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geschrieben 2018 von Carl-Paul Hénry (Carl-Paul Hénry).
Veröffentlicht: 15.04.2018. Rubrik: Menschliches


Aishe

In den fast 15 Jahren meiner Flüchtlingssozialarbeit, habe ich auch sehr viele Menschen aus der Türkei kennen gelernt. Nicht alle, aber die überwiegende Mehrheit von Ihnen, waren Kurden: Alleinstehende Männer, Familien und viele Kinder.

Nun war es damals üblich, den größeren Kindern und Jugendlichen den Schulbedarf direkt in die Hand zugeben, anstatt den Eltern das dafür notwendige Geld auszuzahlen. Hefte, Mäppchen mit Inhalt und Schultaschen. Nun gab es da in einer Familie ein vierjähriges Mädchen, das zwar in den Kindergarten ging, nicht aber in die Schule und deshalb auch von mir Entsprechendes erhielt, wenn sie mit ihren größeren Geschwistern zu mir ins Büro kam. Mein Büro hatte ich zu der Zeit direkt in der Flüchtlingsunterkunft.

Eines nachmittags nun kam Aishe, so hieß die kleine Kurdin, zu mir ins Büro und sagte: "Carli, hast du Bleistift?" Ich konnte es diesmal nicht über mein Herz bringen und sie abweisen. Also kramte ich in meiner Schreibtischschublade, bis ich einen alten und abgewetzten Bleistift fand und ihn ihr schenkte. Freudig zog Aishe von dannen. Doch am nächsten Tag kam sie wieder und fragte: "Carli, hast du Bleistift." - "Aber du hast doch erst gestern einen von mir bekommen." - "Hab' ich verloren."

Nun gab' es da neben meinem Drucker noch einen kleinen Karton, in dem sich einige Gummibänder, Anspitzer, Radiergummi und ein paar Stummel alter Buntstifte befanden. Davon gab ich Aishe einen. Tags drauf stand sie aber schon wieder in meinem Büro, weil sie auch den Buntstift verloren hatte. Ich schaute sie streng an und sagte: "Ok, du bekommst heute noch einmal einen Stift (es war ein roter), aber der muss für drei Tage reichen." Aishe nickte brav und hopste froh davon.

Am nächsten Tag kam Aishe nicht in mein Büro. Dafür aber fand ich in meinem Bürobriefkasten einen kleinen selbstgebastelten Briefumschlag, auf dem kringelig mit roter Farbe "karli" stand. In dem Briefumschlag fand ich dann ein kleines aus Papier ausgeschnittenes Herz, auf dem "Aishe" (auch kringelig und in roter Farbe) stand. Was für eine Liebeserklärung!

Das ist nun fast 20 Jahre her. Noch heute begegne ich in der Stadt vielen Türken und türkischen Kurden von damals, die hier in "meiner" Stadt ein Bleiberecht oder auch die deutsche Staatsbürgerschaft bekommen haben. Nur Aishe sehe ich nicht. Sie hat sicher jemanden anderes geheiratet, als mich :), was auch verständlich ist, und lebt vermutlich irgendwo im Ruhrgebiet. Aber ihre Liebeserklärung bleibt in meinem Herzen

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