Veröffentlicht: 09.06.2025. Rubrik: Unsortiert
Am Bratwurststand.
Arno gönnte sich zum Abschluss seiner Einkäufe noch eine Currywurst am Stand vor dem Eingang des Supermarktes. Er bemerkte, dass der Wurstverkäufer nun am Auräumen seines Standes war. Der hatte die letzte Wurst verkauft und freute sich nun auf den wohlverdienten Feierabend.
Am nebenstehenden Tischchen sah er einen Gast , der sich auch eine Currywurst schmecken ließ. Bei diesem Gast musste er ganz genau hinsehen...Ist das nicht, war das nicht - nein das ist doch tatsächlich C. Sein Puls beschleunigte sich etwas. Bei seinem guten Personengedächtnis war er sich jetzt sicher, er war es! Es war der Bärtige mit Lederjacke dem er damals begegnet war.
Wie in einem Film erinnerte er sich der Begegnung mit C in dem Supermarkt vor etwas mehr als einem Jahr. Da füllte er gerade einen Lottozettel vor der Annahmestelle aus. Neben ihm stand ein Mann, der im Begriff war, das Gleiche zu machen, jedoch den Eindruck erweckte, sich nicht so recht entschließen zu können, welche Zahlen er ankreuzen sollte.
"Entschuldigung, darf ich sie mal was fragen?" hörte er den Fremden sagen, worauf er dem mit "Ja, gern!" antwortete.
"Dürfte ich von ihnen vielleicht ein paar Lottozahlen abschreiben?"; der Fremde sah Arno freundlich an, als er ihm diese Frage stellte.
Arno war erstaunt und fragte zurück: "Und warum wollen Sie das?"
"Ich bin mir überhaupt nicht schlüssig, was ich tippen soll" erwiderte sein Gegenüber. Er lächelte und schwenkte seinen silbernen Kugelschreiber hin und her und fügte hinzu: "Ich würde mich von Ihnen sozusagen inspirieren lassen.. Mir fallen heute keine eigenen Zahlen ein und ich würde es deshalb heute bei einer einzigen Zahlenreihe von ihnen belassen."
Arno war ziemlich erstaunt und wusste im ersten Moment nicht, was er darauf erwidern sollte.. Er fand den vollbärtigen Mann mit auffälligem gelbem Hemd und Lederjacke , den er auf etwa vierzig schätzte, sehr sympathisch, nicht zuletzt auch deshalb, weil er denselben ortsüblicheen Dialekt sprach. Warum also sollte er ihm nicht den Gefallen tun? Er schob ihm lachend kurz seinen Lottozettel hin mit der Bemerkung: "Okay, schreiben sie sich die Zahlenreihe von meinem Zettel ab. Es gibt keine Auswahl, ich mach heute mal nur einen Tipp."
Der Mann bedankte sich, kreuzte die Zahlen an und sagte, indem er anschließend seinen Lottoschein leicht hochhielt: "So, den gebe ich jetzt gleich ab". Mit "Nochmals danke und noch 'nen schönen Tag." verabschiedete er sich.
Als Arno bei nächstmöglicher Gelegenheit die gezogenen Lottozahlen sah, glaubte er zuerst zu träumen, dann war er emotional äußerst aufgewühlt und torkelte zum Kühlschrank. Er entnahm ihm eine Flasche Sekt und trank die Hälfte in zehn Minuten. Er verglich die Zahlen immer wieder; jeder Zweifel war ausgeschlossen, er hatte sechs Richtige. In dieser Nacht schlief er sehr schlecht und träumte von einem Millionärsdasein.
Eine extreme Ernüchterung trat ein, als er zwei Tage später die Gewinnquoten erblickte, denn statt der erwarteten Million war es nur die Hälfte. Zwei Spieler hatten sechs Richtige getippt, und das traf ihn wie ein Schlag. Er brauchte nicht lange zu überlegen, denn eines war ihm sofort klar: der andere Gewinner musste der Abschreiber aus dem Supermarkt sein. Darüber gab es überhaupt keinen Zweifel. Wie magisch hatte er plötzlich das Bild des Mannes vor Augen, des Fremden mit Bart, dem er vor kurzem erlaubt hatte, seine Lottozahlen abzuschreiben. Er knirschte kurz mit den Zähnen. Frustriert sagte er zu sich selber: "Jetzt hast du also sozusagen einen Compagnon, toll!"
Er musste oft an C denken, wie er ihn, seinen Compagnon , nun verkürzt nach dieser Enttäuschung nannte.
Arno überlegte, ob er C ansprechen sollte. Er entschloss sich aber dann doch dazu. Nachdem er seine Currywurst gegessen hatte, Pappschälchen und Plastikmesserchen nebst Serviette in den dafür vorgesehenen Abfallbehälter geworfen hatte, ging er zielbewusst auf das andere Tischchen zu, wo C gerade mit der Vertilgung des letzten Drittels seiner Currywurst beschäftigt war.
"Guten Tag! Ich glaube wir kennen uns. Vor einem Jahr..." weiter kam er nicht, denn C unterbrach ihn:" Ja, ich habe sie auch gleich erkannt." Er nickte und lächelte dabei.
Arno kam gleich zur Sache: "Und, wie ist's gelaufen mit dem Geld? Ordentlich mit dazuverdient?"
Cs Lächeln erstarb deutlich, als er erwiderte:" Nein, gut gelaufen ist es leider nicht. Eigentlich ist alles weg. Auch der Porsche, den ich mir gleich gekauft hatte."
Dies erstaunte nun Arno über alle Maßen und er fragte: "Warum das? Was haben sie denn gemacht?"
C knüllte etwas ungelenk sein Pappschälchen zusammen und begann:" Verloren! Eigentlich so gut wie alles in der Spielbank. Ich spiele ja schon lange Roulette und habe auch schon so manche Systeme ausgeknobelt" Er sah sich vorsichtig um; es waren aber nirgends Zuhörer in der Nähe, und der Wurstverkäufer hatte seinen Stand inzwischen zugemacht. "Ich wollte es ja lange nicht so ganz glauben, aber es gibt tatsächlich kein System. Ist alles nur Glückssache und die Spielbank gewinnt immer".
Arno erwiderte darauf, nachdem er den Mund wie zum Spott etwas verzog: "Hmm, nicht schlecht , die schöne halbe Million in einem Jahr weg!"
Um sich, in seinen Augen, ein klein wenig zu rechtfertigen sagte C: " Ich habe natürlich zwischendurch immer wieder mal gewonnen, aber wie gesagt.... Ich war in der Zeit auch in Monaco und Las Vegas. In Amerika ist beim Roulette vieles strenger. Und man verliert dort schnell. Und viel! Na ja."
Nach einer Pause sagte Arno :" Das tut mir aber nun leid. Na dann wünsche ihnen mal in Zukunft viel Glück und kein Pech mehr."
Sie tauschten dann noch einige unwichtige und auch scherzhafte Floskeln aus und verabschiedeten sich.
Auf dem Heimweg sinnierte er über den Fall nach. Eigentlich tat ihm C schon ein bißchen leid, andererseits empfand er auch eine gewisse Schadenfreude, dass C das Geld von den "stibitzten" Zahlen verloren hatte.
Einer Sache war es sich aber ganz sicher: nie, nie wieder würde er jemand seine Lottozahlen abschreiben lassen!

