Veröffentlicht: 13.05.2025. Rubrik: Persönliches
*Das Akkordeon
[Ein sog. "Straßendrabble" mit 345 Wörtern]
Als ich in die Grundschule ging, nahm ich, musikbegeistert, wie ich war, das alte, verstimmte Akkordeon zur Hand, das hinten in einer Ecke noch von meines Vaters Kindheit her im Schrank lag. Es gelang mir auch, ihm Lieder zu entlocken. „Du, du liegst mir im Herzen“ spielte ich zum Beispiel und versuchte, mir die Tasten per Ziffern aufzuschreiben, kannte ich doch keine Noten. Meine Mutter versuchte, dazu zu tanzen.
Nur den Bass konnte ich nicht zur Melodie dazu spielen, das gelang mir nicht. Mir wurde erklärt, dass ich M-da-da mit der linken Hand dazuzaubern sollte, und der C-Bass gezeigt, mehr nicht. Immer mehr meckerte meine Mutter deswegen an mir rum, forderte, dass ich so spielen sollte, wie sie tanzte, und ich wurde für dumm und ungeschickt abgestempelt. Einem jeden erzählte sie: "Sie spielt Akkordeon nach Gehör, nur den Bass kapiert sie nicht; sie kapiert ihn einfach nicht." Auf die Idee, mich in Akkordeon-Unterricht zu schicken, kam sie nicht. Dagegen hieß es, dass früher, als sie auf dem Land gelebt hatte, einer gut Schifferklavier gespielt hätte. "Meinst, dass es dem einer gezeigt hat? Das glaube ich nicht, der hat das einfach können", tönte sie.
Mein vier Jahre jüngerer Bruder durfte dann allerdings Akkordeon-Unterricht nehmen, ohne dass er von selbst auf dem alten Kasten von meinem Vater geklimpert hatte, weil meine Mutter ihren Buben per se als musikalisch einstufte. Natürlich habe ich ihm das Instrument aus der Hand gerissen und so lange geübt, bis ich jedes Stück flüssiger spielen konnte als er. Trotzdem musste ich mir daheim, wenn ich spielte, kopfschüttelnd anhören: "Sie spielt, sie auch."
Als mein Bruder einmal krank wurde, habe ich ihn in der Akkordeon-Stunde vertreten. Da hat die Lehrerin, Frau Ziegler, mir doch prompt angeboten, kostenlos in einer besseren Gruppe mitzuspielen. Auf die Idee meinen Unterricht anstandshalber zu bezahlen, ist meine Mutter nie gekommen: "Das ist doch deren Sache, wenn sie dir Unterricht gibt." Zu unserer Sache hat sie es erklärt, von ihr aus hätte ich ja keinen Unterricht gebraucht. Ich hätte zufrieden sein sollen, dass ich mit meinem Brüderlein hätte mitlernen können.

