Veröffentlicht: 18.03.2024. Rubrik: Historisches
Anno Dazumal: 'Lederhose und Schleifchen'
Nicht einmal für Spielsand hat es gereicht, also spielte mein Bruder weiterhin am Haufen grobkörnigen Bausands, den irgendwer dort, direkt neben dem Weg, achtlos hingekippt hatte, weil übrig. Ein Sand, der nicht klebte, in den er nur Straßen hineinziehen konnte. Trotzdem hat er stundenlang damit gespielt, ganz alleine, ins Spiel versunken. In seiner Lederhose und mit seinen viel zu kurz geschnittenen Haaren, durch die die Kopfhaut durchschien. In seiner Lederhose, die man nur auszubürsteln brauchte, nicht zu waschen. Immer in der Lederhose, weil es für einen Buam nichts Praktischeres gibt, und weil so ein Bua ruhig einmal dreckig und speckig sein darf und natürlich barfuß.
Nicht so dagegen ich, das Mädchen. Immer fein herausgeputzt, mit einem schicken Kleidchen an, Söckchen an den Füßen im Sommer, wenn es heiß war, sonst weiße Kniestrümpfe, meine Haare zu einer schwierigen Frisur hochgesteckt. Zu einer Frisur, wie sie sonst nur junge Frauen trugen. Darumgebunden wurde zum Schluss eine pastellfarbene Schleife, extra gekauft im Nachbarort, in einem Textilkaufhaus, weit genug weg, dass wir sogar mit dem Omnibus hinfahren mussten, nur um neue, glatte Schleifen zu erstehen. Was für ein Aufwand. Und nur so besonders herausgeputzt galt ich als schön für meine Mutter. Schön, in Verbindung freilich nur mit dem artigen Knicks, den ich machen musste beim Handgeben, mein Bruder einen Diener. Bei ihm wartete meine Mutter nicht einmal ab, wenn er den Kopf zu senken hatte, bis er ihrem Wunsch nachkam, nein, sie drückte ihm vor den Augen des Besuchs den Kopf derb hinunter.