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geschrieben von Weißehex.
Veröffentlicht: 16.05.2019. Rubrik: Unsortiert


Neugeborenenstation

Das Licht war unbarmherzig grell.
Marc Meier schwitzte unter seinem grünen Operationskittel. Er war nervös; gleich würde sein erstes Kind das Licht der Welt erblicken. Aber musste es unbedingt so gleißend hell sein? Von Yvonne, seiner Frau, war natürlich kein Laut zu hören. Man hatte sie in Vollnarkose versetzt, trotz ihrer Proteste, dass sie wach bleiben wollte und lieber eine natürliche Geburt haben wollte.
„Es wird heutzutage nur noch Sectio gemacht", das hatte ihnen jeder Arzt gesagt.
„So ist es viel einfacher, direkt die Fingerabdrücke zu nehmen. Und die Schreie früher bei der Entbindung waren schon sehr störend."
„Und warum Vollnarkose? Das ginge doch auch mit einem Lokalanaesthetikum. Früher gab es doch die PDA. Dann würde ich auch nicht schreien und wäre wenigstens wach", hatte Yvonne gesagt.
„Sie wissen nicht, wovon Sie reden", der Arzt hatte sie beide milde lächelnd angeblickt, „Glauben Sie mir, es ist einfacher so. Für Sie, für das Team, für mich, für alle."

Marc Meier wandte sich hilfesuchend an den Arzt. „Kann man das Licht nicht etwas dämpfen?" nuschelte er unter seinem Mundschutz hervor.
Der Arzt schüttelte den Kopf.
„Aber es ist doch so hell und das Kind kommt doch gerade aus dem Dunklen, das kriegt doch womöglich einen Schock!"
„Unsinn. Wir brauchen das Licht. Wir müssen ja auch fotografieren."
„Aber..."
„Wenn Sie sich nicht zusammennehmen, Herr Meier, muss ich Sie leider hinaus schicken. Soviel wir in den letzten fünfzig Jahren erreicht haben, das ist eine von den Sachen, die sich nie ändern werden. Wollen Sie das?"
Marc Meier schüttelte den Kopf. Der Arzt wandte sich wieder dem Fußende der Liege zu, hob das grüne Tuch hoch und werkelte fachmännisch darunter herum. Meier schwieg und war erleichtert, als endlich das Schreien des Neugeborenen zu hören war.
„Sie haben einen Jungen", verkündete der Arzt feierlich und Meier nahm die Glückwünsche vom Team entgegen. Seine Mutter hatte ihm erzählt, dass das schon immer so gewesen war, auch bei ihrer Mutter und deren Mutter. Von Mutter zu Mutter wurde diese Erzählung weitergegeben und Meier war gerührt, dass dieses Erlebnis noch so wie früher war. Glücklich grinste er vor sich hin und schaute zu, wie der Arzt das kräftig schreiende Neugeborene untersuchte und es der Schwester zum Waschen reichte. Dann gab die Schwester das Baby dem Arzt zurück. Jetzt kamen die Fingerabdrücke und Meier schaute zu. Der
Arzt drückte den linken Daumen des Babys auf das schwarze Kissen, dann auf ein Formular, anschließend verfuhr er genauso mit dem rechten Daumen.
„Jetzt ist es ja schon wieder dreckig", dachte Meier und war fast verärgert, doch der Arzt reichte das Kind wieder an die Schwester zurück, die ihm die kleinen Hände mit einem Tuch abwischte. Das Kind schrie immer noch.
„Da werden Sie aber viel Freude haben mit dem kleinen Schreihals", bemerkte der Arzt. Meier begriff das als Kompliment und nickte.
„Gleich kommt der Fotograf. Haben Sie den Personalausweis an der Pforte abgegeben?"
„Natürlich."
„Wie heißt das Kind?"
„Peter Meier."
„Gut". Der Arzt griff zum Telefon und sprach in die Muschel. „Sagen Sie dem Fotograf, er kann kommen. Peter Meier ist da. Und achten Sie darauf, dass er den Personalausweis mitbringt. Bei der letzten Geburt hat er ihn tatsächlich vergessen. Und sowas ist Fotograf." Der Arzt hängte ein.
„So, Herr Meier. Der Fotograf kommt gleich. Wenn die Passfotos fertig sind, können Sie sie und die erforderlichen Formulare mit den Fingerabdrücken sowie den Personalausweis mitnehmen und direkt zum Amt gehen. Dann ist alles in einer Stunde fix und fertig und Sie können das Kind mit nach Hause nehmen. Oder haben Sie das Rundumpaket gebucht?"
Meier nickte. „Es ist unser erstes Kind. Wir haben ja keine Erfahrung und ich dachte, es ist günstiger, wenn meine Frau noch ein paar Tage hierbleibt. Auch wegen dem Stillen, das möchte meine Frau so gerne."
„Ah, Sie gehören noch zur alten Schule. Dann sind Sie eine Ausnahme heutzutage. Sie wissen ja sicher, dass Stillen gar nicht mehr nötig ist? Die vorproduzierte Ersatzmuttermilch ist genauso gut, wenn nicht gar besser. Und vor allem geht das Füttern so sehr viel schneller. Aber ich will Ihnen natürlich in nichts hineinreden."
„Tust du doch gerade", dachte Meier. Der Arzt fing an, hm auf die Nerven zu gehen.
Es schellte. Der Arzt drückte auf einen Knopf, die Tür öffnete sich und ein Mann, beladen mit einem riesigen Fotoapparat, trat ein.
„Haben Sie diesmal den Personalausweis dabei?" fragte der Arzt.
„Natürlich." Der Fotograf kramte in seiner Hosentasche und hielt ihm ein Dokument hin.
„Peter Meier, Geburtsdatum 16. Mai 2078", las der Arzt halblaut vor und nickte, scheinbar zufrieden. „Und denken Sie bei den nächsten Geburten selbst daran. Ich habe wahrhaftig keine Zeit und auch keine Lust, Sie jedes Mal daran zu erinnern."
„Ja ja, schon gut. Wo ist das Kind?"
Die Schwester brachte es.

Meier schaute zu, wie sein Sohn von vorne und von allen Seiten fotografiert wurde. Pflichtschuldig lachte er über den blöden Witz des Fotografen „Bitte lächeln" und nahm schließlich nach einer gefühlten Ewigkeit sein Kind in Empfang und wiegte es in den Armen.
„Was für ein überwältigendes Gefühl", dachte er. „So müssen sich die Mütter früher selbst gefühlt haben, als sie das Kind zuerst halten durften.".
„So, Herr Meier. Geben Sie das Kind der Schwester. Da Sie ja das Rundumpaket gebucht haben, wird diese sich um es kümmern. Und Sie haben ja auch zu tun. Sie müssen zum Amt, die machen in einer Stunde zu. Sie wissen ja, dass Kinder am Tag ihrer Geburt gemeldet werden müssen. Ansonsten müssen Sie Gebühren für versäumtes Melden bezahlen."
„Ich weiß." Meier zögerte. Da war doch noch etwas.... Richtig! „Was ist eigentlich mit meiner Frau?"
„Sie wird jetzt zu den anderen Wöchnerinnen gebracht und wohl in einer Stunde aufwachen. Keine Sorge, es geht ihr gut."
„Dann komme ich nachher nochmal, wenn sie wach ist."
„Sicher. Aber nun bitte zum Amt."
Fast hätte Meier schnippisch „Jaja" gesagt, wie der Fotograf. Aber er wollte den Arzt, der seinen Sohn schließlich auf die Welt gebracht hatte, nicht verärgern und blieb stumm.
Als er aus der Tür war, hörte er, wie der Arzt zur Schwester sagte: „Besser als früher ist das auch nicht. Da haben die Mütter mit ihrem Geschnatter genervt und heute sind es die Väter."
„Aber die Väter können wenigstens direkt zum Amt gehen", sagte die Schwester.

Meier trat mit Schwung aus der Drehtür des Krankenhauses und bog dann in die Straße, die zum Amt führte, links ab. "Amtsgasse" las er und dann das Hinweisschild "Zum Amt für neue Bürger".
Er folgte dem Schild und stürmte dann, vergnügt pfeifend, die wenigen Treppenstufen des Gebäudes hoch.

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von Weißehex am 16.05.2019:

Ich hätte die Geschichte gerne unter "Futuristisches" gesetzt, aber das gibt es hier nicht. Deswegen steht sie unter "Unsortiert". Fantastisch und total verrückt passt hier leider nicht.




geschrieben von Christine Todsen am 16.05.2019:

Tolle Idee, klasse geschrieben. Was für eine grausige Zukunftsvision. Tröstlich wenigstens, dass es den schönen alten Namen Peter auch 2078 noch gibt :).




geschrieben von Weißehex am 16.05.2019:

Vielen Dank, Christine! Freut mich, dass dir die Geschichte gefällt.




geschrieben von Noxlupus am 16.05.2019:

Ich habe den Text gelesen, und oben einen Daumen hoch gegeben :-) LG




geschrieben von Weißehex am 17.05.2019:

Vielen Dank, Noxlupus!

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