merkte ich mit den vergangenen Jahren etwas. Und zwar das Vergebung ein zweischneidiges Schwert ist. Wem vergeben wird, der hat keine Möglichkeit es wieder gut zu machen. Mir ist es aufgefallen, als ich der bisher größten Liebe meines Lebens das Herz brach und ich es nicht wieder gut machen konnte. Sie hat es akzeptiert, sie hat mir vergeben. Es ist ein beängstigendes Gefühl, denn interessanterweise nimmt Vergebung einem die Kontrolle. Und langsam frage ich, ob meine Eltern diese Angst haben.
*

Mein jähzorniger Vater hat mit dem Alter seine Ruhe und Reflektion gefunden. Ich bin stolz auf ihn, auf seine Entwicklung, so wie er stolz auf mich ist, auf meine Entwicklung. Meine Mutter, welche in den Momenten wo ihre Kinder sie am meisten brauchten sich zurückzog und uns alleine ließ, steht nun für ihre eigene Meinung und die ihrer Kinder ein, entgegen der Lautstärke des Vaters und der Welt. Und mir scheint es, dass beide mit der Zeit bemerkt haben, was ihre Aktionen bewirkt haben. Mein Bruder, welcher lange lange Zeit einen Groll gegen unsere Eltern hegte, scheint mit der Zeit ebenfalls zumindest Verständnis gelernt zu haben. "Ich weiß warum es passiert ist, aber das macht es nicht unwirksam." Da hat er vollkommen Recht. Daher scheint er sich auch immer besser mit meinen Eltern zu verstehen, auch wenn dadurch hin und wieder Rückfälle auftreten. Bei mir . . . tja, wie macht man etwas wieder gut, was vergeben wurde? Ich denke meine Eltern werden bitter bei dieser Frage. Denn wenn etwas vergeben wird, vergibt man somit auch die Chance, es wieder gut zu machen. Ich glaube dass dies je nach Schwere ein noch härteres Urteil ist, als Groll. Einen Groll kann man besänftigen. . . Mit Vergebung muss man leben.

Naja. . . es ist, was es ist, nicht wahr?

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von rubber sole am 19.01.2024:


Hallo Sun-Go,
deine Gedanken zum Umgang mit dem Thema Vergeben habe ich gerne und sehr interessiert gelesen; darin kann in der Tat viel persönliche Problematik stecken. Mit deiner Wertung, Urteilen ist leicht, Vergeben ist schwer, stimme ich überein. Mit der Einschätzung, Verstehen ist am schwersten, kann ich nicht übereinstimmen. Urteilen und Vergeben werden von Emotionen gesteuert, während Verstehen eher kognitive Bereiche anspricht, was dieses begreifbarer macht. Dass es sich letztlich mit besänftigtem Groll leichter leben lässt als mit Vergeben, ist fraglich – man muss lernen, mit beiden sein Leben lang umzugehen.
h.g.r.s.

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