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geschrieben 2021 von Mike P. Muzak (Muzak).
Veröffentlicht: 07.11.2021. Rubrik: Total Verrücktes


Ja, was ist denn dort unten im Keller los?

Ja, was ist denn dort unten im Keller los?
(Kurzgeschichte vom 7.11.21)

SatirepatzerSatirepatzer Dieser alte, schäbige Überseekoffer, den er so liebt, weil er ihn geerbt hat. Ja, das einzige Erbstück seiner Mutter. Darin zappelt es wild und es weint laut vor sich hin. So stark umklammert seine rechte Hand den harten Griff, während er den schwarzen Koffer fortschleppt, wie wenn seine Hand noch immer den Kinderhals zudrücken würde, den Hals unserer Tochter! Dieses verdammte Schwein!

Während er die dunkle Nebenstraße wie in einem verlassenen Häuserwald hinunter marschiert, verkrampfen sich seine grobschlächtigen Finger. Ein brennender Schmerz entflammt in ihnen und in ihm selbst, was ihn nur noch wütender macht!

Aber den Koffer loslassen, das kann er nicht, schließlich ist ja der glänzend verzierte Koffer der wertvolle Koffer seines verstorbenen Großvaters, bestätigte ihm seine Mutter. Da rennt er einfach weiter. Zu atmen versucht er ruhig und gleichmäßig, um sich ein Schlaflied zu singen. Dieses Ungeheuer!

An der Ecke unseres gemeinsamen Lieblingscafés biegt er scharf ab. Ein grinsendes Gesicht taucht plötzlich auf. Es wächst und wächst in große Abscheulichkeit, so dass er beinahe im Schwindel auf die Straße fällt. Und da schreit er mich wie so häufig an: »Nein! Du nicht! Lass uns! Niemals du! Ich liebe meine Mutter! Du musst das ja nicht! Und ihr so schönes Gesicht!«

Er fängt sich wieder; ihre tiefen Augen locken ihn, doch er schließt jetzt endlich schamvoll seine eigenen und eilt blindlings auf den rutschigen Pflastersteinen weiter. Er läuft und läuft. Manche Schaufenster erkennt er, natürlich auch den kleinen Laden, in dem ich ja arbeiten sollte, wie seine liebe Mutter es beschloss und sie einst die erste Babykleidung für unsere Tochter kaufte, ohne uns auch nur das Geringste vorher zu fragen.

Den Schmerz in seiner Hand verspürt er nicht mehr, denn als mächtige Tatze eines Bären erscheint ihm seine eigene Faust. Die süßen Händchen meines Lieblings entdeckt er hinter dem Schaufenster liegen. Ohne unser Kind, so einfach abgehackt!

Da heult die Sirene eines Polizeiwagens in seine Ohren, dessen blaue Lichter an den hohen Häuserwänden hinter ihm aufflackern. Rau kratzt der Jackenärmel an seiner Stirn, während er damit hastig seinen Schweiß abwischt. Die Polizei fände ihn nie! Ihn doch nicht!

Und nun erschrecke ich plötzlich, schnappe heftig nach Luft, als sich zu erwachen glaube: Der Geruch seiner schwarzen Uniformjacke vom Sicherheitsdienst weckt mich. Eiskalt läuft es mir den Rücken herunter. Und unser Mädchen weint irgendwo laut und lauter, glaube ich zu hören. Und es schläft doch nicht mehr bei uns, sondern im eigenen Zimmer. Hallo!

»Nein! Mit dir nicht mehr! Ich will nicht mehr, kann nicht mehr!«, denke ich zu flüstern, und meine Füße berühren kaum noch den nassen Straßenboden, so sehr renne ich einfach nur davon. Ich rutsche nach links, nach rechts dahin und fliegen will ich durch die Mitte. Fliegen mit meiner Tochter und meiner Liebe ins Irgendwohin ganz hoch hinauf. Frei will ich von ihm sein! So frei!

Endlich die Hauptstraße. Lauter Leute laufen. Sie drängen sich auf den Gehwegen hin und her, glotzen in ihre bunten Handys, einige lächelnd, andere grimmig, wieder andere ohne Blick. Keiner sieht ihn an, wie er sich mit den schwarzen Koffer abschleppt, aus dem eine
Kinderstimme herauszuschreien bemüht ist. Die vorbeiflitzenden Rollerfahrer und Hunde fletschen nur ihre gelben Zähne. Sie wollen auch weiter irgendwohin. Sie auch, ja, auch sie wollen vorbei, weiter und weiter, vorbei an den Häusern und an den vielen Leuten in ihr eigenes Irgendwohin. Und wo ist das Heulen geblieben? Diese Polizei? Nichts mehr zu hören. Gar nichts. »Sehr schön!«, das lächelt er schweigend vor sich hin. Dieser Sadist!

Seine Beine schwächeln, seine Lunge schrumpft, seine Zunge vertrocknet, seine Lippen verkleben. Er will doch möglichst schnell vorwärtskommen, aber diese Leute! Diese...! Eine Wand aus faden Gestalten, nur braune Hosen und braune Jacken. Die hinter ihm Gelassenen stampfen ihm entgegen und der Koffer mit meinem Schatz -, nur noch schleppend ziehen kann er ihn -, so schwer ist er für ihn geworden. Dieser Mörder! Ja, Kindsmörder!

Ja, nur noch rückwärts kommt er voran zu der Stelle, meint er, zu der er unbedingt stolzieren will. Er schleicht nun ganz außer Atem. Kein Stampfen mehr in dem Koffer! Kein Schrei! Wirklich! Als er vorsichtig in die Leute sieht, nimmt er sie alle mit dem giftigen Gesicht seiner Mutter wahr und ruft verwirrt zu mir: »Nein! Nicht tausendmal nur immer Du! Lass den Anderen doch deren eigene Gesichter! Nimm lieber meines, auch wenn du das Schönste hast, Mama!«

Das Polizeirevier. Da sitzt er nun erschöpft und gut bewacht im dunklen Raum, weil man ihn doch noch aufgegriffen hat, und fort ist sein großer Koffer, der schwarze seiner bösartigen Mutter. Unser Mädchen ist auch verschwunden, wahrscheinlich tot, hofft er. Er war es, das ist damit bewiesen. Dieser Verbrecher!

Aber als ich meine vertränten Augen öffne, küsst er mich gerade auf den Mund, um mich sanft zu wecken. Er ekelt mich an. »Meine Kollegen und ich werden sie bestimmt wiederfinden, mein Schatz! Wir helfen der Polizei; das haben wir gerade telefonisch abgesprochen. Sie wird sich nur verlaufen haben. Ich muss los!«, sagte er überzeugt heute Nacht oder war das im Traum. »Wohin sollte unser kleines Mädchen denn laufen?! Wohin denn bitte?«, fragte ich meinen Mann vor einiger Zeit, denke ich.
»Wie konnte ich sie nur allein bei ihm lassen! Es war schon stockdunkel draußen. Und ich war noch mit meinen Kolleginnen unterwegs. Später als vereinbart wurde es! Und zu viel Alkohol gab es auch! Das weiß ich noch.

Da sei sie `spazieren gegangen´, log er mich auch noch grinsend an, als ich um Mitternacht zu Hause war. Ein junges Mädchen geht doch nicht allein spazieren! Im Dunkeln! Meine Tochter wirklich nicht!«, schweige ich noch müde vor mich hin. Seine geheimnisvollen Augen waren es damals. Ach, wie sie mich täuschten! Ein mieser Vater ist er.
Schweißgebadet ist mein ganzer Körper im Augenblick - und es hat sich ihm gegenüber versteinert, mein Herz! Dieser Versager!

Er trägt seine aufgeputzte Uniform, auch das berührt mich schon lange nicht mehr. Er muss los. Mithelfen beim Suchen mit seinen Kollegen! Und ich solle besser zu Hause bleiben, befiehlt er mir auch noch. »Ganz etwas Neues!«, döse ich noch eine Weile vor mich hin und stehe schließlich auf, wie ich noch nie in unserer Ehe aufgestanden bin. Dieser Macho!

Am ganzen Körper zitternd, wie fiebrig aufgeheizt und einsam, unendlich einsam, schreie ich endlich meinen Mann an, ihn, `diesen uniformierten Penner´, das denke ich dabei: »Wo ist dein schwarzer Koffer, den du von deiner widerwärtigen Mutter geerbt hast? Wo? Sag´ es mir sofort!«

Da grinst er mich wie immer belustigt an und behauptet frech, er wisse von keinem schwarzen Koffer, aber wenn ich unbedingt wolle, dann würde er gleich in den Keller gehen, um ihn dort zu suchen. Das hilft ihm aber nicht mehr. Aus ist seine Geschichte, weil ich schweigend in die Küche gehe, während er noch kurz, bevor er unsere gemeinsame Wohnung irgendwohin verlassen wird, im Flur im großen Wandspiegel seine Gestalt wie jeden Tag laut lobend bewundert. Ach, wie männlich er doch sei!

Als er zur Tür hinaus geht, steche ich das lange Küchenmesser, das uns seine Mama zur Hochzeit schenkte, in seinen starken Rücken. Wenige Augenblicke später stürzt der Fiesling über das alte, schäbige Geländer im Treppenhaus hinab in die Tiefe von neun Stockwerken. Kein böses Wort kommt mehr über seine Lippen. »Wie wunderbar!«, denke ich und rufe meinem ehemaligen Gatten abschließend hinterher: »Und jetzt finde ich deinen schwarzen Koffer ganz allein! Tschüs!«

Da öffnet sich im Flur die Wohnungstür unserer Nachbarfamilie und Lionas Mutter steht hinter ihrer Tochter und meiner Tochter. Alle freuen sich und ich höre die freundlichen Worte: »Guten Morgen! Und? Pünktlich zum Frühstück die Übergabe, wie wir drei deinem Mann gestern spät am Abend versprochen haben! Und unter uns, der war ja schon ganz schön heftig angetrunken! Lass ihn seinen Rausch ausschlafen! Er hat´s ganz bestimmt nötig. Ja, was ist denn dort unten im Keller los?«

ENDE

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