Veröffentlicht: 26.06.2025. Rubrik: Unsortiert
Unverschlossen
Ein Magischer Moment.
Der Weg ist schmal, durch das Blätterdach kann man die Sonne am fast wolkenlosen Himmel erkennen. Nur wenige Meter vor mir läuft pfeifend mein Mann. Ansonsten ist es still. Man könnte auch sagen, verlassen. Kein Mensch weit und breit.
Wieso kommt mir das Wort, verlassen in den Sinn?
Ich mag diese besondere Ruhe, fühle mich zurückversetzt in meine frühe Kindheit, nun beginne ich zu Tagträumen. Ein Knistern am linken Wegesrand weckt in mir eine besondere Aufmerksamkeit.
Eine eingefallene Mauer, kleine Geckos laufen an ihr hinunter. Wow dahinter ein altes Haus.
Sollten die Echsen mir den Weg zeigen? Es riecht nach Lindenblüten und modrigem Holz.
Langsam nähere ich mich den fast zugewachsenen, halbrunden Stufen, die direkt hinauf zum Haus führen.
Ein vergilbtes Schild in einem verrosteten Metallaufsteller hält mich davon ab meinen anvisierten Weg zu gehen. Ganz bedacht lese ich laut die Buchstaben. Leider dauerhaft geschlossen. Leider, was ist damit gemeint? Meistens steht doch, wir bedanken uns bei den Gästen und gehen in den wohlverdienten Ruhestand, oder so ähnlich. Hier ist etwas anderes geschehen, das spüre ich.
Schnellen Schrittes renne ich meinen Mann hinterher, rufe laut ,,Halt, lass uns zusammen auf das Grundstück gehen.“ Lächelnd, fast flüsternd höre ich die Worte. „Welches Anwesen?“
Hüpfend wie ein Kind nähere, ich mich zum zweiten Mal voller Neugierde dem zugewachsenen Grundstück. Ob dies erlaubt ist, diese Frage stellt sich mir nicht. Fast singend kommt aus meiner Kehle; ,,What a dreamy place.“ Mit dem Blick von der Terrasse auf das Dorf Tirol, beginne ich zu ergründen, wieso es hier keinen Nachfolger gibt. Tische und Stühle laden noch zum Verweilen ein. Manchmal hatte ich in meinen Leben schon von so einem Anwesen geträumt.
Ein kleines, grünes Restaurant mit einer Bücherecke. „Schatz, ich sehe diesen nostalgischen Ort schon fertig mit vielen Pflanzentöpfen auf der alten Mauer.“
Wir laufen um das Haus herum. Meine Nase drücke ich fest an die verstaubte Fensterscheibe.
Eine unaufgeräumte Küche, offene Schubkästen sind zu erkennen. Mich durchströmt ein Gefühl der Traurigkeit. Ohne Erwartung drücke ich die Türklinke, erschrocken springe ich zurück.
Und schon stehe ich im Flur. Meine Knie zittern. So genau weiß ich nicht, ob es Neugierde oder Angst ist. Es ist fast wie in einem Bozen Krimi. Hatte ich ein Verbotsschild übersehen?
Bedarf es einer Entschuldigung an mein Gewissen? Hautnah drückt sich jetzt mein Mann an mich, will er mich vor etwas schützen? Meine empfindliche Nase riecht ein Parfüm oder eine Katze? Hatte ich ein Miau überhört? Gruselig, durchfährt mich ein weiterer Gedanke.
Auf der rechten Seite des langen Flures befindet sich eine verschlossene Tür mit der Aufschrift, Küche. Na klar, diese konnte ich ja schon durch die Scheibe begutachten. Sollten wir lieber gehen? Irgendetwas in mir sagt, nein geh weiter. Meine zitternde rechte Hand drückt bedacht die metallene Klinke nach unten. Mir läuft Schweiß über den Rücken. Beim Eintreten ertönt ein lauter Gong. Damit hatten wir nicht gerechnet.
Eine Uhr, wie von einem Blitz getroffen verlassen wir ruckartig die Küche. Mein Atem stockt.
„Oh mein Gott,“ sprudelt es aus mir heraus. Klar hier wohnt Jemand.
Höre ich da ein Knistern, ein nicht definierbares Geräusch? Erst jetzt nehme ich an der Wandgarderobe einen blauen Overall wahr.
Meine Hände schützen meine Brust, mein Herz rast. Sehr tief atme ich in mich hinein.
Blickkontakt zu meinem Mann. Ein hüsteln, eine Frage, meinerseits in den langen Gang hinein.
Ein leises „Hallo, hallo ist da Jemand?“ Warum schaffe ich es nicht laut zu rufen? In meinem Kopf läuft ein Film ab. Möchte ich wirklich gehen? Behutsam verschließe ich die Haustür.
Im Nacken spüre ich etwas, da ist etwas. Erneut drehe ich mich um, winke und hauche einen Handkuss in Richtung des oberen Fensters des magischen Hauses. „Kommst du endlich,“ höre ich meinen Mann besorgt rufen. Im Laufen sage ich, „was ist, wenn dort ein Mensch Hilfe benötigt?“ Dieses Erlebnis beschäftigt mich bis zum Erreichen eines Restaurants in Höhe des Dorfes Tirol. Ungefähr zehn Gehminuten entfernt des verlassenen Grundstücks.
Eine Sonnenterrasse lädt uns zum Verschnaufen und Verweilen ein. Ein freundlicher Kellner möchte unsere Bestellung aufnehmen. Räuspernd wendet sich mein Mann mit folgenden Worten an den Kellner, „wissen sie, ob das Grundstück oberhalb ihres Restaurants noch bewohnt ist?“
Er kratzt sich seinen Bart und antwortet, „bewohnt schon, leider geschlossen.
Im Corona Jahr 2021 ist die Frau des Gastwirts verstorben. Seitdem lebt der Betagte, über achtzigjährige, sehr rüstige Mann, allein in diesem Haus. Er sieht meinen beängstigten Blick, „sie müssen sich keine Gedanken machen, letzten Freitag war er hier zum Mittagstisch.“ Er zwinkert mir zu, wiederholt die Bestellung und geht seiner Arbeit nach. Bin ich jetzt wirklich zufrieden mit dieser Aussage? Noch immer schwirren meine Gedanken auf dem Grundstück.
Der Kaffee mit Schlagsahne ein Genuss, ein Bier für den Durst, gerade richtig.
Wir freuen uns jetzt auf unser Domizil in Schenna. Dort wartet eine große Terrasse mit dem Blick auf die gegenüberliegende Seite mit einem dichten Wald auf uns. Ein seufzen meinerseits. Was für ein aufregender Tag.
Irgendwo da ist dieser magische Gasthof. Wir umarmen uns in der Dunkelheit. Ein flackerndes Licht ist im Wald zu erkennen. „Schatz meinst du, dass es der verlassene Gasthof ist?“
Es macht mich wehmütig, der Gedanke an den Einsiedler lassen mich in dieser Nacht schlecht schlafen.
Am nächsten Tag geht es wieder Richtung München.
Wer weiß, im kommenden Jahr fahren wir bestimmt wieder nach Südtirol.
Hatte mich der alte Mann gesehen?
Wollte er besucht werden?
Fragen auf die es noch keine Antwort gibt.

